Frau Dehner philosophiert sich um Kopf und Kragen

| Alice Dehner
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Die Liebe zur Weisheit ist ein unschuldiges Vergnügen. Da gibt es schließlich ganz andere Sachen, aber das wollen wir jetzt nicht weiter vertiefen - ihr könnt wieder reinkommen, Kinder. Die Liebe zu gutem Essen mag im Prinzip auch unschuldig sein, macht aber furchtbar dick und das ist ungesund. Die Liebe zum Wein zerstört Hirnsubstanz, macht hässlich, bringt den obsessiv Verliebten in ein frühes Grab und beschert ihm, bevor es so weit ist, unter Umständen entsetzlich viel Ärger - nicht zu vergessen seinen Angehörigen und Freunden. Denn auch wenn im Wein Wahrheit stecken mag, noch viel wahrer ist, dass ein Suffkopf im Großen und Ganzen schwer erträglich ist.

Die Liebe zur Weisheit jedoch, umgangssprachlich Philosophie genannt, führt bei neunzig Prozent der Liebhaber bei der tätigen Umsetzung dieser Liebe, sozusagen beim Geschlechtsakt des vertieften Denkens (unter Eingeweihten auch mindfucking genannt), nicht zu einer Verknotung von Körperteilen wie der Praktiker sie aus dem Kamasutra kennt, und die Ursache von schwerwiegenden Folgen sein kann - und damit meine ich gar nicht mal die drei bis vier Kilo, die ein normales Baby auf die Waage bringt - nein, diese unschuldige Liebe führt lediglich zu einem Knoten im Hirn, der sich bei strenger Bettruhe von ganz allein wieder löst.

Dankenswerter Weise gibt es immer wieder Philosophen, die den Anspruch haben, ihre Profession so an den Mann, respektive die Frau zu bringen, dass gesundheitsgefährdende Wirkungen ausbleiben. Da las ich zum Beispiel ein Interview mit einer solchen „Praktischen Philosophin“, die davon überzeugt ist, dass das, was sie im Studium gelernt und sich anschließend selbst zusammengedacht hat, dem modernen Menschen eine wertvolle Stütze sein kann, um den vielen Anforderungen und auch Verlockungen unserer vom Kommerz bestimmten Welt zu begegnen.

Bitte, ich habe daran gar keinen Zweifel, dass ein philosophischer Umgang mit der Frage, ob ich nur etwas wert bin, wenn ich etwas leiste, oder ob ich wirklich zwanzig Billig-T-Shirts, die aus einem ausbeuterischen Sweatshop stammen oder von Kinderhänden gefertigt wurden, was der schändliche Grund ist, weshalb sie für 3,99 angeboten werden können, sprich ob ich diesen Schund nicht lieber liegen lasse und mir statt dessen ein einziges anständiges kaufe, äh, - Entschuldigung, jetzt habe ich mich irgendwie verheddert, ich hoffe, Sie können mir noch folgen - also: Ich habe durchaus nichts gegen Philosophie in ihrem praktischen Gewand und kann den Ansatz dieser Philosophin durchaus nachvollziehen - irgendwie.

Was ich schon schwieriger zu verstehen finde, ist folgendes: Die gute Frau schreibt Lebenshilfe-Bücher, um ihre Philosophie unters Volk zu bringen. So weit, so gut, das machen ja auch andere, durchaus ehrenwerte Zeitgenossen, wenn ich das in eigener Sache mal so ausdrücken darf. Sie sagt in ihrem Interview aber dann weiter, dass sie all die vielen Ratgeber-Bücher ganz doof findet. Tja nun! Der Mensch mit seinem Widerspruch! Soll auch in der Philosophie vorkommen.

Ein bisschen merkwürdig fand ich auch das folgende, von ihr vorgebrachte Argument: Die Philosophie tue gut und sei tröstlich, weil der Mensch dabei lerne, dass die Zeiten nicht erst seit heute schlimm seien, sondern schon immer schlimm waren. Ooch, also ich weiß nicht, so tröstlich finde ich das jetzt wieder nicht. Wir hatten Nazis, wir haben Nazis, wir werden immer Nazis haben??? Denn der logisch nächste Gedanke wäre doch dann, dass die Zeiten auch immer schlimm bleiben werden, ganz egal, was man tut und das mag ja unter Umständen realistisch sein, streite ich gar nicht ab, aber tröstlich? Nein, unter tröstlich stelle ich mir was anderes vor.

Von einem anderen, laut Aussage der Zeitung „sehr bedeutenden“ zeitgenössischen Philosophen, dessen Namen ich leider trotzdem vergessen habe, las ich hingegen etwas sehr Erfreuliches, nämlich dass er das Postulat von mindestens dreihundert Jahren Philosophie, dass wir niemals „das Ding an sich“ wahrnehmen könnten, sondern alles nur durch unsere Sinne gefiltert aufnehmen, was das Ding zwangsläufig verfälsche, jetzt radikal über den Haufen wirft und mit vermutlich sehr komplizierten Gedankengängen nachweist, dass es doch das Ding selbst ist, was in unserem Hirn ankommt. Das freut mich irgendwie - ich fühle mich seither viel sicherer! Beim Spiegeleier braten zum Beispiel. Ich meine, jetzt genau zu wissen, dass es wirklich die Pfanne, die Butter und das Ei ist, mit dem man es zu tun hat - das ist doch echt eine Erleichterung. Also Lebenshilfe pur!

Anzunehmen ist allerdings, dass es noch jede Menge Menschen gibt, die der alten Philosophie anhängen. Also jene wilden Pinkler zum Beispiel, in der Fachsprache Pissores crudelis genannt, die, weil sie davon überzeugt sind, das Ding an sich, nämlich das Klo, nähme nur durch den Filter - oder die Vernebelung (die Liebe zum Wein! Siehe oben) - ihrer Sinne die Form eines dunklen Hauseinganges an, und sich deshalb völlig damit im Recht fühlen, sich wo sie gehen und stehen zu erleichtern und ihre stinkende Brühe zu hinterlassen. Die dann allerdings leider ganz unverfälscht und ungefiltert bei den Sinnen aller Anwohner und Passanten ankommt, die sich mehr oder weniger heftig darüber erregen und sich so zwangsläufig als Anhänger der neuen Philosophie zu erkennen geben.

Ich könnte jetzt übrigens, ich hoffe, Sie hegen daran aber auch keinerlei Zweifel, jede Menge hochgelehrter Literatur empfehlen - alles höchstpersönlich angefangen, jawohl! Dann aber leider wegen zwingend erforderlicher Bettruhe, Sie wissen schon, der bereits erwähnte Knoten im Hirn, wieder zur Seite gelegt. Ich habe aber trotzdem einen wertvollen Hinweis für alle, die nichts gegen philosophische Fragen im Hippie-Gewand haben. Wer sich höchst vergnüglich mit einem Stück Lebens-Philosophie, nämlich der ewig aktuellen Frage „Wer bin ich?“ beschäftigen will, dem kann ich die Romane von Terry Pratchett um Tiffany Weh, und da vor allen Dingen „Die kleinen freien Männer“ und „Ein Hut voller Sterne“ nur wärmstens an Herz legen. Diese Lektüre ist jedenfalls ein wahrhaft unschuldiges Vergnügen, wie gemacht für lange, gemütliche Herbst-und Winterabende. Und das ist doch jetzt mal praktische Lebenshilfe, oder?