Renates Kolumne: Irgendwann musste es ja passieren!

Nun ist es also so weit! Dabei stärke ich mein Immunsystem täglich mit Lippenstift und Wimperntusche und gehe konsequent overdressed aus dem Haus (was für Churchill „No sports!“ war, ist für mich „No Jeans!“). Andere maskieren sich, ich nehme einen eleganten Schal, jedem das Seine. Eine Zeitlang habe ich sogar versucht, es mit Humor zu tragen, dass ich mich auf jedes Betreten des Supermarktes vorbereite wie auf einen Banküberfall. Gestatten, Granny von Butch Cassidy and the Sundance Kid! Und nun das! Man glaubt ja so lange, man sei gegen was auch immer gefeit, bis es einen schließlich und endlich doch erwischt. „Es hat mich kalt erwischt“, sagt man dann gern. Die Steigerungsform des denkbar schlechtesten aller möglichen Ereignisse ist eigentlich nur noch „Es hat mich eiskalt erwischt!“
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Dass es mich sozusagen unter dem absoluten Nullpunkt erwischt hat, konnte ich auch vor mir selbst nicht mehr verleugnen, als ich mich dabei erwischte, den Besenschrank aufzuräumen. Wenn Ihnen jetzt nicht heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel entwischt, dann nur, weil Sie meinen Besenschrank nicht kennen.

Ja, ich hab‘ ihn jetzt auch – den Corona-Blues. Während ich persönlich nur zwei Menschen kenne, die sich tatsächlich mit dem Virus infiziert hatten – beide längst wieder genesen - kenne ich praktisch niemanden, der den dazugehörigen Blues nicht hat. Und so wie es aussieht, werden wir von dem auch nicht so schnell wieder genesen.

Meine Symptome hatten sich ja eigentlich schon seit längerer Zeit angekündigt: Ich habe mir sämtliche Folgen sämtlicher acht Staffeln „Castle“ angeguckt, fast hätte ich bitterlich geweint, als ich das Pariser Hotel für das verlängerte Wochenende im Juni stornierte, die Läden sind wieder auf, aber ich habe absolut keine Lust, hinzugehen, ich bin schon so sozial distanziert, dass noch nicht einmal mehr der Impuls, meine Freunde zu umarmen, vorhanden ist, ich fühle mich ratlos und entwurzelt und was das Schlimmste ist, mein Unfreundlichkeitspegel nähert sich langsam dem der Verkäuferinnen und Kassiererinnen an, die die Kunden anraunzen wegen nichts und wieder nichts: Was ist das für eine merkwürdige Welt geworden?

So richtig ausgebrochen sind meine Symptome, als ich in der „Zeit“ vom 20. Mai las, was der Konstanzer Professor für Neuere Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaften Albrecht Koschorke zur Corona-Pandemie zu sagen hatte: „(… die Corona-Krise) … wird keine völlig neuen Realitäten erschaffen, sondern beschleunigen, was ohnehin schon im Gang ist: ökonomische Konzentration und Machtzuwachs digitaler Monopole; weiterer Niedergang des Kleinunternehmertums einschließlich der Prekarisierung derjenigen, die davon leben; Verödung der Innenstädte; Einübung der Umgangsweisen eines kühleren und berührungslosen geselligen Verkehrs. Auf der anderen Seite: Zuwachs der Beziehungsportale und erotischen Tauschbörsen im Internet; zunehmende Integrationskraft digitaler Vergemeinschaftungen; vermehrte Entstehung virtueller, im physischen Nahraum unsichtbarer Kollektive.“ Und da hat er noch gar nichts zum Elend der Künstler und der Kultur gesagt… Nichts über die immer erfolgreicheren Bemühungen Chinas, seinen Macht- und Einflussbereich, koste es, was es wolle, auszudehnen…Sowie kein Wort darüber, was gerade unseren Kindern angetan wird…

Man möchte nur noch weglaufen. Nur ist das a) keine Lösung und b) gibt es keinen Ort, wo man hinlaufen könnte. Da war der Moment gekommen, den Besenschrank aufzuräumen. Wenn Sie in der nächsten Kolumne lesen sollten, dass unser Keller nicht wiederzuerkennen ist, wissen Sie, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis der Schreibtisch meines Mannes dran ist. Von da bis zum Gattenmord ist dann auch nur noch ein kleiner Schritt…