Konflikte lösen

| Ulrich Dehner
Wir leben in einer konfliktbeladenen Zeit. Auch wenn Konflikte schon immer zum Leben dazugehörten – nicht umsonst stehen Kain und Abel am Beginn der biblischen Menschheitsgeschichte, und die Götter des Olymp waren, was das gewaltsame „Lösen“ von Konflikten betrifft, auch keine Pfarrerstöchter – gewöhnt man sich recht schlecht an sie. Zum Glück, denn sie machen das Leben weder einfacher noch besser. Dabei geht es auch anders als mit purem Durchsetzungswillen! Weshalb wir mit diesem Beitrag daran erinnern wollen, dass es Konfliktlösestrategien gibt, deren Anwendung dazu beiträgt, dass man mit Konflikten konstruktiv umgehen kann, wenigstens in den Büro-Etagen. Und wenn Kain und Abel die schon gekannt hätten, wäre die Sache vielleicht auch anders ausgegangen…
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Konfliktlösestrategien

Das Grundübel von Konflikten ist, dass jeder zunächst selbst verstanden werden will, bevor er bereit ist zu versuchen, den anderen zu verstehen. Ein Konflikt löst sich aber viel leichter, wenn man umgekehrt an die Sache herangeht. Dazu dienen folgende Strategien:

Fragen stellen statt zu Angriff oder Verteidigung rüsten...

... denn der Fragebedarf ist weit größer als man denkt.

Da im Konfliktfall für gewöhnlich zwei unterschiedliche „Bezugsrahmen“ vorhanden sind, ist es hilfreich, zunächst den Bezugsrahmen des anderen zu klären. Im Bezugsrahmen eines Menschen fließen Selbstbild und Weltbild zusammen, dazu kommen die Erfahrungen, die im Laufe eines Lebens gemacht wurden, sowie die Werte, die man von Eltern und anderen Autoritätsfiguren übernommen und jene, die man sich selbst angeeignet hat. Der Bezugsrahmen ist die Brille, durch die der Mensch auf die Welt schaut. Er ist ausschlaggebend für unser Denken, Handeln und Fühlen, ja sogar für unsere Wahrnehmung. Konflikte entstehen manchmal einfach dadurch, dass zwei unterschiedliche Bezugsrahmen aufeinanderprallen (Mutter verzweifelt zum heranwachsenden Sohn: „Kannst du nicht mal ein bisschen für Ordnung in deinem Zimmer sorgen?“ Sohn empört: „Ich habe heute extra aufgeräumt!“).

Um hinter den Bezugsrahmen eines Menschen zu kommen, muss man seine Worthülsen knacken. Das sind all jene Begriffe, in die jeder das hineininterpretiert, was laut seinem Bezugsrahmen da hineingehört. Solange man die Worthülsen nicht geknackt hat, weiß man gar nicht, worüber man redet. Typische Worthülsensätze: Sie brauchen für diese Arbeit viel zu viel Zeit (was genau ist „viel zu viel“?)/ Ihr Arbeitseinsatz lässt zu wünschen übrig (Woran machen Sie das fest? Was genau erwarten Sie?) / In nächster Zeit sollte es in Ihrer Abteilung einige Veränderungen geben (In welcher Zeiteinheit? Welche Veränderungen?) / Da hätte ich mehr von Ihnen erwartet (Was genau hätten Sie denn erwartet?) / Sie machen doch sowieso immer nur, was Sie wollen (um welche Handlung geht es, was bedeutet „immer“) / Sie haben Ihr Budget gewaltig überschritten (was heißt „gewaltig“ in Euro?) / Könnten Sie mir einen kleinen Gefallen tun? (was bedeutet klein?)  / Haben Sie ein wenig Zeit für mich? (wie viel Zeit genau ist „ein wenig“) / Ich bin völlig überarbeitet, mein Pensum ist riesig (was heißt „völlig überarbeitet“ in Stunden pro Tag, was ist ein „riesiges Pensum )/ Das Produkt ist sehr preisgünstig (was heißt „preisgünstig“ in Euro und im Vergleich wozu).

Durch Fragen lernt man nicht nur den Bezugsrahmen des anderen kennen, sondern man zeigt durch viele Fragen auch, dass man sich wirklich Mühe gibt, den anderen zu verstehen. Das nimmt dem Konflikt oft schon die Aggressivität. 

Beispiel: Ein Bereichsleiter hat gehört, dass sich ein Vorstand in einer Sitzung sehr abfällig über seinen Bereich geäußert hat und sich über ihn lustig gemacht hat. Daraufhin ließ er sich einen Termin bei diesem Vorstand geben und hat ihn nur befragt, was er alles an seinem Bereich auszusetzen habe, hat sich kommentarlos Notizen gemacht. Bei einem zweiten Termin erst hat er zu allem Stellung genommen, was er zu ändern gedenkt, was er anders sieht als der Vorstand. Das Gespräch wurde dadurch sehr viel kooperativer.

Die Sichtweise/ den Bezugsrahmen des anderen bestätigen...

..., trägt in einer Konfliktsituation dazu bei, dass beide Parteien sich aufeinander zu bewegen können. In einem Konflikt will man, dass der andere die eigene Sichtweise übernimmt, weil man sie für die richtige oder bessere hält. Mit diesem Ziel vor Augen, greift man die Sichtweise des anderen an. Man erreicht dadurch jedoch genau das Gegenteil. Der andere sieht sich dadurch veranlasst, seine Sichtweise zu verteidigen. Je vehementer sie angegriffen wird, desto vehementer verteidigt er sie, mit dem Ergebnis, dass sich beide Positionen verfestigen, statt sich anzunähern. Die Voraussetzung dafür, dass jemand seine Position verlassen kann, ist die grundsätzliche Akzeptanz dieser Position.

Bestätigt man dem anderen, dass seine Sichtweise eine mögliche Sichtweise ist, für die man Verständnis hat, braucht er sie nicht verteidigen, sondern kann anfangen nachzudenken.

Klären, was will der andere, was will ich

Konflikte beginnen oft damit, dass einer von beiden dem anderen einen Vorwurf macht oder Kritik äußert. Da der Kritisierte oft nicht weiß, wohin das Ganze laufen soll, nimmt er unbewusst meist schon einmal den schlimmsten Fall an, um sich innerlich dagegen zu wappnen und schießt vorsorglich dagegen. Das führt zur unnötigen Eskalation. Sinnvoller ist es, zunächst einmal genau zu erfragen, was der andere ganz konkret will. Dabei stellt sich oft heraus, dass die tatsächliche Forderung sehr viel harmloser ist als befürchtet.

Genauso wichtig, dass man selbst möglichst schnell konkret sagt, was man haben möchte, um den anderen gar nicht erst in die Situation zu bringen, sich das Schlimmste auszumalen.

Beispiel: Eine Sekretärin, die gerade unter Zeitdruck ein längeres Schriftstück fertiggestellt hat, wird von ihrem Chef darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht CI-gemäß formatiert ist. Sie befürchtet schon, alles noch einmal machen zu müssen, fragt aber nach, was genau ihr Chef jetzt von ihr erwartet. Er antwortet: „Im Moment nichts, aber es wäre gut, wenn Sie in Zukunft darauf achten könnten.“

Das dahinterliegende Interesse klären...

Immer, wenn jemand auf seiner Position beharrt, tut er das in dem Glauben, mit genau dieser Position eines seiner Probleme zu lösen. Wenn man nicht weiß, welches Problem der andere lösen will, sprich, welche Interessen sich hinter seinem Festhalten an seinem Vorschlag/seiner Sichtweise verbergen, hat man keine Möglichkeit, nach einem anderen Lösungsansatz für dieses Problem zu suchen.

Fragt man den anderen jedoch, um was es ihm eigentlich geht, warum ihm genau das so wichtig ist, öffnet sich das Feld für die Suche nach einer Lösung, die beide zufrieden stellt.

Beispiel: Ein Mitarbeiter hat seinen Urlaub gebucht. Sein Chef bittet ihn aus dringenden, betrieblichen Gründen, den Urlaub zu verschieben. Der Mitarbeiter wehrt sich. Er will seinen Urlaub nicht verschieben. Es kommt zu einem Wortgefecht, doch bevor die Situation zu eskalieren droht, fragt der Chef glücklicherweise nach, weshalb dem Mitarbeiter genau dieser Termin so wichtig ist. Es stellt sich heraus, dass es dem Mitarbeiter nur um die Mehrkosten geht. Er ist zufrieden, als sein Chef sich bereit erklärt, die zu übernehmen.

Wir haben noch mehr als die hier aufgeführten Konfliktlösestrategien in petto – weshalb wir die Reihe im nächsten Newsletter fortsetzen. Sie dürfen gespannt sein!