Ratschläge sind keine Schläge

| Ulrich Dehner
Noch immer geistert durch die Coaching-Szene ein uralter Spruch von mehr als zweifelhaftem Wert. Aber nur weil etwas gebetsmühlenartig wiederholt wird, wird es nicht richtiger. „Ratschläge sind auch Schläge“ klang irgendwie frech, griffig und pfiffig und hat die noch anti-autoritär geprägten Alt-Achtundsechziger durch den Charme der Alliteration betört. Quatsch ist der Spruch trotzdem. Warum er sich mit solcher Zähigkeit hält, ist eines der ungelösten Rätsel!
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Wenn man im Coaching tatsächlich keinerlei Ratschläge geben dürfte, würde das nur unter der einen Voraussetzung Sinn machen, dass die Klientin oder der Klient so obrigkeitshörig, eingeschüchtert und urteilsunfähig sind, dass sie nicht imstande sind zu unterscheiden, welcher Rat ihnen taugt und welcher nicht – und auch zum Ausdruck zu bringen, dass dieser Rat in ihren Augen keinen Nutzen für sie besitzt. Ich weiß nicht, mit welcher Art von Klienten die Verfechter dieser entbehrlichen Maxime es zu tun haben – die Klienten, die ich bisher hatte, waren für gewöhnlich durchaus imstande, einen Rat auf seine Verwertbarkeit für sie zu überprüfen und zu sagen: „Nein, das ist aus den und den Gründen für mich keine Option.“ Dann wissen Beide Bescheid und können gemeinsam weiter nach einer gangbaren Lösung suchen. Der Coach, der mit seinem Rat“schlag“ einen Vor“schlag“ macht, ist schließlich kein Mafia-Pate, der seinem Gegenüber ein Angebot macht, das der nicht ablehnen kann.

Auch das Argument, nur was aus Klientin oder Klient selbst herauskomme (sprich herausgekitzelt werde), werde auch umgesetzt, ist nicht stichhaltig. Mal ehrlich, wer hat noch nie von einem guten Rat profitiert? Man ist einfach nicht selbst darauf gekommen, aber es leuchtet einem sofort ein, also macht man es – fertig. Was soll das alberne Herumgeeiere, wenn der Coach längst einen praktikablen, stimmigen Lösungsansatz hat, Klientin oder Klient, weil sie in ihrem Problem-Bezugsrahmen gefangen sind, aber partout nicht auf diesen Gedanken kommen? Dann landen wir doch nur bei so zeitraubenden wie irrwitzigen Dialogen nach dem Modell „Wenn es linksrum nicht ist, wie rum könnte es denn dann sein?“ Da hätten Klientin oder Klient entschieden mehr davon gehabt, wenn der Coach ganz schlicht und ergreifend gefragt hätte: „Haben Sie es schon mal so oder so probiert?“ Ganz davon abgesehen, dass es schneller geht, hätten sie sich vermutlich nicht so dusselig gefühlt.

Und noch etwas: Wer glaubt denn ernsthaft, dass das „selbsterfundene“ Rad der Klienten um so vieles besser ist, als dasjenige, das es schon seit Jahrhunderten gibt, das der Aufmerksamkeit der Klienten bisher nur leider entgangen ist, weil sie so in ihrem Bezugsrahmen feststeckten, dass sie blind dafür waren. Denn auch dieses Phänomen kennt wahrscheinlich jeder – auch Coaches – aus eigener Erfahrung: Man hat ein Problem und dreht sich damit im Kreis und gerade, weil man sich damit so im Kreis dreht, kommt man auf den naheliegenden Ausweg nicht. Da kann der Rat eines anderen wie der Geistesblitz wirken, der einem auf die Sprünge hilft.

Selbstverständlich kann der Rat eines Coaches falsch sein – aber ich denke, man darf seine Klienten nicht entmündigen, indem man ihnen nicht zutraut, das zu erkennen und einen solchen Rat eben abzulehnen. Es sind schließlich Führungskräfte und keine Kindergartenkinder.