Renates Kolumne: Fahrbare Untersätze und ihre Implikationen – eine Studie

| Renate Dehner
Man sagt uns Deutschen ja einiges nach, manches zu Recht. Manches zu Unrecht, keinen Sinn für Humor zum Beispiel. Versteh ich nicht, ich zum Beispiel könnte mich kaputtlachen über die peinlichen Auftritte der A………r f D-Bundestagsabgeordneten im Bundestag, kann man auf Youtube sehen, müssen Sie mal gucken. Also, wenn das nicht unseren anarchischen Sinn für Humor beweist, so was ins Parlament gewählt zu haben, weiß ich auch nicht.
11_Kolumne.jpg

Eine weitere Zuschreibung betrifft unsere Unfreundlichkeit. Da müssen wir jetzt aber mal differenzieren. Solange der Durchschnittsdeutsche keinen fahrbaren Untersatz unter dem Hintern hat, kann er eigentlich ganz nett sein. Menschen lächeln sich zum Beispiel auf der Straße spontan an. Doch glauben Sie mir, mir passiert das öfter. Also nicht in Berlin, aber hier in der Provinz schon. Versuchen Sie das mal in Russland! Vor sehr vielen Jahren war ich dort mal für zwei Wochen, so viele grimmige Gesichter auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen. Es hat meinen Blick auf uns Deutsche verändert. Zugegeben, es mag herzlichere und hilfsbereitere als uns geben, aber solange wir zu Fuß unterwegs sind, kann man es mit uns aushalten.

Aber fragen Sie nicht, was passiert, sobald man uns zwei, drei oder vier Räder zur Verfügung stellt. Wir mutieren augenblicklich zu kaltherzigen Gewaltmenschen, die ihre Überlegenheit, ihren Machtanspruch, ihr Supremat über alle Wege unbedingt und ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen, koste es, was es wolle. Menschen auf Zweirädern sind in dieser Hinsicht übrigens keinen Deut besser als die von ihnen vielgeschmähten Autofahrer. Das Fahrrad von heute ist das, was in früheren Zeiten der Reichsapfel des absoluten Herrschers war.

Das Reichsapfel-Bike verleiht dem Kaiser der Straße ein berauschendes Gefühl von Macht. Und deshalb hat er Recht, immer und überall! Und wehe, man ist als Fußgänger in der misslichen Lage, seine Wege kreuzen zu müssen. Der Fahrer welchen Gefährtes auch immer fordert Rücksicht ein – auf seine Belange versteht sich! Mal ein bisschen langsamer fahren? Bremsen gar? Nicht mit mir, Freundchen! Wenn die Straße für Fußgänger gemacht wäre, hieße sie Gehweg – wobei, das fällt mir gerade auf, für Radfahrer, jedenfalls in Konstanz, bedeutet auch der Gehweg: Geh weg! Aber zackig! Ich sitze schließlich auf dem Thron, der mir das Recht einräumt, so schnell, so gedankenlos und so rücksichtslos zu fahren, wie ich will und wo ich will. Und wehe, du setzt auch nur einen Fuß auf den Radweg…

Im Sommerurlaub waren wir in Frankreich, an der übervollen, viel befahrenen Cote d’Azur. Ich erlebte einen Kulturschock! Autofahrer bremsten mit unerschütterlicher Geduld alle paar Meter für Fußgänger – egal, wie viele Autos noch hinter ihnen waren, egal, wie häufig sie das auf einer belebten Küstenstraße tun mussten. Mit nicht nachlassender Freundlichkeit hielten sie sogar dann an, wenn hinter ihnen kein weiteres Fahrzeug kam. Können Sie sich das vorstellen? Sogar wenn ein Stückchen weiter vorn eine grüne Ampel lockte, gingen sie runter vom Gas, um, unbedenklich um ihr eigenes Vorwärtskommen, die zu Tränen gerührte deutsche Fußgängerin über die Straße gehen zu lassen, obwohl die ganz artig, brav und bescheiden Straßenrand stand und es kaum glauben konnte.

Hier in Konstanz muss ich auf meinem Weg zum See eine zu Zeiten vielbefahrene Straße überqueren, die auf meiner Höhe weder Ampel noch Zebrastreifen besitzt. Sie ahnen, worauf ich hinaus will…Selbst im Regen kann man da stehen und wird im Regen stehen gelassen von den stoffeligen Piefkes! Knapp hundert Meter weiter ist eine Ampel für Autofahrer, und selbst wenn die rot(!!!) ist, glauben die Deppen, sie müssten mit Karacho darauf zu rasen. Die wenigen Freundlichen oder Vernünftigen, die einen über die Straße lassen, sind meistens Schweizer…

Aber kaum sind wir runter vom Rad, raus aus dem Auto, hat der Spuk eine Ende und wir sind wieder die netten, umgänglichen und friedfertigen Menschen, als die wir uns so gern selbst sehen - es sei denn wir gehören einer dieser unappetitlichen Parteien an, die so gern rumgrölen und rumpöbeln, versteht sich. Die brauchen noch nicht mal ein Rad.