Renates Kolumne: Ich lese gerade ein Buch über Hirnforschung…

| Renate Dehner
Ich bin mir bewusst, dass ich kein Experte bin (und für die gender-bewussten unter uns: auch keine Expertin). Wer bin ich? DIE große Frage aller Philosophie, aller Psychologie, aller Menschen. Letzten Endes läuft diese Frage hinaus auf die Frage, was ist Bewusstsein, denn ohne Bewusstsein kein Ich.
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Ich tippe mal auf folgende Antwort: Bewusstsein ist Leben. Danach zu fragen, was Bewusstsein ist, bedeutet in meinen Augen, danach zu fragen, was Leben ist. Oder hat jemand eine bessere Idee? Das eine geht nicht ohne das andere. Deshalb finde ich es wenig ergiebig, wenn Forscher zu glauben scheinen, dass sie diesem Geheimnis auf die Spur kommen, wenn sie ganz mechanistisch untersuchen, wann welches Neuron wohin feuert, welche Rezeptoren was weiterleiten, welche Synapsen dabei getroffen werden und was sich ereignet, wenn im Zellkörper Axon-Endknöpfchen eintreffen. Das erklärt doch alles noch lange nicht, weshalb das kleine Neuron überhaupt feuern KANN. Genauso wenig, wie der Urknall das Geheimnis des Universums erklärt. Da wissen wir doch auch noch lange nicht, was den Urknall veranlasst hat – außer, man schließt sich meiner streng wissenschaftlichen Theorie an, die ich an dieser Stelle schon mal formuliert habe. Nur zur Erinnerung: Der Urknall war der Moment, als dem lieben Gott der Kragen geplatzt ist, als er nicht mehr mitansehen konnte, was seine doofen Geschöpfe (unsere Vorläufer, sozusagen die Prototypen) mit der Erde angestellt hatten. Allerdings gibt zu denken, dass er beim zweiten Versuch kein bisschen erfolgreicher war… Aber damit müssen sich die Theologen befassen, kehren wir indessen zum Ausgangspunkt zurück.

Bewusstsein und Leben, das ist eine untrennbare Einheit. Daraus folgt in meinen Augen, dass man keinem Lebewesen Bewusstsein absprechen kann, auch als Hirnforscher nicht. Biologen haben herausgefunden, dass selbst pflanzliche Lebewesen Reaktionen zeigen, die sich doch nur mit Bewusstsein erklären lassen. Oder warum verhalten sich Bäume „solidarisch“? Warum reagieren Zimmerpflanzen darauf, wenn man mit ihnen spricht? Das sind Leistungen eines Bewusstseins, das sicherlich anders ist als tierisches oder menschliches. Aber es ist ein bewusstes Verhalten im Sinne von „Wissen um die Umgebung“ und darauf ansprechen.

Es mag kein willentliches Verhalten sein. Aber wer von uns Menschen ist sich denn darüber im Klaren, wieviel Prozent des eigenen, alltäglichen Verhaltens als „bewusste Willensentscheidung“ deklariert werden kann? Je mehr man darüber nachdenkt, desto unsicherer wird man doch, ob die Vorliebe für dieses, die Abneigung gegen jenes, auf eine bewusste, willentliche Entscheidung zurückzuführen ist, oder ob dafür Faktoren verantwortlich sind, die mit dem sogenannten freien Willen eher wenig zu tun haben.

Der „freie Wille“ zählt zu jenen Phänomenen, die sich immer weiter entziehen, je mehr man sie zu fassen sucht. Er ist eine Art unerwiderte Liebe. Wir sind verrückt nach ihm, wir begehren ihn leidenschaftlich, aber wenn wir ihn begrifflich trennscharf fassen wollen, ist er plötzlich ein luftiges Gebilde, das sich immerzu dem Zugriff verweigert.

Ich spreche hier wohlgemerkt nicht vom politisch definierten freien Willen – da geht es um eine ganz andere Dimension. Als politischem Subjekt steht jedem Menschen ein klar definierter freier Wille zu, in den Grenzen der allgemeinen Menschenrechte, versteht sich.

Aber wenn wir jetzt mal die Politik außen vorlassen, und nur unser alltägliches Leben und Streben betrachten? Wieviel freier Wille bleibt da? Ich weiß es nicht…

Man ist immer hin- und hergerissen, zwischen einerseits glauben (wollen), der Schöpfer des eigenen Lebens zu sein und andererseits keine Ahnung zu haben, wieviel Gen-Anteil, wieviel Erziehung, wieviel zufällig erfolgte Konditionierung eigentlich in einem steckt.

Trotzdem haben wir alle die Pflicht, tagtäglich die bewusste Entscheidung zu treffen, wie wir mit uns, mit unserer Umwelt und unseren Mitmenschen umgehen wollen – und die Ausrede, doch vielleicht gar keinen freien Willen zu haben, zählt nicht. Die berüchtigten Sachzwänge übrigens auch nicht. Wer seinen Mitmenschen und der Umwelt schadet, muss die Verantwortung dafür übernehmen. Jedenfalls sollte es so sein…

Wo bin ich mit meiner Frage nach dem Bewusstsein jetzt bloß gelandet? Da stellt sich mir doch die Frage: Ist es mir gelungen, mich nicht verständlich zu machen, obwohl ich auf verschwurbelte Experten-Sprache, Schachtelsätze und großzügige Anleihen bei der englischen Sprache (oder das, was deutsche Journalisten oder andere „Influencer“ dafür halten) verzichtet habe? Wer bin ich, was will ich und was mache ich hier eigentlich? Mir schwirren die Synapsen!