Renates Kolumne: Konstruktive Vorschläge noch und nöcher

| Renate Dehner
Die letzte Zeit hat uns gelehrt, dass wir uns von einigem, was wir so gern weiterhin geglaubt hätten, verabschieden müssen. Das brauche ich im Einzelnen gar nicht aufzuzählen, das wissen Sie selber. Aber mal ehrlich, wer hätte gedacht, dass der einst euphorische Ausruf: „Ich lebe mein Leben in vollen Zügen“ eine so drangvolle neue Bedeutung bekommen würde? In vollen Zügen genießen kann man noch nicht einmal die Fahrt zum nächsten Flughafen, denn was einen dort erwartet, ach du liebe Zeit…beim Stau auf der Autobahn sitzt man wenigstens, beim Stau in der Schlange vor Check-in und Security hingegen sitzt nur der Frust und zwar tief.
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Was ist da zu tun? „Das ganz Unglück der Menschen rührt nur daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ hat Blaise Pascal schon 1662 sehr klug erkannt und mehr als alles andere wünscht man sich im Moment natürlich, Monsieur Putin hätte sich das hinter die Ohren geschrieben, wieviel Unglück wäre den Menschen erspart geblieben! Aber lassen wir das Ekel, zurück zu uns Normalnetten: Wer vier, fünf oder mehr Stunden auf dem Flughafen verbracht hat, um schließlich seinem Flugzeug hinterherzuwinken, oder stundenlang in einer defekten Bahn ausharren musste, wäre wahrscheinlich doch lieber gemütlich zu Hause geblieben und hätte sich das Leben schön gemacht. Also läuft es dieses Jahr darauf hinaus, Urlaub auf Balkonien zu buchen? Wäre vielleicht nicht das Dümmste, aber wo findet man bei Phänomenen des Massentourismus schon Klugheit? Man vermisst sie schmerzlich, allerdings nicht nur dort.

Von Blaise Pascal stammt noch ein weiteres meiner Lieblings-Zitate: „Die Schwäche der menschlichen Vernunft kommt viel mehr bei denen zum Vorschein, die sie nicht kennen, als bei denen, die sie kennen.“ Das stelle ich einfach mal so in den Raum und jeder kann es beziehen, auf was oder wen er will. Für mich stellt es aber gleichzeitig eine Überleitung dar zu einem Thema, das nichts mit Deutschland und all seinen Unzulänglichkeiten zu tun hat, sondern auf die Insel weist, die sich seit einiger Zeit wieder ihrer splendid isolation erfreut und diesen Zustand weiter vervollkommnen möchte. Um sich noch weiter von Europa und seinen handelsüblichen Gegeben- und Gepflogenheiten zu entfernen, dafür aber an imperiale Großmachtvergangenheit, als man noch wer war, so als weißer Großbrite, anzuknüpfen, will Großbritannien seine früheren, so wunderbar einfachen und vernünftigen Maßeinheiten, mit denen sich so spielend leicht rechnen lässt, wieder einführen.

Nehmen Sie zum Beispiel Fahrenheit (okay, die Amis haben es auch noch, aber wieviel Vernunft in diesem Land herrscht, hat der Supreme Court ja gerade wieder unter Beweis gestellt)! Eine Maßeinheit, bei der der Gefrierpunkt bei 32 Grad, der Siedepunkt des Wassers bei 212 Grad liegt, ist so unpraktisch, dass es höhere Mathematik erfordert, um rauszufinden, wieviel in Fahrenheit eine angenehme Sommertemperatur von sagen wir 25 Grad Celsius ist. Aber auch die Längenmaße Meile (1,608km), Zoll (2,54cm), Foot (30,48cm) und Yard (sind 3 feet, wieviel das auf europäisch ist, müssen Sie jetzt leider selbst ausrechnen), sowie die Gewichtseinheiten Unze (28,35 g) oder Stein (1stone= 224 Unzen, ok, ich sag’s Ihnen: 6, 35029318 kg) machen so viel mehr Spaß als das langweilige metrische System, damit umgehen kann ja wirklich jeder. Da will doch so ein blitzgescheiter Kopf wie der von Boris Johnson natürlich mehr! Der will rechnen! Vor allen Dingen will er sich Chancen ausrechnen, wie er bei den Hohlköpfen, die immer noch von der imperialen Größe des Kolonialreiches träumen, Punkte machen kann.

Da Großbritannien auch einmal eine hervorragende Seemacht, die englische Flotte die Königin der Meere war, möchte ich Mister Johnson einen konstruktiven Vorschlag unterbreiten: Statt die Tageszeiten in so langweiligen Einheiten wie ten o’clock a.m. oder four o’clock p.m. oder ähnlichem anzugeben, könnte man doch zu der ehrwürdigen maritimen Einteilung in Glasen zurückkehren. Legionen von Matrosen, Unteroffizieren, Offizieren, Kapitänen und Admiralen wussten, was zwei Glasen auf der Nachtwache oder vier Glasen auf der Morgenwache geschlagen hatten. Wäre das nicht schön, wenn man auch wieder an diese glorreiche Tradition anknüpfen könnte?

Bei mir ist nun acht Glasen auf der Nachmittagswache, weshalb ich mich von Ihnen verabschiede, nicht ohne (noch ein konstruktiver Vorschlag) hinzuweisen auf die hinreißenden „Horatio Hornblower“ – Romane von C.S. Forester, die ich vor Jahren verschlungen habe und die sich immer noch eignen, eine Weile unserer merkwürdigen Realität davonzusegeln – ganz ohne Stau, gemütlich zu Hause. Danach zählen Sie die Stunden auch eine Weile in Glasen, möchte ich wetten.