Renates Kolumne: Seifenblasen

| Renate Dehner
Gerade als ich am Computer sitze und darüber nachgrüble, weshalb mir immer dann nichts einfällt, wenn ich am Computer sitze, und deshalb aus dem Fenster schaue, schweben draußen Seifenblasen vorüber. Das kommt eher selten vor, weshalb ich näher ans Fenster gehe, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Im Haus gegenüber sitzt eine junge Frau im Dachfenster – also auf der Fensterbank, mit Beinen draußen, und überhaupt viel mehr draußen als drin, denn das Dachfenster ist so klein, dass auch der Rest von ihr draußen ist.
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Sie ist quasi nur noch mit einer Pobacke mit dem Gebäude verbunden. Ein Anblick, der jemanden mit einem leichten Hang zur Höhenangst fast schwindelig werden lässt. Was macht sie da nur? So malerisch können die bunten Seifenblasen, die sie in die Luft bläst, doch gar nicht sein, um sich solch einem Risiko auszusetzen! Eine kleine falsche Bewegung, und sie landet fünfundzwanzig Meter weiter unten auf dem Asphalt! Soll ich schreien? Aber dann kriegt sie womöglich solch einen Schreck, dass die eine Pobacke auch noch den Halt verliert. Da hätten wir dann den Salat.

Während ich mir das Mädchen im Fenster anschaue, frage ich mich, ob es solche zufälligen Bilder sind, die, sagen wir mal Krimi-Autoren zu ihren Plots inspirieren. Irgendeinen Ausgangspunkt braucht es doch für die manchmal geradezu haarsträubenden Ideen, die einem gelegentlich in Büchern oder Filmen unterkommen. Ein an und für sich harmloses Bild, und schon geht die schöpferische Fantasie mit ihnen durch und durch. Der Geist schmeißt alle Turbinen an und es gibt kein Halten mehr:

Stellen Sie sich also vor, es ist nicht helllichter Tag, sondern es dämmert schon – der Sommerabend ist warm, aber in der abgelegenen Straße im vornehmsten Viertel der Stadt ist niemand mehr unterwegs. Die Stimmung ist ein bisschen unheimlich. Irgendetwas wabert durch die Luft. Die junge Frau, die schon seit längerer Zeit das Gefühl hat, verfolgt zu werden, greift zu ihrem Handy, um eine mütterliche Freundin anzurufen und um Rat, Tat und Hilfe zu bitten, denn sie hat keine Ahnung, welche Outfits in einer solchen Lage angemessen sind. Die ältere Frau will sich gerade über die unterschiedlichen Vorzüge von Jumpsuits, Hosenanzügen oder weiten Röcken, aber alles auf jeden Fall kombiniert mit Sneakern, auslassen, da hört sie vom anderen Ende der Leitung nur noch einen entsetzten Schrei, gefolgt von dem gerade noch so eben wahrnehmbaren Geräusch eines Aufpralls, dann sind sowohl das Handy als auch die junge Frau hin. Die ältere Dame, ihres Zeichens Professorin für Ägyptologie oder wahlweise mittelalterliche Religionsgeschichte und wahnsinnig schick, macht sich selbstverständlich sofort auf die Designer-Socken, um diesen Fall zu lösen. Am Ort des Geschehens, den sie dank ihres Lamborghini und ohne Rücksicht auf Geschwindigkeitsbeschränkungen noch vor der Polizei mit ihrem zwar gutaussehenden, aber leicht begriffsstutzigen Kommissar erreicht, stellt sie als erstes fest, dass die junge Freundin, übrigens Erbin eines großen Vermögens, von einer extrem seltenen aber überaus giftigen Spinne gebissen wurde, was zu sofortiger Bewusstlosigkeit und demzufolge zum tödlichen Sturz führte. Dieser Spinnenbiss, von der Polizei natürlich übersehen, ist das entscheidende Detail, sozusagen der Schlüssel zur Lösung. Denn nach hirnschmalzintensiven Recherchen und unter Entzifferung aramäischer Geheimschriften stellt sie fest: es gibt nur einen Verbrecherring, der zu einer solchen Waffe greift. Nach haarsträubenden Abenteuern, die sie durch halb Europa sowie den vorderen, mittleren und hinteren Orient führen, kann sie die Bösewichter, die mittels des Vermögens der jungen Frau die Weltherrschaft erringen wollten, dingfest machen, um am Ende dem gutaussehenden, aber leicht begriffsstutzigen Kommissar in die Arme zu fallen, der glaubhaft versichert, dass zwanzig Jahre Altersunterschied kein Problem für wahre Liebe darstellen. Happy End, außer für die junge Frau im Fenster, versteht sich.

Gegen ein entsprechendes Honorar im oberen fünfstelligen Bereich bin ich bereit, die Filmrechte zu verkaufen…Und Sie dürfen gespannt sein, was mir als nächstes einfällt, denn das Haus gegenüber (also nicht das mit dem Mädchen im Dachfenster, sondern das daneben) wird seit Monaten entkernt. Was mich seit langem intrigiert, ist, welche Unmengen an Material aus so einem Ein- oder höchsten Zweifamilienhaus herausgeholt werden können. Man glaubt gar nicht, dass das Haus noch steht, so viel, wie da inzwischen abtransportiert wurde. Sehr mysteriös! Stecken womöglich extraterrestrische Vampirkellerratten dahinter, die durch ein Loch in Zeit und Raum, begünstigt durch Falten in der einen oder anderen Dimension, aus den fernen Enden einer bislang unbekannten Galaxie kommend, in der Buchner Straße ihr Hauptquartier aufschlagen wollen? Und zu welchem finsteren Zweck? Freuen Sie sich auf den neuen Bestseller von Renee Stretching!