Was tun, wenn es im Home-Office und Home-Schooling kracht und knallt?

| Alice Dehner
Home-Office in Kombination mit Home-Schooling ist häufig eine explosive Mischung, die zu unangenehmen, nervenraubenden und auch schmerzhaften Ausbrüchen führen kann, bei denen sich hinterher alle schlecht fühlen. Situationen, bei denen sich alle schlecht fühlen, nennt man in der Transaktionsanalyse gemeinhin „Psychologische Spiele“. Wie sie entstehen können und was man dagegen tun kann, erfahren Sie beim Weiterlesen.
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Situationen, die mit Stress einhergehen, sind besonders anfällig dafür, in einem Psychologischen Spiel zu enden. Wenn man ohnehin schon unter Druck steht, reicht oft schon eine Kleinigkeit, und man verliert gänzlich die Nerven. Anna zum Beispiel braucht eigentlich absolute Ruhe, denn sie muss sich sehr konzentrieren, um die dringende Arbeit zu Ende zu bringen, die ihr Chef schon zweimal angemahnt hat. Ihr Mann Paul, ebenfalls im Home-Office, telefoniert allerdings laut im Nebenzimmer, die jüngere Tochter saust mit ihrem Bobby-Car um den Tisch im Wohnzimmer, an dem Anna arbeitet, und dann kommt auch noch die ältere Tochter und will jetzt und sofort etwas zu essen haben. Anna versucht zunächst ganz freundlich, sie auf später zu vertrösten: „Kannst du noch eine halbe Stunde warten? Dann bin ich soweit und mach dir was.“ Die Tochter mault: „Ich habe aber jetzt Hunger!“ Anna, nun schon ungeduldiger, sagt streng: „Es tut mir leid, aber du musst noch warten! Ich habe zu arbeiten!“ Die Tochter wird heftiger: „Du immer mit der blöden Arbeit! Nie hast du Zeit für mich!“ Anna wird laut: „Kannst du mal mit dem Theater aufhören! In der halben Stunde wirst du schon nicht verhungern!“ Die Tochter fängt an zu heulen: „Mir tut aber schon der Bauch weh vor Hunger!“ Davon lässt sich auch die kleine Tochter anstecken, die jetzt ebenfalls losbrüllt: „Ich habe auch Hunger und Durst!“ Bei Anna reißt endgültig der Geduldsfaden: „Verdammt und zugenäht, was ist denn das für ein Irrenhaus! Ich halte das nicht mehr aus! Ich muss diesen verdammten Bericht schreiben und ihr haltet jetzt eure Klappen und verschwindet ins Kinderzimmer, ich will euch nicht mehr sehen!“ Nun kommt Paul ins Zimmer: „Was ist das denn für ein Radau hier? Kannst du nicht EINMAL ruhig mit den Kindern reden? Ich muss schließlich dringende Telefonate erledigen. Das ewige Geschrei hier ist ja peinlich.“ Anna geht auf Paul los…

Ich erspare Ihnen, wie es weitergeht, aber seien Sie beruhigt, es sind noch alle am Leben. An diesem Beispiel lässt sich aber schön erkennen, was unter anderem zu Psychologischen Spielen, bei denen sich hinterher alle mies fühlen, führt:

Ausblenden zum Beispiel. Um ein Spiel anzufangen, kann das Ausblenden drei Bereiche betreffen: Man kann etwas an der Situation ausblenden, man kann etwas bei sich selbst ausblenden oder man kann etwas beim anderen ausblenden. Die ältere Tochter blendet aus, dass sie den falschen Zeitpunkt wählt, um etwas zu bitten. Natürlich macht sie das nicht bewusst, sie verbindet keine böse Absicht damit – trotzdem ist Ausblenden der erste Schritt ins Psychologische Spiel. Sie blendet auch aus, dass ihre Mutter gerade am Computer sitzt und arbeitet, und möglicherweise blendet sie auch aus, dass sie sich durchaus selbst etwas zu essen holen kann.

Zu dieser Ausblendung kommt hinzu, dass die Tochter ihre Mutter mit einem Bild konfrontiert, das dieser völlig unannehmbar ist, nämlich dass sie eine schlechte Mutter ist, die keine Zeit für ihre Kinder hat und die Arbeit vorzieht.

Das Spiel wird mit dem Einsatz von Absolutbegriffen noch verschärft: Immer, nie, alle, keiner, nur ein einziges Mal, jeder, niemand, ständig u.s.w., sind alles Zuschreibungen, die selten die Realität abbilden, aber dazu dienen, ein psychologisches Spiel einzuleiten oder anzuheizen, denn durch diese Verzerrungen fühlt sich der Angesprochene völlig zu Unrecht angegriffen und holt deshalb zum Gegenangriff aus.

Was tun?

Auch in außerordentlich stressigen Situationen lassen sich Psychologische Spiel schon allein dadurch umgehen oder entschärfen, wenn man frühzeitig erkennt, dass eines auf einen zukommt. Das Ausblenden, die Verzerrungen und Absolutbegriffe dienen sozusagen als Köder, um jemanden in das Psychologische Spiel zu manövrieren. Das funktioniert natürlich nur, wenn derjenige den Köder auch schluckt. Damit man einen Köder schluckt, braucht es einen ganz wesentlichen Umstand: Der Köder muss einen wunden Punkt beim Angesprochenen treffen.

Welcher wunde Punkt spielt wohl bei Anna eine Rolle?

Es ist der wunde Punkt, an dem grob geschätzt etwa neunundneunzig Prozent alle Mütter sehr empfindlich sind, wie eine alte Narbe, die quasi schon bei einer ganz leichten Brise zu schmerzen beginnt: „Ich bin eine schlechte Mutter! Ogottogottogott, es darf alles passieren, aber niemals nicht darf ich eine schlechte Mutter sein!“ Und in der obigen Situation hängt Anna gleich doppelt und dreifach in der Falle: Nicht nur, dass sie sich „nie“ um ihre Kinder kümmert, sondern „immer“ nur arbeitet. Diese Rabenmutter lässt auch noch ihre Kinder hungern! Und dann wird ihr auch noch von ihrem Mann unter die Nase gerieben, dass sie „nicht  EINmal“ anständig mit ihren Kindern reden kann“. In Klammern: „Die armen Dinger sind wahrscheinlich schon völlig traumatisiert und du bist schuld!“

Also, ganz heißer Tipp: Machen Sie sich Ihren wunden Punkt bewusst! Worauf springen Sie ganz leicht an? Wie wollen Sie auf gar keinen Fall gesehen werden? Und dann fangen Sie an mit dem Einblenden dessen, was ausgeblendet wurde.

Am besten beginnt Anna also bei sich selbst, indem sie einblendet, dass sie keineswegs eine schlechte Mutter ist, wenn sie die Kinder bittet, eine halbe Stunde Geduld zu haben. Dann kann sie ihre Tochter darauf aufmerksam machen, dass es gerade der ganz falsche Zeitpunkt ist, sie zu stören und dass sie in der Küche etwas zu essen findet. Falls es doch schon zu einem gewissen Tumult gekommen ist und Paul die Szene betritt, kann sie einblenden, dass er nicht der Einzige ist, der arbeiten muss und dass die Aussage „ewiges Geschrei“ definitiv übertrieben ist.

Was Anna retten könnte, wäre auch, wenn sie die geistige Stärke aufbringt, ihren ganzen Humor zusammenzukratzen und mit Witz auf all die Spielangebote zu reagieren. Warnung: Mit Witz, nicht mit Ironie! Ironie würde die Situation nämlich noch verschärfen. Warum das so ist, darüber sprechen wir im nächsten Beitrag.