Wir haben so coole Veranstaltungen gemacht – und trotzdem gehen die Mitarbeiter?!

Die Fluktuation vieler Unternehmen ist hoch, der Fachkräftemangel nach langer Prophezeiung da: Noch nie waren Employer Branding-Maßnahmen und Mitarbeiterbindung wichtiger. Auf tollen Veranstaltungen Werte zu propagieren, die im Unternehmen selbst gar nicht gelebt werden, erweist sich als ziemlich ungünstiger Schachzug in dieser ernstzunehmenden Lage. Wie geht es anders?
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Laut einer Studie der KfW-Förderbank und dem Institut für Wirtschaft ist der Fachkräftemangel 2022 doppelt so hoch wie das Jahr zuvor. 44 % der Unternehmen fühlen sich dadurch ausgebremst. Das Ganze produziert massive Kosten. Stepstone hat 600.000 Datensätze ausgewertet und beziffert die Kosten eines Unternehmens für eine offene Stelle auf durchschnittlich 29.000 €.

Ein Event wird’s richten

Damit diese Kosten gar nicht erst entstehen, versuchen Unternehmen der Abwanderung von Mitarbeitenden, vor allem der guten, entgegenzuwirken. Beliebt sind derzeit coole Veranstaltungen, um die Mitarbeiterbindung zu stärken und eine Identifizierung mit dem Unternehmen zu fördern. Das kann aber auch massiv nach hinten losgehen.

Veranstaltung: wow, Unternehmen: ciao

Eine Kundin, die selbst Unternehmerin und eine gute Führungskraft ist, erzählte letztens von dem Berufseinstieg ihrer Tochter. Nach dem Studium hatte sie bei einem vielversprechenden Unternehmen angefangen. Sie wurde zu einem Willkommens-Workshop eingeladen, der wahnsinnig gut gestaltet war, in dem viel über die Werte des Unternehmens und die Unternehmenskultur gesprochen wurde. Das Ganze fand zusätzlich in einem luxuriösen Ambiente statt. Sie und ihre Kollegin waren nach dem Workshop erst recht positiv auf das Unternehmen eingestimmt. Alle Unsicherheiten waren wie verflogen, stattdessen waren sie sicher: Ja, hier anzufangen, das war die richtige Entscheidung.

Doch dann kam der harte Fall: Von den beschworenen Werten konnten sie in der gelebten Praxis nicht viel erkennen. Die Tochter erzählte: „Meine Führungskraft verhält sich, als wolle sie uns rausekeln.“ Dabei werden auch in ihrem Team nach wie vor händeringend Mitarbeiter gesucht. Bedeutet: Auch das Arbeitsvolumen ist riesig. Die Bereitschaft, das aufzufangen, ist im Team gering.

Abwärtsspirale stoppen

Selbst wenn die Führungskraft großartig wäre, ist die Gefahr hoch, dass unbesetzte Stellen für die anderen eine absolute Überlastung bedeuten. 67 % der Menschen fühlen sich derzeit gestresst und fast jeder Zweite glaubt, vom Burnout bedroht zu sein. Daraus entsteht ein Rückkopplungseffekt für Unternehmen: Wenn ich sowieso schon zu wenige Mitarbeiter habe, der Workload viel zu hoch ist und mir dann auch noch welche wegen Burnout ausfallen, dann bedeutet das wiederum noch mehr Arbeit für die Verbliebenen. Eine positive Arbeitgebermarke zu prägen, kann dieser Abwärtsspirale nur schlecht entgegenwirken.

Führungskräfte sind Vorbilder

Viele Mitarbeiter kommen immer noch wegen des Unternehmens und seines Rufs – und gehen am Schluss wegen der Führungskraft. Denn diese prägen oft, welche Werte im Unternehmen tatsächlich umgesetzt werden. Aber weder alle Führungskräfte wissen, dass sie hier eine Vorbildfunktion haben, noch wissen sie, wie sie diese positiv einsetzen. Auch heute werden immer noch einfach die besten Mitarbeiter Führungskraft – ohne dafür ausgebildet zu werden.

Werte müssen gelebt werden

Werte können mit Leben gefüllt werden. Auf dem Papier klingen Werte nämlich immer recht gut, aber erstens: Papier ist geduldig, bedeutet, solange etwas auf dem Papier steht, hat sich noch lange nichts verändert. Zweitens: Werte sind oft Worthülsen, die mit eigenen Interpretationen gefüllt werden können – und diese können von Mensch zu Mensch extrem unterschiedlich sein. In der gelebten Realität wird also der Wert „wertschätzender Umgang“ in multipler Ausführung stattfinden und zu bösem Erwachen führen, sobald man damit konfrontiert wird, dass das, was man für einen wertschätzenden Umgang gehalten hat, andere überhaupt nicht so sehen.

Was heißt das konkret? Um dieses Konfliktpotenzial zu umgehen, sollte das Führungsteam gemeinsam erarbeiten, was für sie ein Wert eigentlich konkret bedeutet. Wann erleben wir einen wertschätzenden Umgang? Woran mache ich das fest? Was bedeutet das für die tagtägliche Arbeit? Wie gestalte ich in einem wertschätzen Umgang miteinander all die kleinen Kontakte und Interaktionen, die ich habe? Mit den Mitarbeitern, mit Kollegen? Etc.

Kommunikation bewusst gestalten

Dafür bedarf es einer Professionalisierung der Kommunikation. Das bedeutet nicht, dass bis dahin alles falsch gemacht wurde. Wahrscheinlich wurde sogar sehr viel intuitiv sehr richtig gemacht, aber eben unbewusst intuitiv. Professionalisierung bedeutet also, dass durch Konzepte Bewusstheit erzeugt wird, und man Tools an die Hand bekommt, um die eigene Kommunikation bewusst zu gestalten. Tägliche Reflexion ist dafür ein einfaches und wirkungsvolles Tun. Dabei sollte man sich konstant mit den Werten und wie man sie an dem Tag gelebt hat, auseinandersetzen.

Erst dann werden Veranstaltungen zu einem tollen Werkzeug, um auch Mitarbeiter für Werte zu sensibilisieren. Denn nur, wenn sie gleichzeitig erleben, dass die Werte wirklich gelebt und umgesetzt werden, kommt es zu einer positiven Stimmung, zu Identifikation mit dem Unternehmen und wahrem Purpose.

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.