Zeit für strikte Ruhe und strenge Diät!

| Alice Dehner
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Also, ich bin verwirrt - irgendeinen klaren Gedanken kann man heute nicht von mir erwarten. Ich kann irgendwie nicht so gut mit Inkongruenzen. Wenn Sachen partout nicht zusammen passen wollen. Da lese ich im Wirtschaftsteil der „Zeit“ von 12. Mai 2016, dass der Journalist einen Mann begleitet hat, auch, als der vor Studenten einer privaten Wirtschaftsuni bei Koblenz zwei Tage lang über sein Metier referierte. Als krönenden Abschluss gab der Mann zum Besten, was er für das non plus ultra und die condition sine qua non, also was er für das wichtigste überhaupt hält, um erfolgreich zu werden, zu sein und zu bleiben, nämlich - Glaubwürdigkeit! Wenn Sie den Artikel auch gelesen haben, ist das folgende für Sie natürlich keine Überraschung mehr, aber allen anderen wird der Mund offen stehen bleiben: Dieser Mann, von dem da die Rede ist, das ist kein anderer als Paul Achleitner, seines Zeichens Aufsichtsratsvorsitzender der - und jetzt halten Sie sich fest - der Deutschen Bank! Der Deutschen Bank - ich lach mich scheckig. Glaubwürdigkeit und Deutsche Bank, das ist ungefähr so ein schönes Pärchen wie Erdogan und Sinn für Humor, die chinesische KP und Achtung vor den Menschenrechten, Monsanto und Umweltschutz oder Amerika und Fairness.

Und wahrscheinlich glaubt der Mann sich selbst! Wenn man ihn kennenlernen würde, hätte man wahrscheinlich auch den Eindruck, einen freundlichen, integren, hart arbeitenden und intelligenten Menschen vor sich zu haben. Nehme ich jetzt mal an, ich kenne ihn ja nicht. Doch da ich allzeit willens bin, das Beste von meinen Mitmenschen zu denken, gehe ich davon aus, dass er sich selbst besten Gewissens als ehrlichen, guten Kerl beschreiben würde.

Also - er glaubt sich selbst, wenn er sich so reden hört. Und das ist es, was mich so verwirrt - diese Diskrepanz, die einfach nicht in mein Hirn will. Dafür gibt es ja auch noch mehr Beispiele. Es tourt zum Beispiel gerade ein Ex-Vorstand eines multinationalen deutschen Konzerns durch die Kongresse, bei welchen Anlässen er sich vermutlich bestens dafür bezahlen lässt, dass er erklärt, wie gute Führung geht. Als Kunde gewinnt man nun allerdings den Eindruck, dass dieser Konzern zu den eher schlecht geführten gehört, sehr schlecht sogar. Was tut der Mann da also? Hat er während seiner, ohne Zweifel ebenfalls fürstlich entlohnten Zeit so prima gelernt, wie man es nicht macht, dass er nun genau weiß, wie es geht? Eigentlich dachte ich, es ist umgekehrt, getreu dem ehrwürdigen Motto „Only he who is running knows a running nose…“, aber wie gesagt, ich bin verwirrt. Inkongruenzen, Sie verstehen, ich habe es ja oben schon angedeutet. Und er nun wieder glaubt sich vermutlich auch selbst, aber sowas von! Die feingedrechselten Sätze sind ja auch zu und zu schön und tönen gar so lieblich. Auch „Glaubwürdigkeit“ ist solch ein wunderbares Wort - es kleidet den Benutzer aufs vorteilhafteste und schmeichelt ganz ungemein dem Teint.

Und meinereiner bleibt verwirrt zurück. Wenn die Menschen an das glauben, was sie sagen, und das, was dabei herauskommt, trotzdem das krasse Gegenteil davon ist, wo liegt dann der Fehler? Ist es das System, das so grundfalsch ist, dass plus mal plus ausnahmsweise minus gibt? Und wenn ja, wie verändert man so ein System? Geht das überhaupt? Oder geht es gar nicht? Oder nur mit einer gewaltigen Erschütterung? Mit solch einer Mega-Krise, wie manche Ökonomen nicht müder werden, uns zu prophezeien, obwohl eigentlich keiner von denen hinhören will, die eventuell die Möglichkeit hätten, noch etwas ohne diese Katastrophe zu verändern?

Es stehen so viele unglaublich kluge Sachen in der Zeitung, geschrieben von so vielen ehrfurchtgebietend klugen Menschen, warum hilft das alles nichts? Habe ich schon erwähnt, dass ich verwirrt bin? Ich denke nach und denke nach, und komme zu keinem Ergebnis.

So viel verschärftes Nachdenken führt bei mir unfehlbar zu einem Knoten im Kopf. Ein Knoten im Kopf erfordert bei mir strikte Couch-Ruhe sowie eine strenge Diät von Whisky oder auch Whiskey - in einer solchen Notlage ist schottisch oder irisch sozusagen gehupft wie gedupft, da kann man nicht groß geschmäcklerisch sein. Ich weiß, meins ist ein sehr altmodisches Heilmittel, die laktose-intolerante junge Vegan-Generation lebt ja lieber nach dem Motto „Der beste Rausch ist ein klarer Kopf“. Aber wenn man jung ist, kann man sich Räusche halt noch leisten… Ich hingegen habe mal wieder hautnah erfahren, dass diese Zeit für mich aus und vorbei ist. Endgültig! Harmlos ging ich mit der Krone aller Ehemänner spazieren und kam an einem Grüppchen dreier etwa Zwanzigjähriger vorbei. Just in dem Moment sprach einer der drei zu einem der beiden anderen: „Dann geh doch ins Bett und leg dich schlafen, du Muschi!“ Darüber musste ich spontan laut lachen und schritt lachend vorüber. Nur um doch noch zu hören, wie eben Jener mit völlig klarem Kopf weiter sprach: „Siehst du, sogar die Alte lacht über dich!“

Ach, es geht doch nichts über den rustikalen Charme der Jugend! Oder fällt das noch unter die Kategorie „Kindermund tut Wahrheit kund“? Ich drehte mich jedenfalls um und verbeugte mich artig dankend. Es ist die Realität - ich bin keine zwanzig mehr. Nun ist die Realität, wie jeder Ire weiß, ja auch nichts anderes als jene Illusion, die durch einen Mangel an Whiskey hervorgerufen wird. Also auch aus diesem Grund - ab auf die Couch! Diese Illusion namens Realität verwirrt mich einfach zu sehr und wenn dann auch noch Mai -Temperaturen hinzukommen, die einen schaudern lassen, kann ich jedem nur whiskey-beseligt zurufen: „Ist das Wetter noch so trüb, immer hoch die Gelbe Rüb!“

Aber was mich jetzt doch noch verwirrt, wo ist eigentlich der ganze Bushmills hingekommen?