Darm ohne Charme

| Renate Dehner
Die Persönlichkeit eines Menschen ist – zumindest wird es von den Dichtern und Denkern so kolportiert, auch wenn es Leute, zufällig männlich, gibt, die offenbar etwas anderes glauben, sein edelster Teil.
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Die Persönlichkeit wird unter Schmerzen und Mühen geformt, sie ist Produkt jahre-, wenn nicht jahrzehntelanger Arbeit und Anstrengung, sowohl der eigenen als auch derjenigen, die ein familiäres oder berufliches Interesse daran hatten, dass aus dem Kind was wird. Man feilt und poliert an der Persönlichkeit, bis sie glänzt. Wobei bekanntlich nicht alles Gold ist, was glänzt. Dass das, was bei der Persönlichkeitsbildung herauskommt, nicht immer das Gelbe vom Ei ist, nun ja, das muss als bedauerliche, aber notwendige Begleiterscheinung, sozusagen als Kollateralschaden der Menschwerdung hingenommen werden. Weil die Geschmäcker nämlich verschieden sind, und was von den einen als krasse Fehlentwicklung verurteilt wird, bejubeln die anderen als Patriotismus, Cleverness oder gar Charisma. Allerdings gibt es im Großen und Ganzen einen Konsens darüber, dass ausgeprägter Egoismus, ungezügelte Gier, sowie Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen, einhergehend mit dem kompromisslosen Verfolgen eigener Interessen, Attribute einer, vorsichtig ausgedrückt, unangenehmen Persönlichkeit sind – man könnte auch Charakterschwein dazu sagen.

Wie möglicherweise aus der Kolumne des letzten Newsletters nicht ausreichend ersichtlich war, bin ich wirklich fasziniert von wissenschaftlicher Forschung und den damit erzielten, für mindestens drei Monate unerschütterbaren, nachweislich belegten, und Daten-, Fakten- und sonstwie gestützten Ergebnissen. Ziemlich ergriffen kann ich nun also Folgendes zur Kenntnis bringen: Internationale Forscherteams haben in ausgefeilten Studien ermittelt, dass die Charakterschweine möglicherweise einfach nur arme Schweine sind, und dass ihr egoistisches und rücksichtsloses Auftreten nicht auf charakterliche Mängel, sondern auf Ansteckung zurückzuführen ist. Ja, da reiben Sie sich die Augen, was?

Nicht wer für Profit selbst seine eigene Großmutter verkauft, nicht der skrupellose Ausbeuter ist der Bösewicht – der Bösewicht heißt Toxoplasma gondii. Das ist weder ein Bakterium, noch ein Virus oder Pilz, sondern ein Einzeller, und zwar einer mit einem Problem: Er muss aus Gründen der Fortpflanzung, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen, als Parasit das Verhalten seines Zwischenwirts manipulieren, um wieder zu seinem Hauptwirt zu kommen. Was man alles aus Gründen der Möglichkeit zur Fortpflanzung tut, wer wüsste das nicht besser als wir Menschen? Kann man es Toxoplasma gondii also verdenken, dass er, um zu seinem Ziel zu kommen, vor nichts zurückschreckt? Noch nicht mal vor echten Gemeinheiten? Forscher der Universität Magdeburg und des Leibniz-Instituts für Neurobiologie haben herausgefunden, dass der Parasit das Gehirn seines Zwischenwirts besetzt und die molekulare Zusammensetzung der Synapsen verändert, und zwar bleibend. Der angerichtete Schaden ist also irreversibel. Infizierte Mäuse im Labor werden deutlich risikobereiter und impulsiver. Dadurch bringen sie sich selbst in größere Gefahr, von Katzen gefressen zu werden, wodurch Toxaplasma gondii sein eigentliches Ziel erreicht, nämlich seinen Hauptwirt, den Stubentiger.

Dass die Verhaltensänderungen, die der Einzeller im Gehirn initiiert hat, im Falle des Überlebens der Maus versteht sich, erhalten bleiben, ist das wirklich Schlimme. Denn es sind nicht nur die Mäuse, die auffällige Verhaltensweisen an den Tag legen, sobald sie mit Toxoplasmose infiziert sind. Es sind auch die Menschen. Bei denen gibt es nur den Unterschied, dass sie für gewöhnlich nicht sich selbst, sondern arme Teufel, die keine Einflussmöglichkeiten haben, in Gefahr oder zu Schaden bringen. Jedenfalls ist ein internationales Forscherteam durch die kluge Beobachtung der internationalen Politik und Wirtschaft auf die Idee gekommen zu untersuchen, ob es Zufall ist, dass man sich im „Big Business“ ähnlich verhält, wie es Mäuse, Affen und Menschen tun, denen Toxoplasma gondii das Gehirn manipuliert hat.

Um die Sache kurz zu machen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem dort vorherrschenden Egoismus und der Infektionsrate mit Toxoplasmose. Auf die meist nur allzu berechtigte Frage: „Wer hat denen denn ins Gehirn geschissen?“ haben wir nun also möglicherweise eine schlüssige, wenn auch wenig zufriedenstellende Antwort.

Kleiner Vorausblick: In der nächsten Kolumne werden wir uns eingehend mit dem Thema Eigenverantwortung unter besonderer Berücksichtigung der Aspekte „Eigen – das sind meine Interessen“ und „Verantwortung – das ist das, was die anderen ausbaden müssen“ auseinandersetzen.