Eine neue Fehlerkultur etablieren: Warum es in Deutschland so schwierig ist und wie man es trotzdem schaffen kann.

Im Land der Perfektionisten scheint es besonders schwierig mit der Lern- und Fehlerkultur zu sein. Häufig höre ich von Kunden, dass sie eine bessere Fehlerkultur brauchen. Unter anderem ist dies dem Umstand geschuldet, dass man dem schnellen Wandel unserer Zeit nur begegnen kann, wenn auch schneller darauf reagiert und gelernt wird. Beides Punkte, die eine hohe Fehlertoleranz voraussetzen. Und da wird es für uns in der deutschen Kultur schwierig, da Fehler bei uns nur bedingt akzeptiert werden. Fehler oder gar ein Scheitern mit Leichtigkeit zu nehmen, wird eng. Eine Studie der Universität Hohenheim hat ergeben, dass zwar 75 % der Befragten der Meinung sind, Unternehmer, die gescheitert sind, hätten eine zweite Chance verdient, aber nur 20 % würden tatsächlich vorbehaltlos eine Geschäftsbeziehung mit jemandem eingehen, der schon mal gescheitert ist. Ich frage: Was ist so schwer daran, mit Fehlern sinnvoll umzugehen, diese als Helfer zu sehen und damit eine bessere Fehler- und Lernkultur zu etablieren? In meinem heutigen Beitrag zeige ich Ihnen Lösungsmöglichkeiten auf.
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Shutterstock.com | Jacob Lund

Kenne Deinen Perfekt-Sein-Stressor!

Wie wir mit Fehlern umgehen, hat viel mit unserem inneren Perfektionisten zu tun, der zu einem wahren Stressor werden kann. Den kennen wir in unserer Perfektions-Kultur nur zu gut. Habe ich den Anspruch, alles 150 % perfekt zu machen, ist es verflucht hart zu akzeptieren, wenn mir ein Fehler passiert ist. Solche Stressoren werden meist schon in der Kindheit durch „falsche“ Rückmeldungen auf das eigene Tun gebildet. Stellen Sie sich ein Kind vor, welches mit Bauklötzen ein wunderbar kreatives Gebilde baut. Und dann kommen Papa, Mama oder großer Bruder daher und zeigen, wie man aus Bauklötzen ein statisch perfektes Gebäude erstellt. Was lernt das Kind? Das, was du machst, ist falsch. Oder viele kennen die Situation, mit einer zwei in der Mathearbeit ganz stolz nach Hause zu kommen und die Reaktion der Eltern lautet, hättest du nicht diese blöden Schusselfehler gemacht, wäre es eine eins geworden. Und wieder lernt das Kind, gut ist nicht gut genug.

Der Perfektionismus der Eltern überträgt sich auf den Nachwuchs und manifestiert wenig hilfreiche Glaubenssätze, die unbewusst wirken. Ereignet sich im Erwachsenenalter dann auf der Arbeit ein Fehler, werden diese Perfekt-Stressoren automatisch aktiviert. Ergebnis? Ein meist unsouveräner Umgang mit eben diesem. Besonders fatal, wenn dies einer Führungskraft mit Vorbildfunktion passiert, was die Etablierung einer neuen Fehler- und Lernkultur zusätzlich erschwert.

Die Erlaubnis, 5 gerade sein zu lassen, hat fantastische Nebeneffekte.

Jeden Fehler vermeiden zu wollen und ein perfektes Ergebnis abzuliefern, welches von allen Seiten beleuchtet wurde und Entscheidungen für alle Eventualitäten absichert, bedeutet rackern, rackern, rackern. Nicht nur, dass dieser Ansatz enorm zeitintensiv und kräfteraubend ist, nein, er hilft auch in keinster Weise, auf schnelle Veränderungen mit der notwendigen Geschwindigkeit zu reagieren. Zudem fehlt Raum für Kreativität oder das Denken in unkonventionelle Lösungen.

Die Erfahrungen des Gehens auf unbekannten Wegen machte eine Kundin von mir, eine Managerin auf hoher Ebene in einem Konzern, die sehr viel Arbeit und Zeit in die Vorbereitung von Meetings mit dem Vorstand steckte, um für jede Eventualität gerüstet zu sein. Als sie im Coaching lernte, 5 auch mal gerade sein zu lassen, erkannte sie plötzlich viel mehr Chancen für das Unternehmen. Sie wurde mutiger in ihren Entscheidungen, was nicht nur ihrer Karriere zuträglich war. Es hatte den schönen Nebeneffekt, sich zusätzlich positiv auf ihre Work Life Balance auszuwirken.

Ein hoher Anspruch ist nicht gleichzusetzen mit dem Perfekt-Stressor!

Der Wunsch nach Perfektion führt meist nicht zu einem besseren Ergebnis, sondern lediglich zu einem zu großen Aufwand für ein Ergebnis, das zwar sehr ausdifferenziert ist, aber häufig nicht als Entscheidungsgrundlage dienen kann, da es zu komplex ist und das Wesentliche nicht mehr erkennbar ist.

Bei einem hohen Anspruch an die Arbeit fällt es hingegen leichter zu entscheiden, wie viel Mut zu Unsicherheiten bei welchem Thema angebracht ist. Fehler können ganz leicht als Helfer gesehen und Wesentliches von unwesentlichen Details unterschieden werden. Und das funktioniert, ohne dabei in Stress zu geraten.

Um dorthin zu kommen, also nicht mehr diesem Perfekt-Stressor hörig zu sein, sondern dem hohen Anspruch an die eigene Arbeit zu folgen, bedarf Erlaubnisse. Erlaubnisse, die jeder für sich selber formulieren oder mit Mitarbeitenden besprechen kann, bei denen man diesen Stressor vermutet. Beispiele solcher Erlaubnisse sind: „Es ist okay, mal Fünfe gerade sein zu lassen.“, „Ich darf Fehler machen.“, „Mut zur Lücke.“ Sie sollten stets individuell formuliert und in Form von Post-its am Bildschirm, Spiegel oder sonst wo platziert sein, um sich immer wieder an die eigene Erlaubnis in stressigen Situationen zu erinnern.

Bewusste kleine Fehler erhöhen die Fehlertoleranz.

Haben Sie schon einmal in einer Präsentation einen kleinen Rechtschreibfehler eingebaut? Für viele, denen ich diese Aufgabe gestellt habe, war es sehr erhellend zu merken, wie selten die Fehler erkannt werden. Aber auch die Erfahrung für sich zu machen, dass wenn der Fehler erkannt wird, ich ganz entspannt damit umgehen kann und nichts Schlimmes passiert.

Eine Coachee von mir berichtete sogar, dass in dem Moment, wo sie bewusst anfing, in Präsentationen einen kleinen Fehler einzubauen, sie beim Entwickeln dieser wesentlich kreativer wurde, da sie richtig Spaß daran entwickelte zu schauen, wo könnte ich heute einen kleinen Fehler einbauen? Sie merkte, wie sie generell Präsentationen auflockern und interessanter gestalten konnte, welche dann auch wesentlich besser ankamen. Diese Vorgehensweise half ihr, Themen auf das Wesentliche zu reduzieren und spontaner auf Rückfragen zu reagieren.

Versuchen Sie doch einmal in Ihrem Unternehmen, 5 gerade sein zu lassen und bewusst kleine Fehler einzubauen – wo sie natürlich nicht unternehmensschädlich sind. Sie werden sehen, wie schnell sich die Fehler- und Lernkultur zu einem besseren wandelt. Denn eines ist klar: Perfektion ist eine Illusion.

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.