Gentests und andere wahre Geschichten

| Renate Dehner
Für jeden, der schon mal davon geträumt hat, ein ganz anderer zu sein, gibt es gute Neuigkeiten!
Kolumne_Feb_19-1024x576.jpg

Wer schon immer wusste, dass er in Wirklichkeit ganz und gar nicht jene Couchpotato ist, als die ihn Freunde und Familie kennen, sollte augenblicklich seine Chance ergreifen und einen Gentest machen. Dann hält ihn nichts mehr auf! Er wird rennen wie ein Wiesel. Die neuen Erkenntnisse über Gene machen es möglich! Das glauben Sie nicht? Sollten Sie aber, es ist nämlich wissenschaftlich bewiesen. Und was wissenschaftlich bewiesen ist, das sollten wir glauben, nicht wahr – auf jeden Fall, wenn es uns nützt. Wenn es uns nicht nützt, sollten wir warten, bis allerneueste wissenschaftliche Untersuchungen die ersten Ergebnisse widerlegen. So etwas passiert zuverlässig und dann kann man halt denen glauben. Also glauben Sie doch einfach, was Sie wollen – jedenfalls und vor allen Dingen über sich selbst. Der einzige Haken dabei, Sie müssen sich selbst die Geschichte glaubwürdig verkaufen. Und dabei kommen nun die Gene ins Spiel.

Psychologen vom Stanford Mind and Body Lab haben die Auswirkungen von DNA-Tests untersucht. Bei zweihundert Probanden prüften sie vorgeblich, welche Ernährung und welche sportliche Aktivität am besten zu deren jeweiligen Genen passen. Deshalb führten sie DNA-Tests auf entsprechende Veranlagungen durch. Allerdings teilten sie den Probanden nicht immer die Wahrheit mit. Anschließend wurde untersucht, wie leistungsfähig die Teilnehmer auf dem Laufband waren, und wie schnell sich bei ihnen ein Sättigungsgefühl einstellt. Und, Wunder über Wunder, die mit den vermeintlich günstigen Werten liefen auf dem Laufband sehr viel ausdauernder als die, denen man erzählt hat, dass sie gewisse körperliche Risiken besäßen. Genauso verhielt es sich mit dem Sättigungsgefühl. Die, denen eine genetische Prädisposition für schnelle Sättigung untergejubelt wurde, waren nach einem Smoothie satt, wer von den Testleitern das Gegenteil erfahren hatte, fühlte sich nach dem Smoothie immer noch hungrig.

Im Prinzip sind solche Ergebnisse natürlich keine Überraschung, der Placebo-Effekt ist altbekannt. Trotzdem hat mich diese Untersuchung noch mal sehr ins Grübeln gebracht. Bin ich die, die ich bin, nur weil ich irgendwann einmal ganz bestimmten Geschichten über mich geglaubt habe? Geschichten, die andere über mich erzählt haben, Eltern, Freunde, Lehrer, was weiß ich, oder auch Geschichten, die ich mir selbst über mich zurechtgelegt habe? Im Endeffekt hieße es jedenfalls, dass ich vollkommen frei bin – frei von allen Zuschreibungen, die mich festlegen. Was ich jetzt mit dieser Freiheit mache, weiß ich noch nicht so genau – aber ich werde sie im Auge behalten. Rennen wie ein Wiesel werde ich allerdings wohl eher nicht…

Doch wenn wir uns nun auch darauf einigen, dass wir innerlich frei sind, so bleiben trotzdem die unleugbaren Äußerlichkeiten bestehen – selbst der festeste Glaube macht aus einer Knollennase kein fein ziseliertes Näschen. Da kann zwar der Operateur eingreifen, doch sind offenbar selbst die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie arg eingeschränkt. Ich weiß Bescheid, denn ich habe zu diesem Thema mal ein äußerst aufschlussreiches Gespräch belauscht.

Während ich in einer Wiener Boutique die Kleiderbestände studierte, wurde ich plötzlich sehr gefesselt vom Gespräch der Eigentümerin mit einer anderen Kundin. Bei der handelte es sich um eine sehr auffällige Erscheinung, die eindeutig oberflächenoptimiert war – modellgepflegt nennt das die Autoindustrie, wenn aus alt noch mal neu gemacht wird. Der Boutique-Eigentümerin ging es um Schlupflider, um Falten, um Verschönerung der Außenwirkung und generelle Verjüngung. Die Kundin wusste einiges Sachkundiges dazu zu sagen: „Also, da machen wir einen kleinen Schnitt hier, und dann straffen wir das dort, und dann ziehen wir hier ein paar Fäden ein, das wirkt Wunder, versichere ich Ihnen, ich verwende dazu übrigens viel längere Fäden als die meisten Kollegen, das macht eine Menge aus, zu kurze Fäden bringen gar nichts, und dann setzen wir hier noch ein paar Spritzen und da auch…“ Die Boutique-Eigentümerin, offenbar zu einer Generalüberholung entschlossen, stellte immer weitere Fragen und ich war so fasziniert, von den Kleidern auf der Stange versteht sich, dass ich gar nicht anders konnte, als zu verweilen. Aber als ich gerade begann, auch alle meine Hoffnungen betreffs ewiger Jugend auf plastische Operationen setzen zu wollen, versetzte mir diese engagierte Schönheitschirurgin einen herben Schlag. „Also bei Ihnen, da können wir einiges machen“, versicherte sie ihrer Gesprächspartnerin, „aber im Vertrauen, es gibt auch andere. Ich habe einen Klienten, der kommt seit Jahren regelmäßig zu mir und lässt sich die Falten weg spritzen und noch ein paar andere Sachen machen, aber wissen Sie, der Mann hat ein Gesicht wie ein Neandertaler, da können Sie machen, was Sie wollen. Da bin ich auch machtlos!“

Ich verließ die Boutique fluchtartig. Bevor mir irgendeine Schönheitsärztin mit bestenfalls naturidentischem Aussehen irgendwelche Geschichten über mein Gesicht erzählt – womöglich stellt sie Ähnlichkeiten mit einem Australopithecus fest, oder mit dem Homo Heidelbergensis, ich bin schließlich Mannheimerin – erzähl ich mir doch lieber selber welche, glaubwürdig oder nicht!

Besteht unser ganzes Leben überhaupt nur aus Geschichten? Was ist dafür verantwortlich, welche wir glauben wollen und welche nicht? Wer sie uns erzählt? Immerhin beweist die neueste Kommunikationsforschung – also jedenfalls sagt sie es, siehe oben – dass es praktisch unmöglich ist, eine einmal in die Welt gesetzte Behauptung je wieder los zu werden. Wussten Sie übrigens, dass Renate Dehner eine begnadete Autorin ist? Ja wirklich, ihr Schreiben besitzt Weltformat, es ist wahr!

Welche bedrohlichen Folgen das Verbreiten falscher Behauptungen haben kann, sieht man am Erfolg, den der Grötwaz in seinem eigenen Land hat. Er wiederholt auf Twitter staccato-artig seine Lügen so lange, bis es Unmengen Leute gibt, die den Unfug glauben – und was besonders perfide ist, dieser Mechanismus wird noch unterstützt durch jene Presse, die eigentlich dankenswerter Weise an der Aufdeckung seiner Lügen arbeitet. Dafür müssen sie nämlich erstmal wiederholt werden, mit dem Effekt, dass sie noch tiefer ins Bewusstsein gelangen. Und wir Menschen sind offenbar so simpel gestrickt, dass hängenbleibt, was uns nur oft genug gesagt wird. Renate Dehner ist übrigens eine Autorin von Weltgeltung, das hört man immer wieder…

PS. Und das ist jetzt wirklich eine Tatsache, Renate Dehner hat auf Amazon ein Ebook mit Vorlesegeschichten für Kinder veröffentlicht. Falls Sie also Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren haben, denen Sie gern etwas vorlesen möchten, das sich von den ewigen Zauber- und Pferdegeschichten unterscheidet, greifen Sie bei „Der Cowboy, der sein Baby dabei hat“ zu. Sie wissen ja, Renate Dehner ist eine begnadete Autorin.