Selbstmanagement und Stress

| Alice Dehner
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Stress ist ein Dauerthema, die Burnout-Fälle häufen sich, kaum ein Mitarbeiter, der nicht darüber klagt, zu viel Stress zu haben. Aber auch wenn die Arbeitsbelastung hoch ist und der Leistungsdruck zugenommen hat: Es lohnt sich, genau hinzusehen, ob und wie weit der Stress mit mangelhaftem oder ganz fehlendem Selbstmanagement verbunden ist.

Im Coaching wundere ich mich immer wieder darüber, wie viele Führungskräfte noch immer ohne ein Selbstmanagement-System arbeiten. Salopp ausgedrückt, wursteln sie mit großem Aufwand vor sich hin und raufen sich jeden Abend die Haare, weil die Fülle der Aufgaben sie überrollt. Genau diese Fülle führt, wenn man sie nicht gut organisiert, dazu, dass man ständig das bedrohliche Gefühl hat: „Irgendetwas könnte mir rausrutschen und untergehen.“

Dieses Gefühl ist ein sicheres Zeichen dafür, dass man den Überblick über die eigene Arbeit verloren hat. Das erhöht die Unsicherheit, und damit den Stress enorm. Denn wenn man nicht mehr genau weiß: „Habe ich zu diesem Thema schon etwas delegiert? Müsste ich zu diesem oder jenem nicht schon längst eine Rückmeldung haben? Was genau haben wir zum Projekt xy besprochen? Wie war da noch mal der Zeitplan?“ nimmt das die Form einer „nicht vollendeten Gestalt“ an - und aus der Gestaltpsychologie wissen wir genau, wozu das führt: Das Thema kann nicht ad acta gelegt werden, sondern drängt sich permanent als „unerledigt“ ins Bewusstsein und löst Beunruhigung aus.

Meistens kommt dann noch hinzu, dass die Führungskräfte aufgefressen werden davon, auf alles, was „dringend“ ist, zu reagieren. Das Dringende wird möglichst schnell abgearbeitet, was jedoch nur zu dem Kreislauf führt, dass immer mehr „dringend“ wird. Dabei sind es meistens nicht die dringenden Sachen, die entscheidend sind, sondern die Dinge, die wirklich wichtig sind. Eigentlich müsste sich jede Führungskraft jede Stunde oder mindestens jeden Tag fragen: „Bin ich wirklich mit den wichtigen Aufgaben beschäftigt, oder lasse ich mir gerade wieder von außen etwas vorgeben, das als dringend hingestellt wird, aber eigentlich nicht wichtig ist?“

Das scheint mir inzwischen eines der größten Probleme in unseren Büros zu sein: Kaum jemand kann noch seinen eigenen Arbeitsrhythmus aufbauen, und dadurch wirklich zügig etwas erledigen. Durch E-mails, Telefonate, hereinschneiende Kollegen oder Mitarbeiter wird der Arbeitsfluss unentwegt gestört, was nachweislich dazu führt, dass man sehr viel länger für alles braucht. Nach jedem Herausgerissen werden muss man zunächst die Konzentration erneut sammeln - und bis es soweit ist, steht schon die nächste Unterbrechung an.

Dabei weiß man inzwischen, Untersuchungen haben das gezeigt, dass Firmen, die sogenannte Stille Stunden eingeführt haben, seither deutlich produktiver arbeiten. Während dieser Stillen Stunden werden keine Telefonate entgegengenommen, E-mails werden nicht beantwortet und die Bürotür bleibt zu.

Im Coaching ist es gerade in Fällen von Schwierigkeiten mit der Work-Life-Balance jedoch immer wieder ein - erstaunliches - Thema, dass die Führungskräfte das zwar theoretisch einsehen, praktisch aber nicht einführen wollen. Sie glauben, dann ihrer Arbeit überhaupt nicht mehr hinterher zu kommen, weil sie sich von einer solchen Welle an Aufgaben überrollt fühlen. Ich vergleiche das gern mit einem fast Ertrinkenden, dem man sagt: „Nun streck endlich den Kopf aus dem Wasser und schnapp nach Luft!“ worauf er keuchend antwortet: „Keine Zeit, muss schwimmen!“

Dabei ist kaum etwas im Berufsleben so zerstörerisch wie das permanente Gefühl von Überforderung, dieser ständige Zwang darüber nachzudenken: „Habe ich alles im Griff? Habe ich alles Nötige gemacht?“ Das verfolgt viele Führungskräfte bis in den -schlechten - Schlaf hinein. Wenn man die schleichende Befürchtung hat, dass etwas Wesentliches womöglich gerade untergeht, so lässt einen das nicht in Ruhe. Wie oben schon gesagt, haben nicht abgeschlossene „Gestalten“ die Tendenz, sich immer wieder in den Vordergrund zu drängen, und wenn das tagsüber nicht geht, weil das Bewusstsein permanent mit anderem beschäftigt ist, dann eben nachts und am Wochenende. So findet man auch in der Freizeit keine Erholung mehr.

Wenn sich jemand dann doch darauf einlässt, wenigstens eine Stunde in der Woche die Tür hinter sich zu schließen, das Telefon abzustellen und sich aus dem Netz zu verabschieden, macht er schnell die verblüffende Erfahrung, wie unglaublich erleichternd das ist. Besonders, wenn man ihm dann noch dabei hilft, seine größeren und kleineren Projekte vernünftig zu strukturieren, mit klaren schriftlichen Plänen, Aufgabenverteilungen und Zeiteinteilungen. Da reichen manchmal schon ganz einfache Excel-Listen, um Ruhe und Sicherheit einkehren zu lassen. Denn das Gehirn kann entspannen, wenn es weiß, das alles Wichtige gut versorgt ist. Das Unbewusste braucht nicht mehr dauernd darauf aufmerksam zu machen, dass da noch etwas zu tun ist: Wenn eine Aufgabe schriftlich in einem System, auf das man sich verlassen kann, versorgt ist, lässt das Hirn locker. Welches System man nutzt, ist dabei völlig gleichgültig, Kladde oder Computer, alles ist gut, solange man es überhaupt macht. Wenn man zum Strukturieren ein elektronisches System nutzt, sollte es am besten eines seins, das man mit dem Smartphone verbinden kann, sodass man jederzeit, wann immer ein Gedanke, ein Einfall kommt, sich eine Notiz machen kann. Dann kann das Unbewusste sofort wieder loslassen, denn die Aufgabe ist ja versorgt, sie wird im richtigen Moment wieder auftauchen, also kann man wieder entspannen. Ich empfehle das Menschen, die bis in den Schlaf von ihren Projekten verfolgt werden, auch für nachts: Besser als sich schlaflos zu wälzen, weil man umgetrieben wird von Unerledigtem, sollte man aufstehen und sich aufschreiben, was man erledigen, bearbeiten, besprechen will, um anschließend wieder schlafen zu können.

Ich bin davon überzeugt, dass der Stress, den Führungskräfte erleben, deutlich reduziert werden könnte, wenn in den Unternehmen mehrere Stille Stunden pro Woche eingeführt würden, am besten natürlich eine pro Tag - aber selbst mit nur einer pro Woche wäre viel gewonnen.