Alteschachteln.online

| Renate Dehner
Patchwork-Familie ist einer der netteren neudeutschen Begriffe, finde ich, also viel netter als „Wutbürger“, die unsägliche „Lügenpresse“ – alles Unwörter vergangener Jahre, oder das angebliche „Unwort“ des Jahres 2019, die „Klima-Hysterie“, was mir schon allein deswegen nicht gefällt, weil dieses Wort doch anzudeuten scheint, dass jeder, der sich Sorgen um das Klima und die damit verbundenen Katastrophen macht, ein Hysteriker ist, also einer, der eigentlich einen an der Waffel hat, und ein ziemlich unnötiges Gedöns wegen nichts und wieder nichts macht.

Dabei haben doch tatsächlich die Klimawandel-Leugner einen an der Waffel, weil sie offenbar allen Ernstes glauben, dass Arbeitsplätze auf verbrannter Erde noch irgendetwas bedeuten und wirtschaftlicher Profit über alles geht. Dass der nicht mehr sprudelt, wenn unsere Erde beim Teufel ist, ist den Herrschaften entweder wurscht oder nicht bewusst. Beides spricht für einen Realitätsverlust, der mindestens soviel Krankheitswert besitzt wie die gute alte Hysterie.

Aber wo wir es jetzt gerade schon vom Teufel hatten, sei mir noch eine kleine Anmerkung gestattet, bevor ich mich meinem eigentlichen Thema zuwende. Ich bin ja, wie ich schon öfter angedeutet habe, sowenig christlich, muslimisch, buddhistisch, hinduistisch wie Anhängerin des großen Spaghetti-Monsters. Sprich, ich glaube weder an ein Leben nach dem Tod noch an ein Paradies. Aber unter uns, ich würde ganz furchtbar gern an die Hölle glauben! Die Hölle, das wäre eine Sache, die einem den Glauben an den Sinn und die Gerechtigkeit zurückgeben könnte! Wenn man sich darauf verlassen könnte, dass an diesem öden Ort ein paar von den Typen landen, deren Namen ich jetzt nicht nennen werde, die aber einen guten Teil der Verantwortung für ziemlich viel Elend tragen, ganz davon abgesehen, dass sie scheußliche Frisuren haben… Ach, was wäre das zufriedenstellend, die an einem Ort zu wissen, der heißer ist als Waldbrände und Buschfeuer.

Jetzt aber zum Thema! Wenden wir uns der Familie zu. Mit der modernen Patchwork-Familie bekommt der Spruch „Wohl dem, der eine Mutter hat – zwei wären wirklich zu viel“ eine ganz neue Aktualität. Kann einem jungen Menschen heute ja leicht passieren, dass da zwei, oder gar drei bis vier Mütter zusammenkommen. Da man sich Familie ebensowenig aussuchen kann wie alte Freunde, mit denen man auch leben muss, for the better or for the worse, kann das eine ganze schöne Belastung darstellen.

Die Söhne von Boris Becker zum Beispiel, die haben auch ziemlich viel Patchwork-Familie an der Backe. Dabei haben sie ganz offenbar mit ihrer Stamm-Mutter, wenn ich das mal so ausdrücken darf, gerade genug um die Ohren. Die gute Barbara Becker ließ verlautbaren, sie wolle jetzt, da sie wieder Single sei und „das nicht als Makel empfinde“, vermehrt für ihre Kinder da sein und ganz viel mit ihnen zusammen unternehmen. Die „Kinder“ sind zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt! Können Sie sich das Jubelgeheul vorstellen, das bei denen ausgebrochen ist bei der Vorstellung, dass Mutti sich ihnen jetzt verstärkt widmen will? Die waren wahrscheinlich sowas von außer sich vor Begeisterung – ich will mir gar nicht ausmalen, was die schlucken mussten, um wieder runterzukommen.

Ich bin ja nun schon ein bisschen in die Jahre gekommen (ein Thema, auf das ich nachher nochmal Bezug nehme), aber auch wenn es eine Weile her ist, ich kann mich noch äußerst lebhaft daran erinnern, wie ich als Zwanzig- oder gar Fünfundzwanzigjährige reagiert hätte, wenn meine Mutter mit dem Ansinnen, nun vermehrt für mich da zu sein und ganz viel mit mir zu unternehmen, an mich herangetreten wäre. Ich hätte vielleicht nicht sofort versucht, sie entmündigen zu lassen, sie aber auf jeden Fall gefragt, ob sie a) noch ganz bei Verstand ist und b) ob sie kein eigenes Leben hat. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass die Söhne Becker das Single-Dasein ihrer Mutter doch durchaus als Makel betrachten. Sie sind wahrscheinlich nur dankbar, dass die Patchwork-Mütter sie wenigstens in Ruhe lassen. Vielleicht sagen sie sich im Stillen auch eines meiner Lieblingszitate vor: „Nebst dem Verlust des Vaters ist nichts der Entwicklung eines Kindes so förderlich wie der Verlust der Mutter“. Halldor Laxness muss ein kluger Mann gewesen sein.

Als Ulrich noch Therapeut war, hat er einige erwachsene Menschen, die sich seit Jahren schlecht fühlten, weil ihre Eltern sie nie so geliebt und wahrgenommen und wertgeschätzt haben, wie sie es ohne jeden Zweifel verdient hätten, und die diesen Umstand für alles Elend in ihrem Leben verantwortlich machten, sehr schnell kuriert. Er sagte ihnen einfach, sie sollten sich mal ganz bildlich ausmalen, wie das wäre, wenn ihre Eltern jetzt voller Reue mit Sack und Pack bei ihnen ankämen mit den Worten: „Ich habe verstanden, was ich dir alles angetan habe und will jetzt alles, alles wieder gutmachen, indem ich bei dir einziehe und mich Tag und Nacht um dich kümmere!“ Das hat eigentlich alle spontan bewogen, eine Neu-Bewertung der Situation vorzunehmen. Ging ihnen danach besser. So, jetzt zu meiner anderen Ankündigung von wegen meiner fortgeschrittenen Jahre. Obwohl ich mich neulich als Internet-Analphabet geoutet habe, ist es mir dank des technical support meiner Schwiegertochter und meines Sohnes gelungen, nun einen eigenen Blog zu betreiben. Passend zu meinem Lebensalter firmiert dieser Blog unter  alteschachteln.online. Damit scheint auch die Zielgruppe für den Blog schon umrissen, aber ich würde mich natürlich außerordentlich freuen, wenn auch andere Menschen, gleich welchen Geschlechts und Alters Lust hätten, da mal reinzuschauen – Danke dafür schon mal im Voraus!