Auf das eigene Glück zielen

| Alice Dehner
Glück ist nicht nur Glückssache – es hat auch etwas mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Welche Zusammenhänge es zwischen „glückliche Zufällen“ und Persönlichkeit gibt, darum geht es im nachfolgenden Beitrag – und auch darum, wie die eigenen Ziele darin involviert sind.
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Im letzten Newsletter war die Rede von den Visionen, die man hat, und wie wichtig sie für die eigene Lebensgestaltung sein können. Dabei ging es auch darum, dass es einen Plan braucht, um die Vision, die einem am Herzen liegt, Wirklichkeit werden zu lassen. Statt Vision könnten wir auch „Ziel“ sagen. Es ist wichtig, Ziele zu haben, sonst kommt man vermutlich nicht annähernd dahin, wohin man möchte. Oder man wird von seiner Umgebung nach deren Gutdünken fremdgesteuert. Aber trifft man nicht immer wieder Menschen, denen scheinbar mühelos alles in den Schoß fällt? Die beneidenswerterweise genau an den Punkten landen, die wir schon lange anstreben, und das scheinbar ohne eigenes Zutun? Klar, es gibt Glücksfälle und die Ehrlichen unter den Erfolgreichen werden auch zugeben, dass ihnen der eine oder andere glückliche Zufall auf die Sprünge geholfen hat, ohne den sie heute nicht da wären, wo sie sind.

Aber – ja, es gibt ein Aber (zum Glück, möchte man hinzufügen) – aber es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und dem, was einem in den Schoß fällt. Und während wir keinerlei Einfluss auf des Geschickes Mächte haben, an unserer inneren Haltung können wir arbeiten. Ist vielleicht nicht einfach, aber machbar. (Wenn Sie einen guten Coach brauchen, wissen Sie ja, wo Sie einen finden…)

Wer glaubt, ein Glückspilz zu sein, erlebt tatsächlich mehr „glückliche Zufälle“, und das liegt an seiner Offenheit. Wer extravertiert ist, der ist offener zum Beispiel Fremden gegenüber und lernt deshalb mehr Menschen kennen, die ihm zu einer glücklichen Chance verhelfen können, kommt dadurch auch häufiger in den Genuss nützlicher Informationen und sieht einfach mehr. Das erstreckt sich so weit, dass bei einer Studie zu diesem Thema diejenigen, die sich selbst als Glückspilze bezeichneten, deutlich häufiger einen auf dem Weg zum Versuchsraum ausgelegten Geldschein fanden als die „Pechvögel“, die ihn regelmäßig übersahen.

Offenheit macht sich aber auch noch in anderer Hinsicht bemerkbar. Wer offen ist, kann mehr Unsicherheit und Widersprüche aushalten, legt dadurch andere Menschen nicht sofort fest und erhält sich so die Möglichkeit, sehr interessante und hilfreiche Personen kennenzulernen, die ihm völlig „unverhofft“ eine glückliche Chance bieten. Wer offen ist, der bleibt flexibel in seinem Denken und Handeln, der ist bereit, auch Umwege zu gehen, genau die Umwege, die ihn „ganz zufällig“ zu dem bringen, was sein Leben bereichert. Dieses zufällige Finden einer Kostbarkeit wird im Englischen mit „serendipity“ bezeichnet. Sehr viele nützliche Erfindungen sind ebenso der „serendipity“ zu verdanken wie Fortschritte in der Wissenschaft, erinnert sei an Penicillin, die Röntgenstrahlen, Mikrowellenherde und Aspirin, um nur einige zu nennen.

Zufälle, Umwege – und was ist jetzt mit den Zielen? Wenn man ein Ziel einmal für sich erkannt und in einer Zielvision beschrieben hat, dann muss man es auch wieder loslassen können und nicht verbissen hinterher hecheln. Ein Ziel zu haben, öffnet einem die Augen für das, was sich „zufällig“ ergibt, wenn man sich auf den Weg macht – wer gar kein Ziel hat, bemerkt die Wegweiser erst gar nicht. Aber wer nur engstirnig um seinen Erfolg kämpft, verliert die spielerische Leichtigkeit, das mindert nicht nur die Lebensfreude, sondern auch die Chance für „glückliche Zufälle“ – wer verbissen dem Glück hinterherjagt, dem kann nichts in den Schoß fallen.

So löblich eine Eigenschaft wie zielstrebiges, geschäftsmäßiges, konzentriertes Handeln sein mag - wenn es jedoch dazu führt, dass man blind wird für das, was neben dem angestrebten Ziel liegt, verhindert es schlichtweg den „glücklichen Zufall“ – denn man sieht die angebotenen Chancen nicht mehr. Sehr anschaulich wurde das in einem Experiment dokumentiert, in dem die Teilnehmer angewiesen wurden, die Fotografien zu zählen, die sich in einer Zeitung befanden, die sie vom Versuchsleiter bekamen. Es waren genau 43 Fotografien in der Zeitung, und das fanden die Teilnehmer natürlich in wenigen Minuten des Blätterns und Zählens heraus. Was die allermeisten vor lauter angestrengtem Arbeiten nicht sahen, war die große Überschrift, die sich bereits auf der zweiten Zeitungsseite befand „Hören Sie auf zu zählen. Es befinden sich genau 43 Fotos in der Zeitung!“ Und genauso übersahen sie eine halbseitige Anzeige ein paar Seiten weiter, in der es hieß „Hören Sie auf zu zählen! Sagen Sie dem Versuchsleiter, Sie hätten diese Anzeige gesehen – und kassieren Sie hundert Pfund Belohnung dafür.“ Für den Psychologen Richard Wiseman von der University of Hertfordshire, der dieses Experiment durchgeführt hat, lautet die Schlussfolgerung daraus: Es lohnt sich, gelegentlich den vorgezeichneten Weg zu verlassen. Wer sich zu sehr auf eine Aufgabe oder ein Ziel fixiert, übersieht vieles.

Eine gute Möglichkeit, sich diese Offenheit für Chancen zu erhalten oder wieder anzutrainieren, ist: Neugier. Wer neugierig ist, der verharrt nicht in festgefügten Verhaltensweisen, in der ausgetretenen (und bequemen) Routine, der lässt sich auf Neues, Ungewohntes und manchmal auch Riskantes ein – holt sich dadurch zwar gelegentlich auch eine blutige Nase, öfter aber unerwartete Erfolge, neue Horizonte, bereichernde Erlebnisse, mehr Glück und Lebenszufriedenheit. Interviews mit alten Menschen haben es gezeigt: Am Ende des Lebens werden nicht die Fehler bedauert, die man gemacht hat, sondern all die verpassten Gelegenheiten, die Chancen, die man nicht ergriffen hat. Wer vor einer „riskanten“ Entscheidung steht, kann sich fragen: „Was ist das Schlimmste, das dabei passieren kann? Und wie wahrscheinlich es, dass dieses Schlimmste eintrifft? Welche Entscheidung, welche Handlungsalternative würde ich in der Zukunft eher bereuen? Lohnt es sich nicht doch, ein wenig Zeit, Angst oder Stress zu riskieren, für das, was sich mir da bietet?“

Neugier und Offenheit als Grundhaltung dem Leben gegenüber öffnen dem „glücklichen Zufall“ die Tür. Wie kann man der Neugier auf die Sprünge helfen, wenn sie, aus Altersgründen oder warum auch immer, schon ein bisschen schwächelt? Auch da hat die psychologische Forschung eine Erkenntnis beizusteuern: Machen Sie mal etwas, von dem Sie glauben, dass es gar nichts für Sie ist. Handarbeiten sind spießig, langweilig und doof? Dachte ein 18jähriger Bodybuilder auch, als er zu Versuchszwecken zu einem 90-minütigen Häkelkurs verdonnert wurde. Und erfuhr doch Überraschendes: Häkeln ist ganz schön anstrengend für die Finger, selbst für einen Bodybuilder – es ist eine anspruchsvolle, fast meditative Tätigkeit, bei der ihm die Zeit wie im Flug verging – wenn man es richtig macht, kann man sich damit sogar selbst Flipflops herstellen! Womit er auch sofort anfing! Ein Klassik-Freund wurde zum Besuch eines Heavy-Metal-Konzerts verpflichtet, ein Sportmuffel zum Jogging und so weiter. Erstaunlicherweise fanden die Forscher in einer Befragung nach einigen Monaten heraus, dass viele der Probanden später freiwillig mit dem weitermachten, was sie ohne das Experiment niemals begonnen hätten.

Voraussetzung dafür, davon zu profitieren, dass Sie etwas für Sie „Artfremdes“ in Angriff nehmen, ist lediglich Ihre Bereitschaft, sich auf die Erfahrung wirklich einzulassen, auch wenn Sie sich etwas ausgesucht haben, das Sie als völlig langweilig befürchten, oder das Sie bisher ganz abseitig fanden, und dass Sie drei neue und interessante Aspekte finden wollen, die Sie hinterher aufschreiben oder jemandem erzählen. Nehmen Sie sich die Freiheit, mal etwas Verrücktes zu tun – es klingt doch gar nicht so schwer! Und wer weiß, welche glücklichen Zufälle sich daraus ergeben…