Die 4-Tage-Woche – sinnvoll oder überbewertet?

Derzeit gibt es viele Themen, denen Unternehmen begegnen müssen. Der Fachkräftemangel, neue Wertvorstellungen, die Erwartungen der jungen Generation und der Umgang mit dem dauernden Wandel sind nur einige davon. Eine Idee, wie Organisationen darauf reagieren können, ist die Einführung der 4-Tage-Woche bei gleichem Gehalt. Kann das funktionieren und ist dieser Ansatz sinnvoll?
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Shutterstock.com | NikAndr

Das Ringen um gute Fachkräfte ist enorm und wird voraussichtlich auch zukünftig einen großen Impact auf Unternehmen haben. Viele setzen hier auf Benefits wie den klassischen Dienstwagen, das E-Bike, neueste Technik in Form von Smartphone und Laptop oder Vergünstigungen bei Fitness-Studios und Co. Allerdings werden diese Benefits zunehmend schon Standard und sind nicht mehr ausschlaggebend dafür, ob sich jemand für das Unternehmen entscheidet. Die Grundidee dahinter ist immer die gleiche: Wie können jenseits des Gehalts Vorteile geschaffen werden.

Strukturen revolutionieren

Die 4-Tage-Woche greift hier weiter. Bei ihr geht es nicht nur um die reine Arbeitszeit, sondern generell um den Umgang mit Arbeit und ihrer Gewichtung gegenüber sozialen Verpflichtungen und Freizeit. Die damit einhergehende Frage lautet: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und leben? Die Lebenskonzepte und Wertvorstellungen verschieben sich aktuell rasant. In vergangener Zeit haben manche Menschen alles zugunsten ihrer Karriere aufgegeben. Das Familienleben hat praktisch nicht stattgefunden und es gab kaum Freizeit. Heute wird vieles anders bewertet. Der Sinn der Arbeit wird nicht mehr an der individuellen Karriere gemessen, sondern an dem Wert, den man mit seiner Arbeit für sich selbst und das Unternehmen schafft. Klassisch hierarchische Organisationsstrukturen sind aber noch immer auf das Konzept individueller Karrieren ausgerichtet. Die Idee der 4-Tage-Woche würde auch diese Strukturen revolutionieren. Das bedeutet, man müsste zum Beispiel von der Zählung der Arbeitskraft in Head Counts abrücken und könnte stattdessen die anstehende Arbeit in Arbeitsstunden bewerten und davon ausgehend überlegen, wie diese verteilt werden. Hier braucht es moderne Konzepte, Lösungen und Ideen, die noch erarbeitet werden müssen.

Einen Schritt weiterdenken

Eine 4-Tage-Woche ist mit Sicherheit nicht in jeder Branche und jedem Unternehmen umsetzbar und auch keine One-fits-all-Lösung für die momentanen und künftigen Herausforderungen. Gerade weil sie so tief in die etablierten Strukturen und Systeme eingreift, die klassisch auf eine Arbeitswoche mit fünf oder mehr Tagen ausgerichtet ist, lohnt es sich, das Konzept einmal genauer zu hinterfragen. Es betrifft nicht nur die innerbetrieblichen Strukturen, sondern die unserer gesamten Wirtschaft, des Handels, der Erreichbarkeit, des Arbeitsschutzgesetzes usw. Dennoch und gerade deswegen ist es sinnvoll, diese Idee weiterzudenken. Worauf hätte die 4-Tage-Woche einen positiven Einfluss? Welche Faktoren würden einen Wettbewerbsvorteil generieren? Welche Herausforderungen, die wir derzeit in der Arbeitswelt haben, würden davon tangiert und könnten zu einer Lösung geführt werden?

Erkenntnisse zur 4-Tage-Woche

Kommt die 4-Tage-Woche ins Gespräch, dann sorgen sich viele Unternehmen in erster Linie um ihre Produktivität. Zwei groß angelegte Experimente in Island zeigten allerdings, dass die Produktivität nicht unter der verkürzten Arbeitszeit leidet. In einigen Fällen ist sie sogar gestiegen. Der Mythos, dass mehr Zeit am Schreibtisch automatisch zu einer höheren Produktivität führt, hält sich hartnäckig. Wenn Menschen am Fließband stehen, mag das vielleicht noch zutreffen, doch heute haben wir immer mehr Wissensarbeiter, sprich Menschen, die durch Nachdenken und Ideen Produktivität generieren. Und diese können nicht permanent ein gleiches Level aufrechterhalten. Es gibt Personen, die die Erfahrung machen, dass sie in einer verkürzten Arbeitszeit zum Beispiel aufgrund von Kindern oder Pflege von Angehörigen, in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit das gleiche oder sogar mehr schaffen als vorher. Sie sind oftmals konzentrierter, lassen sich nicht so viel ablenken und nutzen die Zeit effektiver. Auch die Sorge, dass die verkürzte Arbeitszeit das Überarbeitungsrisiko steigere, weil die gleiche Arbeit in weniger Zeit geschafft werden muss, konnte mit der Island-Studie nachhaltig entkräftet werden. In der Einführungsphase gab es zwar noch Anpassungsschwierigkeiten und dadurch ein erhöhtes Stresslevel. Doch schon kurz darauf wurden die Prozesse und Abläufe so umgestellt, dass die Arbeitszeit effizienter genutzt werden konnte. Auch wurden neue Strategien gefunden, die Arbeit zu bewältigen und die Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen optimiert. Das wiederrum hatte auch einen sehr positiven Effekt auf das Team, welches noch enger zusammenarbeitet.

Diversität wird gefördert

Zudem käme eine Reduzierung der Arbeitszeit für alle auch dem Bestreben nach mehr Diversität zugute. Würden alle weniger arbeiten, wäre es für Frauen mit Kindern wesentlich einfacher, ihren Platz im System zu finden. Argumente wie, dass Führung in Teilzeit nicht möglich sei, würden ebenfalls entkräftet. Des Weiteren hätten beide Elternteile Zeit gewonnen, sich der Familie und den Kindern zu widmen. Mit der 4-Tage-Woche würde somit eine größere Gleichheit hergestellt werden – ein großer Schritt zu mehr Gleichberechtigung.

Fazit: Mehr Zeit für Self Care und ausgeruhte Mitarbeitende

Wie schon angesprochen, lässt sich eine 4-Tage-Woche nicht überall umsetzen, doch dort, wo es möglich ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf diese Idee. Die Studie aus Island zeigt, dass die verkürzte Arbeitszeit eine exorbitant positive Auswirkung auf die Work-Life-Balance hat. Das Wohlbefinden der Mitarbeitenden hat sich massiv gesteigert, da mehr Zeit für Self Care und private Verpflichtungen eingeräumt werden konnte. Spannend ist, dass viele Menschen die gewonnene Zeit genutzt haben, um mehr zu schlafen. Im Schnitt haben die Menschen vorher etwas weniger als sieben Stunden geschlafen und sind durch die verkürzte Arbeitszeit später auf knapp acht Stunden gekommen. Und wenn man sich mit den Folgen von Schlafentzug oder wenig Schlaf auseinandersetzt, wird schnell klar, warum bei einer 4-Tage-Woche die individuelle Leistung der Einzelnen steigt. Dass Schlafentzug langfristig schädlich für die Gesundheit ist, ist wahrscheinlich allen klar. Aber es gibt auch kurzfristige Effekte, die Neurowissenschaftler schon nach nur einer schlecht geschlafen Nacht belegen können. Stellen wir uns jetzt vor, dass die meisten Leute mit vielleicht einer Stunde zu wenig Schlaf jeden Tag zur Arbeit gehen, dann sind die Effekte natürlich noch höher. Es gibt größere Schwierigkeiten, Informationen in Kontext zu setzen, die Problemlösungskompetenz sinkt, die Leistungsfähigkeit nimmt ab und man kann nicht mehr so gut mit stressigen Situationen umgehen. Das heißt, die Resilienz sinkt. Eine 4-Tage-Woche hat somit auch das Potenzial, die organisationale Resilienz zu erhöhen. Es gibt also viele gute Gründe für das eigene Unternehmen, das Konzept unter die Lupe zu nehmen und für sich zu prüfen. Zumal eine Umfrage in Deutschland ergeben hat, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer kürzere Arbeitszeiten einer Gehaltserhöhung vorziehen würden.

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.