Die Kolumne für jung und alt

| Alice Dehner
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Trotz meines fortgeschrittenen Alters fühle ich mich manchmal noch so was von jung, also so jung, dass es schon nachgerade peinlich wäre, das auszuleben. Ich meine damit nicht, dass ich gelegentlich einen Anfall von geradezu übermütiger Lebensfreude empfinde, sodass ich jubilieren könnte wie eine Feldlerche - nur dass der liebe Gott es in seiner unergründlichen Weisheit für richtig befunden hat, dass ich mehr wie eine Elster klinge, weshalb ich mich tunlichst zurückhalte und meinen Sangeslüsten nur freien Lauf lasse, wenn mich keiner hört. Aber dass ich mich auf diese Art jung fühle, ist mir nicht peinlich und das meine ich, wie gesagt, auch nicht.

Ich meine damit auch nicht, das meine beiden Lieblings-Schulfreundinnen und ich kichern können wie die Teenager, wenn wir wir uns treffen. Wirklich, wir können so albern sein, das stellt problemlos alles in den Schatten, was Sie im Fernsehen an Comedy zu sehen kriegen. Wobei - es ist zugegebenermaßen kein allzu großes Kunststück, das in den Schatten zu stellen.

Ich meine damit auch nicht, dass ich immer noch unglaublich empfänglich bin für, sagen wir mal: die Augsburger Puppenkiste, schöne Bilderbücher, Harry Potter, Osterdekoration mit herzigen Häschen, Weihnachtsdekoration mit Engeln, Rentieren, Sternen, Nikoläusen und allem, was der käufliche Edelkitsch so hergibt, und mich wie ein Kindergartenkind auf den Advent freue.

Das ist alles drei okay, dazu kann ich stehen, sitzen, liegen, dazu bekenne ich mich sozusagen in jeder Lebenslage.

Nein, was ich meine, ist dieses ganz spezielle Bedürfnis, das mich gelegentlich mal überkommt. Es ist jener fast unwiderstehliche innere Drang, mich auf den Boden zu schmeißen wie eine Dreijährige mit Tobsuchtsanfall, und nur noch zu brüllen. Kennen Sie das? Keine Sorge, Sie können ruhig nicken, es bleibt unter uns, ich erzähle es nicht weiter. Ich weiß genau, warum Dreijährige das machen! Es ist die pure, schiere Hilflosigkeit angesichts einer Umwelt, die nix versteht, die so unendlich doof ist, dass man darüber einfach nur verzweifeln kann! Das dreijährige Kind hat einen ganz klaren Plan im Kopf, wie die ideale Welt auszusehen hat: Sie wird regiert von Intelligenz, Schönheit, Liebe, Harmonie und Schokoladeneis - und dann wird es mit der Realität konfrontiert! Das Sagen haben irgendwelche Idioten und Kartoffeln mit Gemüse!

Das letzte Mal, dass ich mich wie eine Flasche mit Suser (das ist konstanzerisch für Neuen Wein) fühlte, die man zu heftig geschüttelt hat, war am 4. September 2015. Da beging ich den großen Fehler, im Süddeutschen Magazin Nummer 36 ein Interview zu lesen, geführt von einem gewissen Herrn Sven Michaelsen mit Jean Paul Gaultier, der dieses Jahr dreiundsechzig wurde. Bis dahin lief alles ganz prima, ich hatte einen normal netten Tag, war gut mit meiner Arbeit vorangekommen, auch bei gutem Appetit gewesen und freute mich ganz allgemein meines Lebens, bis ich an folgende Frage kam: „Was überwiegt an Ihren Geburtstagen: Das Glück, gefeiert zu werden, oder die Scham zu altern?“ Und schon war ich kurz davor, dass der Korken aus der Flasche flog, sozusagen.

Ja Himmelherrgottkruzifixhallelujahundnocheins! Ich könnte schon wieder schreien, nur vom noch mal Hinschreiben! Ich darf gar nicht öffentlich zum Ausdruck bringen, wie … ich diese Frage finde, sonst kriege ich noch eine Beleidigungsklage an den faltigen Hals!

Wieso, bitte schön, sollte man Scham empfinden dafür, dass man altert? Ist das irgendwie unehrenhaft? Moralisch fragwürdig? Hinterfotzig und gemein? Betrug an den Bestattungsunternehmern? Oder was? Und gibt es vor allen Dingen irgendetwas, das man tun kann, um es zu verhindern, außer dass man jung stirbt? Sehr jung stirbt - denn schließlich altert man streng genommen vom Moment seiner Geburt an! Das ist sozusagen der normale Weg alles irdischen Lebens - hat das noch niemand dem Herrn Michaelsen erklärt? Ich fasse es nicht!

Von Albert Einstein gibt es das bewunderungswürdige Zitat: Zwei Dinge sind unendlich, das All und die menschliche Dummheit, wobei ich mir beim All nicht absolut sicher bin.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, also nicht von mir - bin völlig d’accord mit Herrn Einstein, der sich hoffentlich nicht schämte, sechsundsiebzig Jahre alt zu werden.

Lieber Herr Michaelsen, ein Vorschlag zur Güte: Wenn Sie Scham darüber empfinden sollten zu altern, kaufen Sie sich vielleicht einen Strick, um sich damit zu erschießen, bevor Sie sich hinter den Zug werfen?

Um es mal angelehnt an die unsterblichen Worte des Ex-Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit auszudrücken: Ja, ich bin eine alte Schachtel, und das ist auch gut so! Ich bin da völlig schamlos.

Und außerdem: Alte Schachteln bergen doch für gewöhnlich die schönsten Überraschungen! Oder vielleicht nicht?