Die Schuldfrage ist geklärt. Recht habe ich sowieso. Nur das Problem ist nicht gelöst.

Vermutlich kennen viele von Ihnen Situationen wie diese: Ein Problem taucht in einem Team oder Projekt auf. Stante pedes wird ein Meeting einberufen, um die Situation zu besprechen und zu lösen. Alle versammeln sich, das Problem wird zur Sprache gebracht. Und dann geht es los. Die Diskussion über Schuld und Sühne ist entfacht. Jeder, dem versucht wird, den schwarzen Peter zuzuschieben, hält ein leidenschaftliches Plädoyer, um seine Unschuld zu beweisen und andere zu beschuldigen und damit den schwarzen Peter weiter zu schieben. Unter Anstrengung wird geschaut, die perfekte Rekonstruktion der Vergangenheit zu finden. Nur dummerweise sind die Erinnerungen über den Informationsfluss, die Zusammenarbeit, die Gespräche und den genauen zeitlichen Hergang völlig unterschiedlich. Dies führt unweigerlich zu der Streitfrage, wer denn nun mit seiner Rekonstruktion oder inhaltlichen Interpretation recht hat. Die nächste Stufe der Debatte ist erreicht. Nach einer Stunde ist das Meeting vorüber. Die Schuldfrage ist eventuell geklärt und vielleicht habe ja sogar ich recht. Nur das Problem ist immer noch das Problem und vor allem nicht gelöst.
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Der unbändige Wunsch, recht zu haben.

Recht haben ist ein so schönes Gefühl, dass es wohl zutiefst in unseren menschlichen Genen eingebrannt zu sein scheint. Ich gebe ganz ehrlich zu, auch ich habe wahnsinnig gerne recht. Aber recht haben ändert leider nichts. Es zeugt vielmehr von menschlicher Größe, wenn man es schafft, darauf zu verzichten. Etwas, was ich vergeblich versuche, meiner älteren Tochter beizubringen, um Streitigkeiten mit ihrer Schwester zu minimieren. In Coachings (und der Erziehung) erzähle ich gerne folgende Geschichte, um die Problematik des ständigen Rechthabenwollens zu verdeutlichen.

Die Geschichte vom Rabbi:

Der Rabbi hat eine offene Sprechstunde. Es begab sich zu einer dieser Sprechstunden, dass ein Mitglied der Gemeinde zu ihm kam und berichtete, wie schlimm sein Nachbar sei, was er alles Schreckliches getan habe, wie er sich von ihm gemobbt fühle. Zudem verspüre er das Gefühl, dass sein Nachbar völlig übergriffig mit seinem Grundstück umgehe. Der Rabbi hörte sich alles sehr aufmerksam an und sprach: „Ja, da hast du recht.“ Tief befriedigt geht der Mann nach Hause und denkt sich: „Ich bin ein glücklicher Mann. Der Rabbi hat mir recht gegeben.“

Keine halbe Stunde später steht besagter Nachbar beim Rabbi. Auch er erzählt, wie schlimm sein Nachbar sei, was er alles getan und wo er ihn sabotiert habe und wie schlimm er sich generell verhalte. Auch das hört sich der Rabbi wieder alles sehr geduldig an und sagt am Schluss: „Ja, da hast du recht.“ Auch der Nachbar geht tief befriedigt aus diesem Gespräch heraus und denkt: „Der Rabbi hat mir recht gegeben.“ Da kommt die Frau vom Rabbi zum Rabbi und schimpft: „Ich habe gerade im Hintergrund gearbeitet und beide Gespräche mitbekommen. Das kannst du doch nicht machen. Du kannst doch nicht dem einen Nachbarn sagen, er hätte recht und dann dem anderen Nachbarn auch sagen, er hätte recht.“ Auch das hört sich der Rabbi sehr geduldig an und antwortet: „Ja, da hast du recht.“

Und das Ende der Geschichte?

Recht haben ist keine Kategorie von Problemlösung. Genauso wenig wie die Schuldfrage. Nichts davon ist hilfreich für eine inhaltliche Problemlösung. Aber auch das scheint ein tiefes inneres Bedürfnis von uns Menschen zu sein, auf keinen Fall die Schuld tragen zu wollen. Solange es um die Schuldfrage geht, werde ich immer nur eine an vielen Stellen verzerrte, an anderen Stellen geschönte und oft schlicht falsche Version von der Vergangenheit erhalten.

An der Vergangenheit kann man nichts verändern. Aber man kann aus ihr lernen, wie ich mit Themen, die in der Vergangenheit entstanden sind, in der Gegenwart oder Zukunft umgehe, mit dem Ziel, die Entstehung eines Problems zukünftig zu verhindern. Möchte ich als Führungskraft Meetings zu mehr Lösungsorientierung führen, muss ich es schaffen, die Schuldfrage beiseite zu räumen und den Fokus Richtung Zukunft zu lenken. Folgende Lösungsansätze haben sich in der Zusammenarbeit mit meinen Kunden bewährt.

Garantiert funktionierende Lösungsansätze für Ihr Team.

Die Idee des hauptamtlich Schuldigen!

Führen Sie einen hauptamtlich Schuldigen ein. Das heißt, in einem Team wird rotierend jeden Monat eine Person festgelegt, die für diesen Zeitraum pauschal den Schwarzen Peter innehat. Kommt in Meetings die Schuldfrage auf, kann man ganz schnell intervenieren. „Wer war diesen Monat hauptamtlich schuldig?“ „Das ist der Hans.“ „Dann können wir die Frage ja beiseitelegen und uns direkt um die Lösungsfindung kümmern.“ Diese systemische Intervention ist extrem hilfreich, um das Augenmerk auf die Zukunft und die Problemlösung zu lenken.

Welches Ziel streben wir mit unserer Lösung an?

Bewährt haben sich folgende Fragen: „Wie soll der Zielzustand sein?“, „Wie ist es, wenn unser Problem gelöst ist?“, „Was bedeutet es für alle Beteiligten und die Abteilung in Summe?“, „Wie prägt es die weitere Zusammenarbeit im Team?“ Wenn zwischenmenschliche Themen mit einbezogen werden, erhöht dies die Chance, zukünftiges Silodenken zu vermeiden. Zwischenmenschliche Antipathien zeigen sich auf. Hier gilt es, das Team wieder näher zusammenzubringen. Je besser das gelingt, desto besser werden auch zukünftige Themen geklärt.

Wann haben wir unser Ziel und die notwendigen Zwischenschritte erreicht?

Legen Sie eine Skala von 0 bis 10 fest, wo sich das Team in Bezug auf die Problemlösung befindet. Wo steht das Projekt? Wo steht das Team? Im nächsten Zug gilt es, nach oben zu schielen und zu schauen, welche nächsten kleine Schritte gegangen werden müssen, um der Problemlösung näher zu kommen. Ich sage bewusst „näher“. Das Problem muss nicht sofort gänzlich gelöst werden, sondern es reichen 0,5 Prozentpunkte oder ein Punkt weiter auf der Skala nach oben. Häufig werden bei so einem Verfahren Ideen entwickelt, bspw., dass bestimmte Personen sich besser abstimmen müssen, gemeinsam etwas erarbeiten sollen oder Kompromisse werden gefunden. Jeder kleine Schritt ist hilfreich für den Abbau des Silodenkens, insbesondere in Projekten.

Zeigen Sie auf, was schon alles gut läuft und würdigen Sie das angemessen.

Stellen Sie im Team folgende Fragen: „Was machen wir eigentlich schon alles richtig? Wovon sollten wir mehr machen? Welche Absprachen funktionieren gut? Was können wir daraus lernen?“

Und das Wichtigste:

Geben Sie Schuldzuweisungen und Rechthaberei keinen Raum mehr!

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.