Extrem-Sportarten - Nur für Auserwählte!

| Renate Dehner
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Lesen Sie auch so gern Nachrichten von den wirklich Reichen, Schönen und Super-Performern mit exorbitant hohen Einkommen? Das gibt mir immer so ein Hochgefühl von absoluter Überlegenheit. Diese armen Menschen wünschen sich nämlich nichts mehr auf der Welt, als nicht unentwegt per Privatjet von einem Ort auf der Welt zum anderen hetzen zu müssen und statt in öden Super-Luxus-Hotels mit mindestens dreiundzwanzig Sternen von top-ausgebildetem Service-Personal von hinten bis vorne bedient und gebauchpinselt zu werden, würden sie so viel lieber eine gemütliche Mahlzeit à la Hausmannskost für ihre Familie, die ihnen selbstverständlich das allerwichtigste auf der ganzen Welt ist, mit den eigenen, wohl-manikürten Händen zubereiten. Denn dafür Zeit zu haben, da sind sich die Herrschaften alle einig, ist der wahre Luxus. Und den besitzt, dreimal dürfen Sie raten! - Ihre vor Ihnen, respektive dem Computer, sitzende, hochachtungsvoll ergebene usw., usw.

Ist das nicht fantastisch, dass ich all das habe, wovon die armen Reichen nur träumen können? Ich schwimme quasi im Überfluss! Warum nur habe ich trotzdem das Gefühl, dass keiner von denen seine Millionen oder Milliarden mit meinem Einkommen tauschen würde - selbst wenn er mein Zeit-Konto dazubekäme? Denn wirklich, ich schwöre bei allem, was mir nicht heilig ist, ich koche täglich selbst (Hausmannskost, ich kann leider nichts anderes) und ich habe echt Zeit. Sogar für meine Familie! Und das schon seit Jahrzehnten!

Allerdings - heutzutage zuzugeben, dass man Zeit hat, ist gesellschaftlich ungefähr so vernichtend, wie im 19. Jahrhundert eine Scheidung. Wenn man tatsächlich in der erniedrigenden Situation ist, keinen Wahnsinn-Stress zu haben, muss man sich augenblicklich etwas suchen, um diesen Mangel zu kompensieren. Sehr gut eignen sich dafür kostspielige, exotische Sportarten, in denen man dann aber schon zu den Top of the Tops zählen muss. Ich zum Beispiele trainiere gerade für die Weltmeisterschaft im Extrem-Entschleunigen in Verbindung mit Power-Humpeln. Das nimmt mich wahnsinnig in Anspruch und ist sooo anstrengend, also man macht sich keinen Begriff, Hochleistungssport eben! Diese Sportart eignet sich selbstverständlich nicht für jeden - einen gut ausgebildeten Hallux valgus sollten Sie schon haben. Tja, es gibt eben nichts umsonst!

Sollte Hallux valgus Ihnen ein Fremdwort sein: das ist, in knapper Verkürzung gesagt, ein großer Zeh, der eine verwerfliche Neigung zum Nebenzeh entwickelt hat und der in seiner Leidenschaft so weit geht, sich diesem Nebenzeh gewissermaßen gewaltsam aufzudrängen. Das bleibt nicht ohne Folgen für das prekäre Gleichgewicht des Fußknochenbaus, weshalb man plötzlich da unten rum Kurven entwickelt, wo auch traditionell gebaute Frauen keine haben sollten. Außerdem fühlt sich der Nebenzeh mit der Zeit so bedrängt, dass er sich nicht nur im metaphorischen Sinn gegen die Belästigungen des Großzehs aufbäumt. In schöner Solidarität, gleichsam einem „Me-too“-Aufschrei des Nachbarzehs des Nebenzehs, gerät auch der Dritte im Bunde aus den Fugen und verbiegt sich in Richtungen, die die Evolution dafür nicht vorgesehen hat. Also das Ende vom Lied ist, dass Sie ohne Schmerzen in keinen Schuh mehr reinpassen, der auch nur halbwegs akzeptabel aussieht und einem überhaupt die ganze Geherei verleidet wird.

Irgendwann denkt man „genug ist genug“ und begibt sich in die Hände eines Operateurs, der ein keilförmiges Stück aus dem Knochen des unbotmäßigen großen Zehs heraus sägt, die beiden Enden wieder zusammenfügt und mittels eines Schräubchens sozusagen bei der Stange hält. Da man jetzt erst mal immer noch nicht in eine Fußbekleidung passt, die diesen Namen verdient, weder Damenschuh noch „Kindersarg“, sondern höchstens in die entsprechende Schuhschachtel, bekommt man vom Orthopäden eine Vorrichtung, die man mittels Klettverschlüssen so am Fuß anbringt, dass man aussieht wie Ötzi, wenn er mit neuen Sandalen einen Sonntagsausflug macht. Mit diesem Outfit - und das ist bei jeder Sportart sowieso das Wichtigste, wie Sie sicher schon mitbekommen haben - hat man schon mal eine gute Voraussetzung, um mit der Disziplin des Power-Humpelns anzufangen. Die Sache mit der Extrem-Entschleunigung kommt dann eigentlich ganz von allein, das brauche ich wahrscheinlich jetzt nicht weiter ausführen.

Mit solch einem Klotz am Bein ist man bei vielen Dingen beeinträchtigt, weshalb der beste Ehemann der Welt mich am Samstag auf den Markt begleitet hat. Die freundliche Metzgerin meines Vertrauens bemerkte das mit den Worten: „So, haben Sie heute Ihren Mann mitgebracht?“ „Ja,“ wollte ich das näher erläutern, „ich bin heute behindert.“ Dass man das leicht mißverstehen konnte, habe ich erst kapiert, als die Kundin neben mir anfing, schallend zu lachen.

Übrigens ist Power-Humpeln nicht der einzige Sport, der einem in meiner Situation offen steht: Wie ich aus einem Bericht des „Südkurier“ heute entnommen habe, könnte ich wahrscheinlich eine weitere Sportart meinen momentanen körperlichen Aktivitäten hinzufügen, nämlich Berg-Wandern. Das klingt jetzt vielleicht überraschend, aber ich habe heute erfahren, dass die Alpen wandern. „Im Schnitt wandert das Gebirge im Jahr um einen halben Millimeter nordwärts und hebt sich um 1,8 Millimeter“, steht da. Also, das würde ich auch schaffen! Trotz Behinderung!