Frau Dehner bekennt sich schuldig!

| Alice Dehner
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Selbstbild und Fremdbild gehen ja oftmals ganz betrüblich auseinander, man kennt das: Die kriminellen Krawallmacher vor den weiß Gott nicht luxuriösen Unterkünften von Hilfsbedürftigen halten sich für gute Deutsche, so mancher engstirnige Pedant glaubt ein Muster an Toleranz und Offenheit zu sein, unter den bigotten Eiferern hält ein jeder sich für einen guten Christen und wie leicht passiert es nicht, dass man sich selbst als Leuchte sieht, wo alle anderen nur eine Funzel erkennen können. Zu diesen Verblendeten will man selbstverständlich keinesfalls zählen, darum bekenne ich es jetzt gleich von vornherein: Ich bin manchmal furchtbar kleinlich. Das ist kein Charakterzug, auf den ich stolz bin! Selbstverständlich würde ich lieber als großzügig über den Niederungen des Alltags schwebend gesehen werden, als jemand, dem zwar nichts Menschliches fremd ist, der aber souverän und mit unnachahmlichem Takt über alles hinweg sieht, das geeignet ist, die philosophische Nonchalance zu derangieren.

Bin ich leider nicht. Als ich neulich - mal wieder! - von einem Radfahrer wüst beschimpft wurde, weil ich auf dem fürs Radeln verbotenen Fußgängerweg nicht schnell genug zur Seite sprang, um seinem anscheinend durch die Charta der Menschenrechte verbürgten Grundrecht auf rücksichtslose Bewegungsfreiheit genügend Raum zu geben, rief ich ihm, aber behalten Sie das bitte für sich, doch tatsächlich „Blöder Hund“ hinterher. Nein, das war nicht schön, ich weiß, und keineswegs das, was man von einer gut situierten älteren Dame erwarten darf. Es entfuhr mir einfach… betrachten Sie es als Resultat einer Verdauungsstörung, hervorgerufen durch das erzwungene Hinunterschlucken der Hilflosigkeit gegenüber einer Macht, die durch das Rad unter dem, na Sie wissen schon, fängt mit A an, eine Überlegenheit für sich in Anspruch nimmt, die mir so was von gewaltig… oje, es geht schon wieder los. Dabei soll man sich doch gar nicht aufregen. Die niemals müde Wissenschaft hat ja nach kompliziertesten Versuchsreihen herausgefunden, dass es Wurscht ist, ob man seinem Ärger Ausdruck verleiht oder ihn schluckt. Krank macht beides. Man soll sich gar nicht erst ärgern, das ist der Trick. Ommmm!

Also gehen wir zu anderen Beweisen meiner Kleinlichkeit über, wenn ich jetzt schon am Beichten bin, dann richtig. Alles muss raus, wie schon der Sommerschlussverkäufer so richtig bemerkt hat.

Es war zum Beispiel vermutlich sehr pingelig, als ich im Frühling eine junge Frau korrigierte, die mit verzücktem Blick vor einer gewaltigen, voll aufgeblühten Magnolie stand und ihrem Freund, der sie liebevoll anschmachtete, zurief: „Schau doch nur, der schöne Kirschbaum!“ Ja, hätte ich die holde Unschuld etwa in dem Glauben lassen sollen, dass sich aus den vergleichsweise großen Magnolienblüten im Sommer entsprechende Früchte entwickeln würden? Mit diesen Kirschen könnte man vermutlich jemanden erschlagen - ich hätte auch schon einen Vorschlag, wen, siehe oben. Welch ein süßer Tod!

Bevor ich zur Buße zwanzig Mal „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ aufsage, muss ich noch etwas bekennen. Ich störe mich auch ein klitzekleines bisschen an dem nachlässigen Umgang mit der deutschen Sprache, der nicht nur auf der Straße - dazu später mehr - sondern auch in seriösen Zeitungen anzutreffen ist. Wobei die Journalisten natürlich nichts dafür können, wenn in Todesanzeigen immer mal wieder vom „unverhofften Ableben“ eines teuren Verblichenen zu lesen ist. Oder auch das, in meinen Augen reichlich zweideutige „Dankbar nehmen wir Abschied von…. Nur wer ihn kannte, weiß, was wir verloren haben.“ Naja, sagen wir mal so: Ich hoffe, meinen Liebsten und Nächsten fällt etwas anderes ein, sollten Sie meinen in jedem Fall verfrühten Tod per Zeitungsannonce betrauern.

Wofür sie aber sehr wohl etwas können, die Journalisten, ist folgende Aussage über ein an und für sich erfreuliches Ereignis, kürzlich in der SZ: „Das Ergebnis war besser als befürchtet“. Wie jetzt? Also ich kann verstehen, wenn Schalke 04 gute Ergebnisse des BVB Dortmund befürchtet, aber so war es nicht. Das gute Ergebnis war erwünscht, und wenn es sogar noch besser war, als erwartet, und wenn man eigentlich ein schlechtes befürchtet hat, dann sollte man als berufsmäßiger Schreiber doch in der Lage sein, das auch zum Ausdruck zu bringen, oder???

Wie schwierig es ist, sich halbwegs vernünftig auszudrücken, nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich, wurde mir deutlich, als ich kürzlich hinter zwei jungen Frauen herspazierte und gezwungenermaßen ihrem etwas einseitigen Dialog lauschen musste. Die beiden wirkten übrigens eher wie Studentinnen, sie wirkten jedenfalls nicht verwahrlost und sprachen einwandfreies, wenn auch schwer eingeschränktes, Hochdeutsch. Die eine der beiden erzählte der anderen von einer Begegnung mit einer Dritten, und zwar folgendermaßen: „Ich dann so…blablabla Wiedergabe wörtlicher Rede …Sie dann so…blablabla wörtliche Rede… ich dann so… blablabla… sie dann so… blablabla….ich dann so…“. Und immer so weiter, bis ich schließlich abgebogen bin. Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese eloquente und rhetorisch ungeheuer interessante Berichterstattung noch die nächsten zwei Kilometer so weiterging. Ich bin kleinlich, ich weiß, aber ich dachte, dass es ein Armutszeugnis ist, wenn man sich so einfallslos ausdrückt und ein Zeichen für Denkfaulheit bei der jungen Generation.

Aber dass die immer schlechter wird, wissen wir ja schon, seit sich ein eminent alter (oder ein alter eminenter?) Grieche über die Jugend beklagte - einer der wenigen verbürgten Fälle übrigens, wo sich eine langfristige Prognose der Erwartung gemäß erfüllt hat. Langfristige Prognosen sind nämlich außerordentlich schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, wie schon vor Jahrzehnten ein kluger Kopf festgestellt hat. Sie sind auch äußerst fehleranfällig, denn sie treten so gut wie nie ein. Dass das jetzt, nach zwanzig Jahren Forschung - ich bin mal wieder total ergriffen! - auch wissenschaftlich verbürgt ist, wie ich im „Wissen-Teil“ der Zeitung nachlesen konnte, lässt mich in meiner Kleinlichkeit einigermaßen perplex darüber nachgrübeln, ob manche Leute nicht wirklich etwas Besseres zu tun haben - es gäbe schließlich noch so viel, das zu erforschen sich lohnte.