Renates Kolumne: Gesichter und Zeiten

| Renate Dehner
Können Sie sich noch an Aerobic-Jane erinnern? Jane Fonda, die ihre Schauspielkarriere damit krönte, die neue Fitness-Königin zu werden? Sie ist jetzt 85 und war dieser Tage wieder in der Zeitung, weil der berühmt-berüchtigte Mörtel-Lugner sie als Begleitung in seine Loge zum gleichfalls berühmt-berüchtigten Opernball eingeladen hat.
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Er ist 90, und die Zeiten, als er mit seinem Geld die fünfzig Jahre Jüngeren ködern konnte, scheinen endgültig vorbei, aber für fünf Jahre Altersunterschied hat es immerhin noch gereicht (macht ja nichts, die Null ist er schließlich selber) – Jane Fonda also beim Wiener Opernball. Aber den obligatorischen Walzer tanzen mochte die Ex-Fitness-Queen nicht mit Mörtel, denn: „Ich habe eine künstliche Schulter, zwei künstliche Hüften, zwei künstliche Knie. Ich bin alt und ich könnte auseinanderfallen.“

Als ich das in der Zeitung las, habe ich sofort mein gesamtes Jogging-Outfit dem örtlichen Invaliden-Verein gespendet, mein Trampolin mit dem Vermerk „Zu verschenken“ auf die Straße gestellt, den Home-Trainer aufs Alteisen geworfen, sämtliche Fitness-Apps gelöscht, die Yoga-Matte auf Ebay versteigert und mein Abo im Fitness-Studio gekündigt. Ich will schließlich im Ganzen altern und nicht in Ersatzteilen.

Und wie sich am Beispiel Jane Fondas deutlich erkennen lässt, kann man nicht vorsichtig genug sein. Was nützt es, den natürlichen Verschleiß der beweglichen Teile des Körpers durch Überbeanspruchung zu beschleunigen? Da halte ich mich schon lieber an den Ausspruch einer berühmten Architektin, deren Namen ich vergessen habe, die kürzlich im Zeit- oder Süddeutsche Magazin, ich weiß nicht mehr welchem, interviewt wurde. Ich glaube, ich brauche statt Fitness ein Gedächtnis-Training – oder leiert dann mein Gehirn so aus, dass ich ein künstliches brauche? Ist dafür AI erfunden worden? Die berühmte Architektin jedenfalls sprach: „I know, how to do gemütlich.“ Der Witz war, ich hatte zuerst gelesen „I know, how to die gemütlich“ und fand das ein bemerkenswertes Bekenntnis. „Sieh an“, dachte ich, „so kann man auch an das eigene Ableben herangehen“, und nahm mir sofort vor, dem nachzueifern, schließlich bin ich nicht mehr die Jüngste. Und gemütlich zu sterben ist doch ein nacheifernswertes Lebensziel! Besser jedenfalls als fitter sterben, finde ich. Beim zweiten Hingucken bemerkte ich allerdings meinen Fehler. Der Satz ist in der korrekten Form nicht mehr ganz so spannend, finde ich, aber ihn zu beherzigen ist immer noch besser, als sich zu verrenken, bis der Chirurg kommt.

Den Chirurgen nach Möglichkeit zu vermeiden, gilt übrigens auch für den „Schönheits“-Chirurgen. Mir fallen immer wieder Frauen auf, die hatten mal ein Gesicht, während sie jetzt nur noch aussehen wie Avatare von Kim Kardashian. Das jüngste Beispiel dafür ist Madonna, ich weiß nicht, ob Sie das Foto auch in der Zeitung gesehen haben, es war auf seine Art bemerkenswert, Kunst am Bau sozusagen. Wessen Avatar Kim Kardashian eigentlich vorstellt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich tippe auf eine Manga-Figur.

Auch ohne Gesichts-Chirurgie hat die Erfahrung, wie fremd man sich selbst sein kann, ja wahrscheinlich jeder (m/w/d/Seejungfrau) von uns schon gemacht – aber dass man sich im Spiegel so überhaupt nicht bekannt vorkommt, passiert außer nun Madonna wahrscheinlich nur Richard David Precht, wenn er die Nacht durchgesoffen hat und den Rasierspiegel fragt: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Der antwortet aus verständlichem Schamgefühl nicht, woraufhin der gute Richard David sich sagt: „Kenn ich nicht, rasier ich nicht“ und gemeinsam mit dem überaus unkleidsamen Drei- oder Vier- oder Fünftage-Bart ein dämliches Pamphlet bezüglich des Ukraine-Kriegs schreibt, statt seinen Rausch auszuschlafen. Also, so stell ich mir das vor…

Da ist mir Jane-Fonda doch bedeutend lieber, die ihr heutiges Gesicht zwar auch nicht der Natur verdankt, aber zusätzlich zu einer talentierten Visagistin auch noch über eine gute Portion Selbstironie verfügt und nicht ganz doof zu sein scheint.