In aller Ruhe, doch seitlich bewegt

| Alice Dehner
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Haben Sie schon mal versucht, sich etwas zu erbeten? Falls ja, wo haben Sie das getan? Ich vermute mal, entweder in der Abgeschiedenheit Ihrer eigenen vier Wände oder aber an einem Ort, der zum Beten baulich irgendwie geeignet ist, vielleicht sogar genau zu dem Zweck errichtet wurde, unter anderem wenigstens. Ich denke da an Kirchen, Synagogen, Moscheen, Tempel oder - für Anhänger des Großen Spaghetti-Monsters - die Nudelabteilung im Supermarkt. Bei uns in Konstanz gibt es einen professionellen Zeitungsschreiber, der macht das Beten in der Bäckerei. Fragen Sie mich nicht, warum - ich bin da auch ratlos. Aber ich habe es schwarz auf weiß. Er schildert in eher dürren Worten seinen Aufenthalt in eben jener Bäckerei, in der ihn die Verkäuferin ersuchte, ihr sein Begehr mitzuteilen und zwar mit typisch Konstanzer Charme: „Wa wellet Se?“ und er schreibt dann wörtlich, Zitat „Ich erbete mir Bedenkzeit“.

Ich finde eigentlich, eine Bäckerei ist nicht gerade der ideale Ort zum Beten, aber sei’s drum, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Die Verkäuferin war wohl nicht ganz so verständnisvoll und hat, laut jenem oben schon zitierten Zeitungsschreiber, nichts Nettes „vor sich her gemurmelt“. Naja, muss jeder machen, wie er es für richtig hält, aber ich, wenn ich schon, ich murmle dann vor mich hin. Der nun schon mehrfach erwähnte Zeitungsschreiber schreibt weiter, ich zitiere wieder wörtlich „Ich bin sprachlos, stottere irgendetwas vor mir her.“ Ich nehme an, Sie verstehen jetzt, weshalb ich das Wort „Autor“ genauso sorgfältig vermieden habe wie die Bezeichnungen „Redakteur“ oder „Journalist“. Man kann es Hin- und Her wenden, wie man will: Er stottert halt nicht nur verbal…

In derselben Zeitung habe ich zu einem früheren Zeitpunkt übrigens schon mal gelesen: „Er verbetet sich…“ Seither grüble ich darüber nach, wie der Allmächtige wohl mit so einem Gebets-Irrläufer umgeht. Fragt er nochmal nach, was der Antragsteller genau wollte? Geht er mit einem Achselzucken darüber hinweg und raunzt den nächsten an: „Wa wellet Se?“ Oder kriegt der bedauernswerte Betroffene etwa doch genau das, was er sich verbetet, grad zum Trotz?

Ich bin auf der Stelle bereit zuzugeben, dass sich bei mir eine Oberlehrer-Mentalität aufs Schändlichste mit Besserwisserei verbindet, aber manche Sachen gehen mir einfach über die Hutschnur. Wenn man im Deutsch-Unterricht so gar nicht aufgepasst hat, sollte man sich seine Berufswahl sehr genau überlegen - ist jedenfalls meine Ansicht. Nun ja, ich erbitte mir Nachsicht für meine Strenge und verbitte mir gleichzeitig etwaige Unterstellungen, ich hätte mit dem lieben Gott Spott getrieben. So ein Schindluder würde ich niemals vor mir hin treiben. Wo denken Sie denn her? Aber vielleicht mache ich es lieber wie die Angehörigen eines teuren Dahingegangenen, die in ihrer Todesanzeige verkündeten „Wir trauern in aller Ruhe“, und trage meine Ansprüche an die Deutschkenntnisse von Profis in aller Stille zu Grabe.

Dabei kann man sich einem Text wie dem eingangs erwähnten noch nicht einmal auf das Autokorrektur-Programm rausreden. Das führt ja ansonsten manchmal zu sehr überraschenden Erkenntnissen. Unter einem Bild in der SZ zum Beispiel war neulich zu lesen „Es war ihm seitlich peinlich“. Ich finde, da hat er noch ganz schön Glück gehabt, oder? Bislang war mir gar nicht klar, dass das geht. Es gelingt auch nicht jedem. Wenn ich ins Fettnäpfchen trete, erwischt es mich immer frontal peinlich. Aber solange die Peinlichkeit nur seitlich an einem vorbeischrappt, kommt man ja vielleicht mit einem blauen Auto davon. Man könnte natürlich alternativ versuchen, sich ein Mauseloch zu erbeten, das sich vor einem her plötzlich auftut, um darin seitlich zu verschwinden.