Ist das Wetter noch so trüb, immer hoch die gelbe Rüb

| Renate Dehner
An diesen aufmunternden Spruch aus meiner goldenen Jugendzeit habe ich mich erinnert gefühlt, als ich am 28. Februar die Überschrift las „Die Gurke gibt’s bald ohne Plastik“.
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Man möge es meiner schmutzigen Fantasie verzeihen, dass mir dabei dann auch gleich noch das gute alte „Jute statt Gummi“ einfiel, und wer sich an den dazugehörigen uralten Flachwitz nicht erinnert: Ich werde ihn gewiss nicht aufklären! Gibt schließlich eine Untergrenze, bis wohin kultivierte ältere Damen höchstens sinken sollten, auch wenn Annegret Kramp-Karrenbauer da vielleicht ein bisschen ins Rutschen gekommen ist. Aber was soll’s – Schwamm drüber, es war schließlich Fasnacht, da kann man auch mal ein Auge zudrücken. Oder zwei.

Und außerdem ist das mit dem Geschlecht oder den Gendern, wie man heutzutage sagt, ja offenbar wirklich keine einfache Sache. Da muss man schon Experte sein, wenn man sich auf diesem glatten Terrain sicher bewegen will. Ein Reporter des „Südkurier“ war das erkennbar nicht. Also ich zitiere von Montag, dem 25. Februar 2019, erstmal die Überschrift „Rind rennt durchs Industriegebiet“. Das war insofern noch sehr klug, als „Rind“ der Oberbegriff ist und damit quasi gender-neutral. Im ersten Satz wird es schon gefährlicher, da legt der Autor sich fest: „Ein Ochse ist aus dem Hofgut R… im Norden von Überlingen ausgebüchst(sic!) und in ein Gewerbegebiet gerannt.“ Dann besinnt der Autor sich wieder auf die Neutralität: „Dort trieben Polizisten und zwei Landwirte das Tier auf das Gelände der Straßenmeisterei.“ So weit, so gut, doch nun betritt der Schreiber vermintes Gelände, nicht das der Straßenmeisterei, sondern der Geschlechtszugehörigkeit. Im letzten Satz vermeldet er nämlich: „Die Landwirte und Mitarbeiter der Straßenmeisterei konnten die Kuh schließlich beruhigen, ohne sie zu betäuben. Menschen kamen nicht zu Schaden.“

Na, Gott sei Dank, wenigstens etwas! Aber was haben die Leute mit dem armen Vieh angestellt? Eine Geschlechtsumwandlung in so kurzer Zeit, das kann doch nicht gesund sein? Oder ist das nur ein erschütterndes Beispiel der Entfremdung zwischen Mensch und Natur – Ochse, Kuh, egal, Hauptsache, heute gibt’s Boeuf Stroganoff mit Spätzle zum Mittagessen? Oder hat dem armen Mann gar das Unterbewusstsein einen bösen Streich gespielt? Bei Rindviech fiel ihm die Biologie-Lehrerin aus der sechsten Klasse ein, und das war echt eine blöde Kuh?

Obwohl, selbst das Unterbewusstsein ist heutzutage nicht mehr das, was es früher einmal war und wenn wir nicht aufpassen, können wir das bald gar nicht mehr als Entschuldigung für Freud‘sche Versprecher und andere Fehlleistungen hernehmen. Der Professor für Verhaltenswissenschaften Nick Chater hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „The mind is flat“ (erschienen 2018 bei Penguin Books). Er ist ausnahmsweise kein Amerikaner, das hätte man noch verstanden – da machte man schließlich den größten und schönsten Flachkopf ever zum Präsidenten. Nein, er ist Engländer und es geht selbstverständlich nicht um Flachköpfe in seinem gelehrten Buch, sondern darum, dass er die steile These vertritt, dass alle Welt gut hundert Jahre lang blind und ohne durch diesbezügliche Forschung die Sache zu erhärten, Siegmund Freud und seiner Theorie vom Unterbewusstsein nachgedackelt ist. Er persönlich hätte jedenfalls in Jahren des angestrengten Forschens keines gefunden. Weshalb er nun empfiehlt „die ewige Suche nach uns selbst und unserer Wahrheit“ aufzugeben. Steht man sich nur selbst im Weg mit, meint er.

Dem mag sein, wie ihm wolle, der eine Wissenschaftler vertritt dieses, der andere jenes – und wie schon der ehrwürdige Meister Ooh Jeeh, der weiseste der Weisen Chinas, sagte: „Zwei tüchtige Arbeiter können in drei Augenblicken einen Fels wegräumen, aber drei Monate reichen nicht aus, damit zwei Gelehrte sich über die Bedeutung eines einzigen Wortes einigen können“. Deshalb mischt sich diese bescheidene Person, deren nichtswürdige Zeilen vor Ihren gütigen und unendlich klarsichtigen Augen stehen, in diese Debatte gar nicht ein. Dass es genügend Flat-Minder gibt auf dieser schönen Welt, die von manchen ja für eine flat earth gehalten wird, ist eh klar. Wer weiß, vielleicht hatte Karl Kraus ja doch recht, als er anmerkte, die Psycho-Analyse sei jene Krankheit, für deren Therapie sie sich halte. Und das war vom guten Kraus ja nun echt kein Flachwitz, oder?