Jede einzelne Führungskraft kann etwas tun!

| Alice Dehner
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Der Autor eines interessanten Artikels auf „freitag.de“ geht davon aus, dass es durch unser Wirtschaftssystem zu einer immer größer werdenden Vereinzelung der Menschen kommt. Diese Vereinzelung bewirkt psychische Störungen, die in der Tat ja beobachtbar, man denke nur an die Berichte der großen Krankenkassen zu den Ursachen für Arbeitsausfälle, immer mehr Raum einnehmen. Besonders schädlich wirkt sich wohl der hohe Konkurrenzdruck aus, dem sich viele Menschen ausgesetzt sehen. In meinen Augen kam dieser hohe Konkurrenzdruck unter anderem auch dadurch zustande, dass man aus der irrtümlichen Annahme heraus, damit das Leistungsniveau zu steigern, viele Jahre lang Einzel-Zielvereinbarungen durchgeführt, und die damit verbunden hat, einen variablen Teil des Gehaltes von der Zielerreichung abhängig zu machen. Inzwischen ist, denke ich, durch viele Beispiele hinlänglich bewiesen, dass das ein Irrweg war.

Die gesamte Gesellschaft scheint sich dem Prinzip „besser, schneller, höher und vor allen Dingen mehr“ zu beugen. Denn der Konkurrenzdruck beschränkt sich ja nicht nur auf die Büros. Auch auf anderen Ebenen findet ein permanenter Vergleich statt, zum Beispiel bei den endlosen Casting- und Quiz-Shows im Fernsehen, die nicht nur diesem Prinzip „Einer gegen alle“ dienen, sondern die auch ganz unrealistische Erwartungen jedes Einzelnen an sich selbst zur Folge haben.

Neben der Vereinzelung ist eine weitere Folge der sozialen Lücke der Versuch, das, was einem fehlt, durch Konsum zu ersetzen. Diese Shopping-Manie, die man seit ein paar Jahren beobachten kann, führt aber dazu, dass man sich noch weiter voneinander entfernt, denn nun wird der soziale Status noch heftiger durch Vergleiche ermittelt: Was hat er oder sie, was ich nicht habe? Womit kann ich den oder die andere übertrumpfen? Diese Sucht nach Konsum wird eines Tages so weit gehen, dass wir alles andere verschlungen haben und schließlich anfangen müssen, uns selbst zu zerfleischen.

Der soziale Schmerz, der durch die Vereinzelung entsteht, ist durchaus mit körperlichem Schmerz zu vergleichen, denn wie die Neurowissenschaften nachweisen können, sind es dieselben Schaltkreise im Gehirn, die beide Arten von Schmerz verarbeiten. Ich denke, jeder kann das nachvollziehen, der einmal den schmerzhaften Bruch einer sozialen Beziehung durchlitten hat: Fast jeder beschreibt das mit denselben Worten, die auch körperlichen Schmerz beschreiben. Studien mit Tieren legen nahe, dass sozialer Schmerz sogar schlimmer für soziale Wesen ist als körperliche Schmerzen. In Experimenten (und man möchte wirklich nicht wissen, was für Experimente das waren, Gott sei’s geklagt) fand man heraus, dass Tiere, vor die Wahl zwischen sozialer Isolation und körperlichen Schmerzen gestellt, sich für die Schmerzen entschieden.

Soziale Isolation fördert Angstzustände, Schlaflosigkeit, Depression und Selbstmordgedanken und es gibt Hinweise darauf, dass auch körperliche Krankheiten damit zusammenhängen. So gehen Ärzte davon aus, dass Einsamkeit etwa so negative gesundheitliche Auswirkungen hat, wie wenn man fünfzehn Zigaretten am Tag rauchte.

Was heißt das für uns ganz konkret? Ich denke, es ist für das Wohlergehen jedes Einzelnen, für die Produktivität in Firmen, aber auch für unsere Gesellschaft als Gesamtheit, von größter Bedeutung, dass wieder mehr Wert auf echte Teamarbeit gelegt wird. Wir propagieren zum Beispiel schon lange, wieviel sinnvoller - und auch erfolgreicher - es ist, Teamziele zu vereinbaren.

Was bedeutet es, Teamziele zu vereinbaren?

Um Teamziele zu erreichen, müssen Führungskräfte dafür sorgen, dass im Team wertschätzend und konstruktiv kommuniziert wird. Es muss verhindert werden, dass es zu Mobbing von Einzelnen kommt, denn die Probleme entstehen ja genau, wenn jemand sich ausgegrenzt fühlt. Das heißt, Führungskräfte sollten imstande sein, notfalls auf dieser sozialen Ebene zu intervenieren. Dazu müssen Führungskräfte auch eine Kommunikationsform besitzen, die einen echten Kontakt zu den Mitarbeitern möglich macht und sich nicht auf den rein sachorientierten Kontakt beschränkt. Wenn man anerkennt, wie wichtig „Zuwendung“ für jeden Menschen ist, muss man auch anerkennen, dass es wichtig ist, dass Führungskräfte sich ihren Mitarbeitern „zuwenden“. Das heißt selbstverständlich nicht, dass nun in jedem Büro eine Kuschelecke eingerichtet werden muss, das erwartet auch sicherlich kein Mitarbeiter. Aber in deutschen Büros beklagen immer noch viel zu viele Menschen, dass sie von ihren Chefs gar nicht wahrgenommen würden. Da können sich heutige Vorgesetzte durchaus etwas abschauen von jenen alten Mittelständlern, die als gute „Patriarchen“ jeden Morgen erst einmal einen Gang durch die Firma machten und jeden Einzelnen begrüßten. Das war keineswegs vertane Zeit, sondern vermittelte den Mitarbeitern, dass sie wichtig waren, dass sie gebraucht wurden und förderte ganz nebenbei enorm ihre Identität mit dem Unternehmen. So hatten alle etwas davon, der Mitarbeiter, der Chef und die Firma.

Übersetzt für heutige Führungskräfte könnte das heißen, dass sie sich Zeit nehmen müssen, den Mitarbeitern zuzuhören, auf sie einzugehen, lernen zu verstehen, wie ihre Mitarbeiter „ticken“: Was sie antreibt, wie sie die Firma sehen, wie sie sich selbst im Firmenkontext sehen. Führungskräfte sollten auch in der Lage sein, ihren Mitarbeitern bei Blockaden weiterzuhelfen, sodass sie Schwierigkeiten überwinden oder sich weiterentwickeln können. Dazu benötigen Führungskräfte ein gewisses psychologisches Verständnis, ohne jedoch gleich ein ganzes Psychologiestudium absolvieren zu müssen. Doch das Grundverständnis sollte ausreichen, um einordnen zu können, was mit dem Mitarbeiter los ist und um Maßnahmen ableiten zu können, wie man ihn sinnvoll unterstützen kann. Das alles wird dazu führen, dass die Mitarbeiter sich gesehen fühlen - dieses Wahrgenommenwerden ist das Wesentliche an jener Zuwendung, von der ich oben gesprochen habe. Damit Führungskräfte das leisten können, braucht es jedoch einen neuen Weg der Professionalisierung als den bislang üblichen.