Kein Schwein schickt mir Spam…keine Sau interessiert sich für mich…

| Renate Dehner
Ich fühle mich schwer vernachlässigt. Monatelang bekam ich dreißig oder mehr Spams am Tag, mit ganz wunderbaren Angeboten, abgefasst in einem noch wunderbareren Deutsch:
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„Erträgst du nicht Hitze? Hast du Scham wegen Schlechtigkeit von Zähne? Soll nicht mehr nur Schwiegermutter sagen, dass du machst zu viel Geschwindigkeit?“ So in dem Stil etwa sollte ich dazu verführt werden, eine transportable Klima-Anlage mit integriertem Luftbefeuchter, ein per Schiene aufsetzbares strahlendes Hollywood-Lächeln oder einen Radar-Warner käuflich zu erwerben. Ich las das manchmal laut vor, weil die Lyrik einfach zu herzerweichend war. Im Urlaub fragte mich meine kleine Enkeltochter bei einem dieser Anlässe: „Großmama, warum redest du denn so komisch?“ Hach, einfach, weil es mir solchen Spaß machte. Okay, manchmal habe ich mich auch geärgert, dass ich so überflüssig oft die Lösch-Taste drücken musste. Aber gelacht habe ich trotzdem über die literarischen Großtaten.

Ich habe keine Ahnung, wie die Absender spitzgekriegt haben, dass ich ihre Mails erbarmungslos täglich gelöscht habe, aber es muss sie offenbar ungeheuer gekränkt haben. Denn plötzlich ist der Faden wie abgerissen. Sozusagen gähnende Leere in meinem Posteingang, nur noch die nimmermüde Booking.com, die mir in einer halben Stunde viermal hintereinander die immer gleichen ihrer tollsten Schnäppchen zur Verfügung stellt. Aber die sind echt langweilig, da gibt es gar nichts zu lachen. Andere haben da bedeutend mehr zu bieten:

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Auf der Suche nach was zum Lachen, was man in diesen Zeiten doch echt nötig hat, wird man jedoch nicht nur im Internet sondern auch in der Zeitung (lachen Sie nicht, ich meine es ernst!) immer wieder fündig. Dabei habe ich jedoch nicht die Schlagzeile vom 20.9.2019 des Südkurier im Auge “Nestlé will nachhaltiger werden“, obwohl das ohne Frage auch ein guter Witz ist.

Nein, es ging im Bodensee-Teil der Zeitung um den Ausbau der sogenannten Gäubahn. Für Nicht-Ortsansässige: Sie müssen nicht wissen, was das ist. Da legte man dem Koordinator für den öffentlichen Verkehr im Kanton Schaffhausen, René Meyer, direkt neben seinem Bild, also stark hervorgehoben, folgendes Zitat in den Mund: „In der Schweiz wird der Fokus zuerst auf den Fahrplan gelegt. Es scheint mir, dass (sic!) ist bei der Gäubahn umgekehrt.“ Man denkt sich, was will uns der Mann damit sagen? Dass man bei der Gäubahn den Fahrplan auf den Fokus legt? Wie macht man das? Irgendwie erinnert das an den alten Witz, wo man gefragt wird „Kennen Sie den Unterschied zwischen der Bachstelze? Beide Beine sind gleichlang, vor allem das rechte.“

PS. Liest man den zugehörigen Artikel, erkennt man, dass das Zitat sicher nicht wörtlich wiedergegeben wurde und der Mann etwas durchaus Vernünftiges dazu gesagt hat, weshalb die Schweizer Bahnen pünktlich funktionieren und die deutschen nicht. Ich arbeite gerade an einer längeren Studie zum selben Thema. Diese Untersuchung erscheint demnächst ebenso zuverlässig, wie der Zug, den man braucht, um den Anschlusszug zu erreichen, für den man nur fünf Minuten Umsteigezeit hat. In diesem bahnbrechenden (Entschuldigung, aber das musste sein) Artikel wird auch die Rolle beleuchtet werden, die der Deutschen Bahn dabei zukommt, durch die Rennerei auf Bahnhöfen die Fitness und damit die Gesundheit der Mitreisenden zu fördern. Zusätzlich wird mit namhaften Experten darüber diskutiert werden, ob die Deutsche Bahn zu diesem Zweck tatsächlich eine geheimgehaltene Kooperation mit den gesetzlichen Krankenversicherungen eingegangen ist oder ob das bloß eine der neuerdings so beliebten Verschwörungstheorien ist.

PPS. Der Titel ist ein etwas abgewandeltes Zitat eines Schlagers von Max Raabe im Stil der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts.