Kennen Sie Machtspiele?

| Alice Dehner
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Machtspiele sind in mittleren und kleineren Familienunternehmen und in mittelständischen Firmen meist nicht so ausgeprägt wie in großen Firmen oder Konzernen. Im Mittelstand sind die Machtverhältnisse meist eindeutiger, es werden seltener die Stellen gewechselt und dort ist es häufiger so, dass man das, was man sich einbrockt, auch selbst auslöffeln muss. Doch selbstverständlich kann es auch dort zu Machtspielen kommen.

Wenn man die Wirkmechanismen und Funktionsweisen von Machtspielen näher untersuchen will, bietet die Transaktionsanalyse mit ihrer eigenen Spieltheorie für psychologische Spiele gute Erklärungsmodelle. Die TA definiert Psychologische Spiele zwar als unbewusst ablaufende Manipulationsmechanismen, während im Top-Management-Bereich eher gezielt und absichtlich „gespielt“ wird (wobei es auch da sicherlich ebenfalls zu „klassischen“ Psychologischen Spielen kommt), was die TA zum Zweck der Abgrenzung dann „Manöver“ nennt. Die Nomenklatura ist aber letztlich nicht entscheidend, denn egal ob „Spiel“ oder „Manöver“, beides läuft nach dem gleichen Muster ab.

Gespielt wird in aller Regel im sogenannten „Drama-Dreieck“, das aufgeteilt ist in drei klassische Rollen: Opfer, Retter und Verfolger. Ein „Opfer“ ist auf der Suche nach einem „Retter“, ein „Verfolger“ wiederum sucht sich „Opfer“. „Opfer“ und „Retter“ wirken dabei auf den ersten Blick sympathischer als der „Verfolger“ - man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass alle drei Rollen zu manipulativen Zwecken eingenommen werden. Auch „Opfer“ und „Retter“ handeln nicht aus tatsächlicher Hilflosigkeit oder nur aus purer Menschenfreundlichkeit heraus und ein vermeintliches Opfer, dem nicht geholfen wird, oder ein Retter, dessen „Hilfsangebote“ verweigert werden, können bei Bedarf schnell zu aggressiven Verfolgern mutieren.

Alle drei Rollen können zu Machtspielen verwendet werden: Nicht nur der Verfolger, der andere unterbuttert, um seine Ziele zu erreichen, auch der Retter kann zum Beispiel auf das Entgegenkommen des Opfers pochen, dem er doch so „uneigennützig“ geholfen hat und das Opfer kann einen vermeintlichen Verfolger ganz schön schlecht dastehen lassen, wenn es sich geschickt anstellt.

Der Einstieg in ein Spiel kommt häufig dadurch zustande, dass ein Sachverhalt stark verzerrt wird. Dafür eignen sich sogenannte Absolut-Begriffe hervorragend: „Immer haben wir die gleiche Situation / Nie kann man sich auf Ihre Abteilung verlassen / Kein einziger will dieses Produkt haben / Alle wissen doch, dass… Durch die Verwendung von Absolut-Begriffen wird gleich eine höhere Dramatik erzeugt, das fördert die Emotionalität.

Ein anderer beliebter Einstieg besteht darin, Wesentliches einfach auszublenden. Man kann bei sich selbst etwas ausblenden, im Falle eines Opfer-Spiels zum Beispiel Fähigkeiten und Möglichkeiten, die man hat. Man kann beim Anderen etwas ausblenden, zum Beispiel die Tatsache, dass der gar nicht in der Lage ist, das zu tun, was man von ihm will, oder man blendet aus, was der Andere alles gesagt hat und nimmt nur die Teile, die einem gerade ins Konzept passen. Oder man blendet an der Situation etwas aus, zum Beispiel, wenn man im Meeting in Anwesenheit des Vorstands ausrastet. Auch, wenn man dazu provoziert wurde, vielleicht, weil man mit falschen Anschuldigungen oder verdrehten Tatsachen konfrontiert wurde, blendet man aus, dass ein solches Meeting nicht der richtige Rahmen ist, seiner (möglicherweise gerechten) Empörung Ausdruck zu verleihen.

Die dritte Möglichkeit, einen Anderen in ein Spiel zu locken, besteht darin, ein solches Bild von ihm zu entwerfen, wie er garantiert nicht gesehen werden will. Wenn jemand zum Beispiel auf gar keinen Fall als „führungsschwach“ wahrgenommen werden möchte, wird er sehr empfindlich reagieren, wenn man ihm im Meeting vorwirft, er sei ohnehin viel zu weich und lasse sich von den Mitarbeitern auf der Nase herumtanzen. Sollte der Angegriffene sich heftig gegen diese Zuschreibung wehren, wird derjenige, der dieses Bild entworfen hat, erst dann damit aufhören, wenn er den Anderen dort hat, wo er ihn haben möchte.

Am letzten Beispiel lässt sich gut erkennen, dass Spiele nur gespielt werden können, wenn bei dem, der ins Spiel gezogen werden soll, ein „wunder Punkt“ vorhanden ist. Einen Vorgesetzten etwa damit ködern zu wollen, dass er sich viel zu wenig um seine Mitarbeiter kümmere, funktioniert nur, wenn der selbst ein schlechtes Gewissen diesbezüglich hat, zu Recht oder zu Unrecht. Jemand, der mit seinem Führungsstil im Reinen ist, reagiert nicht auf Vorwürfe, er sei zu nachgiebig, zu hart, zu autoritär oder sonst was. Psychologische Spiele funktionieren nur, wenn zwei mitspielen: Einer, der ein Spielangebot macht, und einer, der einen wunden Punkt hat, weshalb er das Spielangebot annimmt. Lässt jemand einen ausgelegten „Köder“ liegen, weil er sich nicht getroffen fühlt, kommt auch kein psychologisches Spiel zustande.

Ein häufig anzutreffendes Spiel, mit dem auch Machtspiele ausgefochten werden können, ist das „Gerichtssaal-Spiel“. Dabei geht es, wie der Name schon andeutet, darum, einen Schuldigen zu finden. Wenn etwas schiefgegangen ist, steht häufig nicht die Suche nach Lösungen im Vordergrund, sondern es wird viel Energie darauf verwendet, herauszufinden, wer daran Schuld hat. Man muss also nach Möglichkeit so gut spielen, dass die Schuld auf jeden Fall nicht bei einem selbst oder in der eigenen Abteilung landet, sondern am besten beim Lieblingsfeind. Die Suche nach Lösungen gerät dabei leicht ins Hintertreffen. Schafft man es, durch geschickte Argumentation und gekonnte Auswahl der Fakten, die man erwähnt oder weglässt, dem Anderen recht oft die Rolle des Schuldigen unterzujubeln, stärkt man auf jeden Fall die eigene Machtposition.

Ein nicht geringer Teil von Machtspielen besteht darin, andere herabzuwürdigen oder zu demütigen. Damit die gut funktionieren, braucht man natürlich Publikum. Es sind Fälle bekannt, wo zum Beispiel ein Vorstand seinen Vorstandskollegen vor versammelter Mannschaft niedermachte. Die dabei bei allen Anwesenden erzeugte Angst, sie könnten womöglich die nächsten sein, die es trifft, festigt die Machtposition desjenigen, der es raus hat, so aufzutreten. Dass dieses Klima von Angst und Bedrohung einem konstruktiven Miteinander nicht förderlich ist, stört den Machtbewussten wenig - Hauptsache, er hat die Oberhand. Und er glaubt sich vielleicht sogar sehr erfolgreich mit seinem System, denn jeder wird alles daransetzen, zum Beispiel hoch gesteckte Unternehmensziele zu erreichen und vielleicht auch vor illegalen Methoden nicht zurückschrecken, nur um nicht das Ziel allerhöchsten Zorns zu werden.

Gute, und damit gefährliche, Spieler wissen sehr genau, wann sie zum Beispiel angreifen und wann sie sich zurückhalten sollten. Das gelingt nicht jedem. Viele Menschen gehen nach einem Angriff automatisch zum Gegenangriff über. Das kann von einem „versierteren“ Spieler ausgenutzt werden, zum Beispiel, indem er eine Situation herbeiführt, die den anderen „zwingt“, auszurasten und so das Gesicht zu verlieren.

Die andere Seite von Machtspielen ist, dass sie oft eine Form sind, mit der eigenen Angst umzugehen - schließlich erleben Manager, gerade in höheren Positionen, sich quasi im Krieg. Sie gehen damit um, indem sie möglichst brutal zuschlagen, um den Gegner mehr zu ängstigen, als sie selbst geängstigt sind. Es wird ein großes Bedrohungsszenarium aufgebaut, damit die anderen gar nicht erst auf den Gedanken kommen, ihrerseits anzugreifen.

Führungskräfte, die auf Grund ihrer guten Arbeit aufsteigen, sind manchmal perplex und auch verunsichert, was ihnen in den oberen Etagen an Machtspielen begegnet, denn vom unteren und mittleren Management waren sie das nicht gewohnt. Im Coaching muss dann sehr genau hingeschaut werden, ob es für denjenigen eine Chance gibt, zu lernen, sich im Haifischbecken zu bewegen oder ob der permanente Umgang mit Spielen ihn so auslaugt, dass er sich besser eine andere Rolle im Unternehmen sucht, etwa die eines Experten ohne den Anspruch, höhere Führungsebenen zu erklimmen.