Mein Weihnachtsgeschenk an Sie: Der Zaubersatz

| Alice Dehner
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Wie ich schon öfter Gelegenheit hatte zu bemerken, ist ja nichts so schlecht, als dass es nicht auch sein Gutes hätte. Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang: das Wetter, das verkorkste Mittagessen und Donald Trump. Sie sagen sich jetzt wahrscheinlich „Die ersten beiden Punkte kann ich mir selbst erklären, aber wo bitteschön soll das Gute an Donald Trump sein?“

 

Er hat eine Diskussion über Anstand in Gang gebracht! Immerhin! Die Verrohung der Sitten ist ja schon länger ein Thema, aber mir kommt es so vor, als hätte der gute Donald da doch noch mal neuen Schwung in die Debatte gebracht. Nicht dass er der Einzige wäre, der sich unanständig benimmt, aber was die anderen nach Möglichkeit eher im Verborgenen machen - oder wieviel Haß-Tiraden-Verbreiter tun das im Netz unter ihrem eigenen Namen? - das posaunt Mister President, Sir, so laut in die Welt, dass er als Negativ-Beispiel echt unschlagbar ist. Nun also die Beschwörungen des Anstands, die man seit einiger Zeit in jedem Feuilleton lesen kann und die es in Buchform selbst auf die Bestsellerliste gebracht hat.

 

Was mir daran besonders auffällt, ist die Begeisterung, mit der jeder den Verlust von Sitte, Anstand, Höflichkeit und Manieren bei anderen beklagt. Ich fand es schon immer bemerkenswert, dass etwa achtzig Prozent der einschlägig Befragten sich eine Rückkehr zu besseren Manieren wünschten. Aber offenbar nur von den anderen, sonst stimmt da doch rechnerisch was nicht, oder? Leute, unter uns, das bringt nichts! Ich habe da einen anderen Vorschlag: Wie wäre es, wenn jeder mal seinen Ehrgeiz darein setzen würde, bei sich selbst darauf zu achten, ob er gerade höflich, wertschätzend, ehrlich, freundlich, geduldig, nachsichtig kleinen Fehlern gegenüber, kurz anständig mit seinen Mitmenschen umgeht? Selbst einem Mitmenschen gegenüber, der einem unsympathisch ist? Der sich benimmt, dass ein ungehobelter Klotz im Vergleich dazu einer filigranen Statuette von Benvenuto Cellini gleicht?

 

Okay, blöde Idee, ich seh es ein, vergessen Sie’s! Die eigenen Manieren, der eigene Anstand sind ja untadelig - und außerdem: Sollen doch erst mal die anderen sich anständig benehmen, dann mach ich es auch. Das ist wie mit dem Verstandenwerden: „Jetzt hör mir doch mal zu!“ „Nein, jetzt hörst du mir mal zu!“ „Nein, du hörst mir zu!“ Zuhören tu ich erst, wenn du mir zugehört hast, das ist die Losung. Aber nicht die Lösung. Es wundert einen nicht, dass so viele Menschen sich unverstanden fühlen - das ist ihnen ganz augenscheinlich lieber, als mal als erste zuzuhören.

 

Dabei ist es ganz einfach. Und es tut auch gar nicht weh, versprochen! Es erfordert nur eine kleine Entschließung. Mit einer kleinen Entschließung kann überhaupt so viel gewonnen werden im Leben. Glauben Sie mir, ich weiß wovon ich rede. Viele Jahre lang wollte ich mich jeden Morgen vor meinen zwanzig Minuten Yoga drücken. Ja, ich bin hartnäckig. Lange Zeit kam dabei raus, dass ich morgens ewig rumgetrödelt habe, vor lauter Mich-drücken-wollen, es aber dann doch machen. Ein bedauerlicher Zeitverlust, der mir so lange auf den Wecker ging, bis ich anfing, mir morgens zu sagen: „Es erfordert nur eine kleine Entschließung!“ Denn wenn ich erst mal die Arme gehoben habe zur ersten Übung, flutscht der Rest von allein.

 

Mit einer kleinen Entschließung kann man sich vielleicht auch anderer schlechter Angewohnheiten entledigen, wer weiß? Es ist alles so viel leichter, wenn man sich sagt „Es erfordert nur eine kleine Entschließung“. Glauben Sie mir, das ist ein Zaubersatz. Ansonsten programmiert man sich doch auf irgendeine Art darauf, dass es schwierig, anstrengend oder sonstwie unangenehm ist, was man „eigentlich“ tun will: zum Beispiel, seinen Stolz darein setzen, sich als Mensch mit Manieren zu präsentieren, egal, was die anderen machen; als Erster zuhören, um zu verstehen, bevor man selbst verstanden werden will; für ein gutes Körpergefühl sorgen, statt rumzutrödeln. So eine kleine Entschließung ist ein echtes Schätzchen!