Neue Ausgangslage – neue Visionen und Ziele

Selbst nach zwei Jahren Dauerkrise ist kein Ende in Sicht. Das führt in vielen Unternehmen dazu, dass die mit Beginn der Pandemie auf Eis gelegten Visionen und Ziele nun wieder aufgegriffen werden und versucht wird, weiterzumachen wie bisher. Vor dieser Vorgehensweise möchte ich eindringlich warnen.
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Um es anschaulich zu machen, vergleichen wir den Umgang mit Visionen und Zielen mit einem Segelturn. Wer mit dem Segelboot den Atlantik überqueren möchte (Ziel), hat die Vision, irgendwann in den USA anzukommen. Sobald das Segelboot in einen kleinen Sturm gerät, werden Ziel und Vision nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen, jedoch nach dem Sturm wieder aufgegriffen und weiter gesegelt.

Nur: Die letzten zweieinhalb Jahre waren kein kleiner Sturm. Das Ausmaß ist mehr mit einem Orkan vergleichbar. Und eventuell folgt diesem Orkan mit der Energiekrise auch noch gleich ein Tsunami hinterher. Deshalb ist es jetzt höchste Zeit für eine Standortbestimmung: Wo stehen wir denn überhaupt als Organisation gerade? Was hat sich durch den Orkan alles verändert? Was wird wahrscheinlich auf uns zukommen? Wie können Ziele und Visionen darauf aufbauend angepasst werden? Und: Macht das überhaupt noch Sinn, was sich vor Jahren überlegt wurde? Oder muss ganz neu angesetzt werden?

Wo hat der Orkan überall gewütet?

Denn: verändert hat sich jede Menge. Beginnen wir beim für jedes Unternehmen kritischen Faktor Mensch. Ansprüche und Wünsche an die Art und Weise zu arbeiten und zu leben, haben sich grundlegend gewandelt, Prioritäten verschoben. Themen wie Nachhaltigkeit und Purpose rücken in den Vordergrund. Freizeit hat eine größere Gewichtung erlangt und ist manchmal schon die neue Währung – und das merken Führungskräfte gerade in Gehaltsverhandlungen zunehmend. Obendrauf kommt noch der Fachkräftemangel. Auch die Zusammenarbeit hat sich verändert – es gibt nach wie vor Teams, die sich während der Pandemie vergrößert und in der neuen Konstellation noch nie live getroffen haben. Das macht eine Menge mit den Menschen.

Das digitale Mindset hat sich sowohl auf der Seite der Mitarbeiter, aber natürlich auch auf der Kundenseite komplett gedreht. Und je nach Branche mussten sich dadurch Produkte und Dienstleistungen verändern – sie sollten zumindest eingehend betrachtet werden, ob sie einer Veränderung bedürfen, um am Schluss wirklich den Bedürfnissen der Kunden von heute gerecht zu werden.

Müssen alte Ziele und Visionen angepasst werden?

Ja, für die meisten Unternehmen gilt das unbedingt. Für die vielen Veränderungen sollten Unternehmen marktgerechte und flexible Lösungen erarbeiten. Die Visionen sollten im Hinblick auf das Wertesystem angepasst werden – und wichtig: Dafür braucht es mit Leben gefüllte Werte, die die Mitarbeiter wirklich motivieren, sich einzubringen mit Passion und Zeit. Geld allein reicht als Motivator einfach nicht mehr. Und wofür bekommen Mitarbeiter eigentlich Wertschätzung? Dafür, dass sie sich ins Burnout arbeiten oder dafür, dass sie auf sich achten?

Hinzukommt, dass es immer mehr Wissensarbeiter gibt – und es ist schon lange mehrfach belegt, dass das Gehirn irgendwann müde wird und Erholungspausen braucht, genauso wie der Körper generell. Ziemlich offensichtlich, dass Überstunden nicht den besten Output produzieren. Nur ist die Arbeitswelt bisher nicht wirklich an dieses Wissen angepasst. Einige Unternehmen experimentieren mit der vier-Tage-Woche, andere mit nur noch sechs Arbeitsstunden am Tag – und darin liegt wirklich großes Potenzial.

Zusammenhalt in einer digitalen Arbeitswelt

Ein weiteres Thema, das größere Beachtung braucht, ist der Team-Zusammenhalt in Zeiten von digitaler und hybrider Arbeit. Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass trotzdem genug Wir-Gefühl im Team herrscht, dass es sich unterstützt und gegenseitig hilft? Oder wie schafft man es, neue Mitarbeiter in bereits bestehende Teams zu integrieren, die nur online arbeiten? Das funktioniert in meinen Augen nur, wenn Zusammenhalt Teil des Wertesystems wird. Denn: Im hektischen Alltag, im täglichen Wahnsinn, gehen genau diese Themen unter. Die Quittung erfolgt dann mit zeitlicher Verzögerung und schön deftig.

Und die Führung?

Neue Modelle der Zusammenarbeit haben starke Auswirkungen auf die Führung. Derzeit verändert sich die Führungsrolle weg von der operativen Handlungsebene hin zur Menschenführung, bedeutet: Gespräche führen. Wenn also eine Führungskraft abends darüber klagt, sie sei zu nichts gekommen, sie habe den ganzen Tag nur Gespräche geführt – dann hat diese Führungskraft noch nicht verstanden, wie wichtig diese sind, um auf Veränderungen gut reagieren zu können.

Was ändert sich in Sachen Mitarbeitersuche und -bindung?

Wie neue Mitarbeiter gewonnen werden können und die, die da sind, gehalten – auch das muss genau unter die Lupe genommen werden. Was braucht es dafür? Wie muss sich die Organisation aufstellen? Wie muss mit dem Thema Resilienz umgegangen werden? Wie geht das Unternehmen damit um, dass Mitarbeiter heute was anderes wollen, als noch vor 20 Jahren?

Ich glaube, es ist offensichtlich geworden, dass es eine Menge zu tun gibt. Aber ich bin mir sicher, dass es sich lohnt, sich mit all diesen Fragen zu beschäftigen und hoffe, dafür Anregungen gegeben zu haben.

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.