Renates Kolumne: Ade, Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten

| Renate Dehner
Es sieht so aus, als könnten wir es tatsächlich hinter uns lassen, das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, in dem wir seit mehr als einem Jahr gelebt haben. Man ist ja vorsichtig geworden, was Optimismus und Vorhersagen betrifft und deswegen empfiehlt es sich, auf verfrühtes Jubelgeschrei zu verzichten, aber wenn selbst Unke Lauterbach nicht mehr von „exponentiellem Wachstum“ spricht, kann man doch schon mal langsam den Champagner kaltstellen. Zur Not ertränken wir damit die von ihm Kassandra–artig beschworene vierte Welle. Wobei, Kassandra trifft es wohl nicht so ganz. Kassandras Tragik bestand ja in der Nicht-Beachtung, davon kann bei Lauterbach keine Rede sein, so oft, wie man ihn im Fernsehen sieht.
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Einen gewissen Überdruss kann ich nicht leugnen. Und wenn ich schon dabei bin: Unter dem Siegel der Verschwiegenheit bekenne ich mich hiermit zu einigen, sagen wir mal halblegalen, Aktivitäten, die ich mir gegönnt habe, weil mir der Sinn der Einschränkungen nun mal so gar nicht eingeleuchtet hat. Zum Beispiel habe ich immer wieder ein befreundetes Paar zu Hause empfangen, weil ich mir einfach nicht erklären konnte, weshalb ich sie allein hätte besuchen dürfen, sie mich zu zweit aber nicht. Es tut mir leid, aber ich kapiere es immer noch nicht.

Und ich bin inzwischen schon zweimal in der Schweiz gewesen, um Kunst- Ausstellungen anzusehen. Unter strikter Beachtung der sanitären Regeln versteht sich, die sind in der Schweiz hervorragend. Es war ein ganz und gar wunderbares Erlebnis! Können Sie sich noch erinnern, wie viel Freude es macht, durch Museumsräume zu gehen? Kunst zu betrachten, so richtig in echt, nicht online! Es ist atemberaubend, versichere ich Ihnen. Die Museums-Schließungen verstehe ich übrigens ebenfalls bis heute nicht. Wenn man nicht gerade im Louvre vor der Mona Lisa steht, ist man im Museum für gewöhnlich locker imstande, drei, vier, auch fünf Meter Abstände zu anderen Menschen einzuhalten, im Falle, dass da tatsächlich andere Menschen sind – oft genug ist man nämlich allein auf weiter Flur, selbst in so hervorragenden Museen wie in Winterthur. Klar, Block-Buster-Ausstellungen sind etwas anderes, aber auf die hätte man ja gut und gern freiwillig in dieser Zeit verzichten können, ich glaube, jeder Kurator und Museumsdirektor hätte das ohne weiteres eingesehen und sich freiwillig beschränkt.

Ich komme hier jetzt auch ganz bewusst nicht auf die vielen anderen unbegrenzten Unmöglichkeiten zu sprechen, die ein Ausmaß an Inkompetenz, Hinterherhinken und noch einigem anderen Unmöglichen offenbarten, die man nicht umhin kommt zu bemerken, auch wenn man lieber längs geradeaus als bescheuert quer denkt und Alu-Hütchen unkleidsam findet. Aber eine Frage habe ich doch noch: Wozu brauchen wir eigentlich einen Minister, der dasteht wie ein Christbaum, der sich selbst mit Lametta behängt? Immerhin, dass unser, in Immobilien-Angelegenheiten so kundiger, Bundesgesundheits-Minister sich stetig mit so viel Begeisterung selbst auf die Schulter klopft, ist doch ein weiterer Beleg dafür, dass im Moment nichts unmöglich ist.

Dafür habe ich im heutigen (17.5.21) „Südkurier“ noch ein weiteres, ganz und gar verblüffendes Beispiel gefunden. Der „Südkurier“ titelte nämlich „Straßenbahn rammt Autotür beim Wechseln der Windel“. Ehrlich, hätten Sie das für möglich gehalten? Der Fortschritt der Automatisierung ist nicht mehr aufzuhalten! Und das nenne ich mal eine wirklich gelungene Weiterentwicklung – eine Autotür, die Windeln wechselt! Welche jungen Eltern träumen nicht davon? Ich hätte da noch ein paar konstruktive Vorschläge: Fahrrad geht selbständig mit dem Hund Gassi, Fußballtor schließt blitzartig ein Gitter, sobald ein Ball vom 1. FC Bayern kommt, Computer-Tastatur, die Gift und Galle ins Gesicht desjenigen spritzt, der gerade eine Hass-Mail versenden will – also, es gäbe da einiges zu automatisieren.

Jetzt wollen wir uns aber zuerst einmal freuen! Ich mache das sehr gern mit den Worten eines amerikanischen Musikers, der in einem Interview mit Bayern Klassik, zwar in einem anderen Zusammenhang, aber trotzdem sehr passend bemerkte: „Und dann hat es plötzlich doch weitergeläuft!“ Schöner kann man es fast nicht ausdrücken, oder?