Renates Kolumne: Alles eine Frage der Anschauung

| Renate Dehner
Nun ist Knall auf Fall der Herbst gekommen – jedenfalls war es in Konstanz Knall auf Fall. Samstags war es noch Sommer und sonntags war es Herbst. Ich mag den Herbst ja, aber es war schon sehr plötzlich sehr kalt, man war gar nicht mehr daran gewöhnt, sich zu verhüllen. Wäre aber besser gewesen. Ohne die angemessene Verpackung war es ein ziemlich kalter Spaziergang.
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Das Thema Verhüllen und Verpacken bringt mich elegant auf direktem Weg zu einer Frage, die mich seit ein paar Wochen immer wieder beschäftigt. Es war in letzter Zeit viel vom Arc de Triomphe die Rede, Sie wissen schon, warum, Christo und so. Und bei dem ganzen Bohei habe ich mich gewundert: Wie schafft man es eigentlich, mit einer einzigen Idee weltberühmt zu werden? Nichts gegen Christo und Jeanne Claude und wenn sie ihren Verhüllungszauber einmal oder meinetwegen zweimal gemacht hätten, okay, sie wären als einfallsreich durchgegangen. Aber dasselbe immer wieder? Ich kann mir nicht helfen, ich finde es ein bisschen mager für so ein langes, langes Künstlerleben. Mir kommt da der Karl-Kraus-Spruch in den Sinn „Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben, man muss ihn auch formulieren können!“ (ein Spruch den man auf viele Politiker anwenden kann, aber das nur am Rande.) Angesichts des Arc-de-Triomphe-Päckchens dachte ich mir eben: „Es genügt nicht, keinen neuen Gedanken zu haben, man muss ihn auch vermarkten können!“ Allerdings gönne ich den Pariser Hotels und Gastronomen neidlos, dass sie auf die Art und Weise hoffentlich ein bisschen dringend benötigtes Geschäft machen.

Ich hoffe in diesem Zusammenhang auch, dass die nach Paris strömenden Besuchermassen sich als verantwortungsbewusste Menschen erweisen und verhalten, so wie es von uns allen erwartet wird, ob wir nun zu Hause bleiben oder verreisen. Der Gatte und ich verreisen demnächst (hoffentlich) wieder. Eine der ganz wunderbaren Eigenschaften des Herbstes, neben der Möglichkeit, sich endlich mit dem neuen Herbstkostüm verhüllen zu können, ist der Herbsturlaub. Wir verbringen ihn traditionell, Gewohnheitstiere, die wir sind, seit dreißig Jahren, mit Ausnahme des letzten Jahres versteht sich, in Belgien an der Nordseeküste. Dorthin zieht es uns auch dieses Jahr und man freut sich auf unser Kommen, wie die Agentur, über die wir unsere Ferienwohnung gebucht haben, glaubwürdig versichert. Im gleichen Brief wird auch auf die Corona-Regeln hingewiesen und die Mitteilung endet mit folgendem Satz:

Bitte beachten und befolgen Sie die aktuellen Maßnahmen/Regelungen.
Es liegt an Ihnen, als guter Bürger, Ihre Blase an die geltenden Einschränkungen anzupassen
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Ich muss zugeben, ich finde diese Aufforderung kryptisch. Was genau muss ich als gute Bürgerin tun, um meine Blase an die „geltenden Einschränkungen“ anzupassen? Unter uns, ich finde meine Blase eingeschränkt genug – ich sage nur Konfirmanden-Bläsle. Und Gruppenpinkeln war ehrlich gestanden noch nie so mein Ding – aber wer weiß schon, was ich womöglich verpasst habe! Und auch wenn es ein alter Glaube, um nicht zu sagen Aberglaube ist, dass Damen im Restaurant, in der Oper oder im Theater immer zu zweit aufs Klo gehen, so nutzen sie doch für gewöhnlich zwei Kabinen und drängeln sich nicht auf einer Brille. Was also könnte noch von den Urlaubsgästen erwartet werden, um die Blase an die geltenden Einschränkungen anzupassen? Geht es darum, soziale Inkontinenz zu vermeiden? Ich bin ratlos! Konstruktive Lösungsvorschläge werden dankend entgegengenommen!