Renates Kolumne: Braune Blätter fallen…

| Renate Dehner
Kennen Sie dieses Phänomen? Jeden Herbst staune ich wieder darüber, wie man dermaßen schnell aus dem Spaghetti-Träger-Top in den Wollmantel geraten konnte. Und dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es einem beim Spaziergang am See mal so heiß war, dass man am liebsten sogar die Haut ausgezogen hätte.
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Stattdessen sehe ich nun spazierengehend dabei zu, wie die braunen Blätter fallen, freue mich, wenn sie mit diesem herrlich knackenden Rascheln zerbröseln, wenn man drauftritt, und fände es aber sowas von erstrebenswert, wenn noch mehr so altes braunes Zeug zerbröseln würde und dafür, wie in der Natur, was Neues, Grünes, das Leben verspricht, nachwüchse, eine neue Generation halt. Es würde vielleicht ein bisschen dauern, bis der Frühling kommt, aber dafür wäre es frisch und neu und nicht alt und kaputt und verbraucht und wertlos. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Wie gesagt, man kann sich an vergangene Tage erinnern, dass ja, aber so richtig vorstellen kann man es sich nicht mehr. Dass mir das mit dem Übergang der Jahreszeiten, ganz besonders vom Sommer zum Herbst, passiert, und Jahr für Jahr passiert, wo ich doch eigentlich genügend Zeit gehabt hätte, mich daran zu gewöhnen, das finde ich schon erstaunlich. Aber dann auch noch darüber zu staunen, dass es mich auch dieses Jahr wieder erstaunt, ist das nicht ein bisschen…tja, wie soll man das nennen? Sagen Sie es nicht, es ist eh schon schlimm genug!

Aber, was soll’s? Die Fähigkeit zu staunen, soll ja eine der schätzenswerteren Eigenschaften des Menschen sein, etwas, das man zum Beispiel an Kindern ganz besonders charmant findet. Vielleicht weil diese Fähigkeit einem im Laufe des Lebens abhanden zu kommen droht. Eine mögliche Begründung dafür könnte sein, dass einem tagtäglich so vieles an Irrsinn in der Welt begegnet, dass es statt zu einem ehrfürchtigen Staunen nur noch zu einem entnervten „Ich wundere mich über gar nichts mehr!“ reicht. Insgeheim wundert man sich dann aber natürlich doch, wie blöd die Menschheit (Anwesende selbstverständlich immer ausgenommen) sein kann. Unter Menschheit subsumieren wir jetzt auch mal alle, die andere überfallen, ermorden, ihrer Lebensgrundlagen berauben, die bösartig, grausam, gemein und roh sind, oder solches ausgesprochen oder unausgesprochen in ihren Parteiprogrammen haben und die noch nie von unser aller Goethe gehört haben, … Goethe, Sie erinnern sich: edel sei der Mensch, hilfreich und gut.

Ewig schade, dass die Leute, die so gern auf einem ausge-iXten Messengerdienst Hassparolen zwitschern, nicht stattdessen die Weimarer Klassik studieren. Ich plädiere übrigens schwer dafür, dass einer, der so gerne mit Ixen um sich wirft (zum Beispiel SpaceX, X.com und noch ein paar) und dabei sogar seine unschuldigen Kindlein trifft (ich erinnere nur an X AE A-XII, inzwischen drei – seither gibt es noch eine paar Xe mehr), von nun an Y genannt wird. Und zwar am besten in der englischen Aussprache. Obwohl ich nicht daran glaube, dass er eine wirklich überzeugende Antwort parat hätte. Was leider nicht weiter erstaunlich ist. Staunen wir halt über die unglaubliche Schönheit des Herbstes, wenn der Nebel sich verzogen hat und die braunen Blätter fallen.