Renates Kolumne: Heute schon ein Kompliment gemacht?

| Renate Dehner
Dürfen alte Schachteln gelegentlich ein bisschen angeben? Ich weiß, das haben wir gar nicht nötig – also tue ich es auch nicht, sondern erzähle einfach nur ganz wahrheitsgemäß, dass ich einen jugendlichen Verehrer habe. Einfach nur so, nicht etwa, um anzugeben.
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Wie praktisch jeden Tag ging ich am See spazieren. An der „Schmugglerbucht“ genannten Stelle gibt es drei Balken zum Balancieren und eine winzige Rutschbahn – so etwas geht hier in Konstanz als „Kinderspielplatz“ durch! Wer Spielplätze zum Beispiel im Prenzlauer Berg kennt, der kann sich nur fremdschämen beim trostlosen Anblick Konstanzer „Spielplätze“. Aber ich schweife ab. Worauf es ankommt, ist, dass an jenem Tag ein junger Mann, also zugegeben, ein sehr junger Mann, mich vorbeigehen sah, auf mich zeigte und zu seinem Vater sagte: „Eine schöne Frau!“

Ich finde, Heidi Klum kann so was von einpacken. Ihr Ehemann Nummer drei, vier oder fünf, ich weiß das nicht so genau, ist doch höchstens dreißig Jahre jünger als sie. Also, mir wäre der viel zu alt! Ich will den zarten Schmelz wahrer Jugend! Sechzig Jahre Altersunterschied dürfen es schon sein. Also Männer, hergehört: Alle über sechs, also gut, seien wir großzügig alle über acht, haben keinerlei Chance bei mir. Außer Ulrich, versteht sich, der genießt Bestandsschutz. Wer kann so einem dreijährigen Knirps schon widerstehen? Und außerdem „Kindermund tut Wahrheit kund!“ Muss doch auch mal gesagt sein.

Es gibt bei „Kindermund“ natürlich auch sehr witzige Varianten, bei denen der Kompliment-Charakter nicht unmittelbar ins Auge springt. Eine Bekannte von mir besitzt eine ganz wunderbare Lockenpracht. Unterwegs mit ihrem fünfjährigen Neffen trafen die beiden auf einen Wuschelhund, den der Kleine streicheln durfte. Er tat das ausgiebig und mit Hingabe, strahlte dann seine Tante an und meinte seelenvoll: „Der fühlt sich an wie du!“ Sie erkannte den wahren Wert dieser Aussage – aber etwas zwiespältig war ihr schon zumute. So erging es mir vor einigen Jahren, als eine jugendliche Zufallsbekanntschaft, die ich beim Hundespaziergang immer wieder getroffen hatte, mal meinte, von weitem sähe ich zwanzig Jahre jünger aus. Da weiß man echt nicht, ob man in Lachen oder in Tränen ausbrechen soll. Und von wegen jünger: Man macht im Alter ja die erstaunlichsten Entdeckungen. Eine davon ist, bei sich selbst festzustellen, dass es einem keineswegs schnuppe wird, wie man aussieht. Da ist man nun schon so alt, und will immer noch gut aussehen – unbelievable!

Komplimente, die einen wenigstens glauben machen, man sähe noch gut aus, sind also in jedem Alter was Schönes – man kriegt sie nur leider zu selten und, das muss ich zugeben, man macht sie leider zu selten, vor allen Dingen natürlich unbekannten Menschen gegenüber. Was hält einen davon ab? Zurückhaltung? Angst, als aufdringlich empfunden zu werden? Bequemlichkeit? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Schade! Ich finde es wunderbar, wenn mir etwas Nettes gesagt wird, wie es mir zum Beispiel einmal bei einem Museumsbesuch passiert ist, als ein Herr mir sagte: „Sie sind sehr geschmackvoll angezogen.“ Das war als Kompliment mindestens so geschmackvoll wie mein Outfit und ich habe mich sehr geschmeichelt gefühlt. Bei einem solchen Spruch braucht auch kein Mann zu befürchten, von der damit bedachten Dame scheel angeguckt zu werden, oder Ladies?

Gegen ein nett gemeintes und nett gesagtes Kompliment ist definitiv nichts einzuwenden! Dass Reden Silber und Schweigen Gold sei, dieser ansonsten hochzuhaltende Grundsatz gelungener Kommunikation gilt nicht, wenn es um Komplimente geht. Man freut sich tagelang darüber, doch wie oft rafft man sich selbst dazu auf? Ich bin da leider selbst auch kein vorzeigbares Beispiel, aber ich habe mir vorgenommen, mich zu bessern. Es ist doch echt wünschenswert, einen Gegenpol zu setzen zu dem rauen Ton, der offenbar bei uns immer mehr die Oberhand gewinnt – und zwar nicht nur im anonymen Netz, sondern auch auf der Straße, unter Fremden und unter Nachbarn. In vielen Gesprächen mit ganz unterschiedlichen Menschen habe ich immer wieder dieselbe Klage gehört: Die Leute werden aggressiver, nörgeliger, unfreundlicher – da stemmen wir uns jetzt mit der Macht der Komplimente dagegen. Ich würde allerdings eher abraten von der Variante: „So großartig wie Sie hat heute noch keiner gemault, Hut ab!“ Als liebenswürdiger Mensch, der Sie sind, fällt Ihnen bestimmt etwas sehr Charmantes ein!

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