Renates Kolumne: Wenn ich mir was wünschen dürfte…

| Renate Dehner
Gerade komme ich von einem spektakulären Spaziergang am See zurück. Der See, dank der ergiebigen Regenfälle der vergangenen Wochen so voll wie den ganzen letzten Sommer nicht, ist ja sowieso immer schön, aber heute – meine Herren!
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Herbstwetter, wie man es sich bilderbuchmäßiger nicht vorstellen kann: Über dem sturmgepeitschten See kommt die Sonne hinter Wolkenbergen hervor und schafft ein unglaublich intensives Licht, das die noch goldenen Blätter an den Bäumen überirdisch leuchten lässt, während es auf der Landseite, nach Nordosten hin, fast nachtschwarz ist. Der Gegensatz erzeugt eine auch hier am See nicht häufig zu beobachtende Farbigkeit, und die paar Schwäne, die noch auf dem Wasser zu sehen sind, strahlen in blendendem Weiß. Während ich mich noch an dem Lichtspektakel freue, gewinnen die dunklen Wolken die Oberhand, mit einem Schlag ist die Sonne weg, dafür geht ein Graupelschauer nieder, der die Wasseroberfläche aussehen lässt, als würde sie kochen. Das Ende vom Lied ist, dass ich so gut durchfeuchtet, wie der Waldboden sich das den ganzen Sommer über vergeblich gewünscht hat, zu Hause ankomme. Tja, jede Schönheit hat ihren Preis.

Angeblich erholt sich der Waldboden, zumindest bei uns in Baden-Württemberg, langsam von der Trockenheit der vergangenen beiden Jahre. Aber es ist noch zu früh, um in Jubel auszubrechen, laut berufenem Munde wird das Klima vermutlich eher früher als später kollabieren und das bringt mich stante pede zu meinem nächsten Punkt, aber keine Angst, ich jammere weder über das Klima noch seine Kleber. Es geht mir um was anderes. Kollabieren kommt ja von Kollaps – oder andersrum, ich weiß es nicht, ist auch wurscht.

Müsste ich mich noch einmal für einen Beruf entscheiden, würde ich wahrscheinlich Kollapsologe werden. Lachen Sie nicht, das kann man. In der SZ las ich kürzlich ein Interview mit einem Forscher, der sich auf dem Forschungsgebiet der Kollapsologie einen Namen gemacht hat. Dieses Forschungsfeld befasst sich mit dem Untergang von Staaten. Das wäre mir allerdings zu simpel. Zu erkennen, dass es mit den diversen Staatswesen, unserem eigenen, aber auch ziemlich vielen anderen auf der Welt, ziemlich steil bergab geht, dazu braucht man weder Zeit für ein Studium noch Forschungsgelder zu verschwenden.

Der Wissenschaftler, der interviewt wurde, untersuchte auch nicht gegenwärtige Staaten, sondern lange vergangene. Es ist bestimmt von ganz eigenem Interesse, weshalb jungsteinzeitliche Gesellschaften oder andere prähistorische Gemeinwesen zugrunde gingen, aber interessanter ist doch, zumindest in meinen Augen, ob es nicht vielleicht doch möglich wäre – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – etwas für die heutige Zeit daraus zu lernen.

So fanden Kollapsologen, ach, das Wort ist einfach zu und zu schön, darum nochmal: die Kollapsologen also fanden heraus, dass es wohl weniger äußere Umstände wie Kriege oder Naturkatastrophen waren, die einem Staatsgebilde den Garaus machten, als vielmehr die inneren Übel, die eine Gesellschaft befallen können. Ich zitiere aus dem Artikel; „Hier (jungsteinzeitliche Gesellschaften in Europa und Pueblo Kulturen im Westen Nordamerikas) fanden die Forscher am Ende vermehrt Belege für Gewalt und teils große Wohlstandsunterschiede – und registrierten, dass umgekehrt zum Beispiel immer weniger Gebäude errichtet wurden.“

Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?

Wenn ich Kollapsologe wäre – je öfter ich das Wort hinschreibe, desto herrlicher kommt es mir vor – würde ich zu gern erforschen, warum bei uns gerade die guten Manieren, das höfliche, rücksichtsvolle Benehmen, der gute Geschmack sowie der allgemeine Anstand kollabieren. Aber wie schrieb schon der weise, wenn auch manchmal schwer zu lesende Ralph Waldo Emerson vor mehr als hundertfünfzig Jahren in einem seiner Essays: „Die Gesellschaft macht niemals Fortschritte. Sie weicht auf einer Seite so weit zurück, wie sie auf der anderen fortschreitet. Alle brüsten sich mit der Verbesserung der Gesellschaft und kein Mensch wird besser.“

Ach, könnten wir uns nicht ein bisschen anstrengen, und Ralph Waldo, der alten Unke, beweisen, dass er sich geirrt hat? Schließlich steht Weihnachten vor der Tür: Lassen Sie uns ein Fest der Liebe und des Verständnisses feiern! Mein Wunsch: Lächeln Sie, das hilft schon ganz ungemein. In diesem Sinne: Frohe Feiertage!