Shit Happens

| Alice Dehner
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Man macht sich ja immer mal wieder so seine Gedanken, lässt dieselben schweifen und kommt ins Grübeln. Über Verantwortlichkeit zum Beispiel - und darüber, dass dieselbe von vielen Menschen ungern übernommen wird. Aber ich will jetzt nicht schon wieder auf den Wirtschaftsteil der Zeitung zu sprechen kommen. Reden wir heute doch lieber über zwei nette alte Bekannte aus der Philosophie. Denn:

Es gibt sie noch, die guten alten Dinge…Können Sie sich noch an die Tücke des Objekts erinnern? Es ist mit ihr ja irgendwie ähnlich wie mit dem lieben Gott - wenn man an sie glaubt, kann man ihr Wirken fast überall sehen - aber ihren Namen habe ich schon länger nicht mehr gehört. Sie ist zu „she, who must not be named“ geworden. Vielleicht in der vergeblichen Hoffnung der furchtsamen Menschheit, dass man ihrem bösartigen Zugriff auf diese Weise einen Riegel vorschieben kann, wer weiß das schon so genau. In meiner goldenen Jugendzeit war sie jedenfalls häufig anzutreffen. Das war auf den philosophischen Disput der damaligen Zeit zurückzuführen, der sich angesichts der verheerenden Folgen atomarer Waffen daran entzündete, ob es es ein böses Ding an sich gäbe, oder ob es immer nur der Mensch sei, der eben böse Dinge tue.

Meine Mutter pflegte die Tücke des Objekts immer dann ins Feld zu führen, wenn etwas schiefgegangen war und sich gerade kein anderer dafür verantwortlich machen ließ. Sollte im Dieselmotor an sich womöglich…? Also es war jedenfalls hundsgemein tückisch von dem schönen, aber offenbar depressiven Teller, sich in selbstmörderischer Absicht auf den Küchenboden zu schmeißen! Und wie hinterfotzig von dem Keller-Schlüssel, sich erst ingeniös zu verstecken, um dann, nachdem die Tür gewaltsam aufgebrochen war, wieder zum Vorschein zu kommen - wahrscheinlich mit einem hämischen Grinsen unter seinem Bart.

Dass ganz besonders Schlüssel ihre Tücken haben, musste einer unserer Freunde kürzlich leidvoll erleben. Er hatte spät abends noch in seiner Werkstatt gearbeitet, in einem Ateliergebäude etwas außerhalb der Stadt, das zu dieser Zeit menschenleer war. Alle Arme voll mit Sachen, sperrte er sein Auto auf, legte Schlüssel, Handy, Geldbeutel schon mal auf den Fahrersitz, um sich der restlichen Dinge auf dem Rücksitz zu entledigen, schlug die rückwärtige Tür zu - und hörte mit ungläubigem Entsetzen das verräterische Klicken, das anzeigte, dass sich in diesem Moment das Auto in heimtückischer Manier selbst verriegelte. Etwas, das selbstverständlich „eigentlich“ gar nicht passieren kann, aber genauso selbstverständlich trotzdem passiert, was uns elegant zum nächsten altbekannten philosophischen Konstrukt bringt, nämlich „shit happens“.

Ich nehme an, fast jeder kennt die Gefühlslage, in der man den inneren Dialog führt „Okay, shit happens, aber warum eigentlich immer mir?“ Warum ist es ausgerechnet mein Kind, das an der Supermarktkasse, an der etwa noch hundert andere Menschen andächtig und schweigsam warten, lauthals fragt: „Musst du dringend groß oder klein, Mama?“ Obwohl - mit der Mutter, die von ihrem wohl relativ frisch aufgeklärten Töchterlein im vollbesetzten Bus mit skeptischer aber glockenheller Stimme gefragt wurde: „Hat der Papa wirklich seinen Penis in dich reingesteckt?“ hätte man auch nicht tauschen wollen. Schlimmer geht eben immer.

Opfer krimineller Machenschaften zu werden kann durchaus unter die Kategorie „shit happens“ subsumiert werden und die Verursacher krimineller Machenschaften sind nicht selten einer Bevölkerungsgruppe zuzuordnen die ebenfalls mit einer fast verschwunden geglaubten Bezeichnung zutreffend benannt wird: „Zwielichtige Gestalten“ nämlich. Sonderbar und andererseits eine wunderbare Duplizität der Parallelen ist es allerdings, wenn man folgendes in einem Zeitungsbericht über eine Juwelen raubende Rentnerband aus London lesen kann: „Bei der Hatton Garden Security Company deponierten nicht nur die vielen in der Straße ansässigen Juweliere ihre Kostbarkeiten, sondern wohl unter anderem auch Profifußballer und andere zwielichtige Gestalten.“ (Zitat aus der SZ vom 9./10. Januar 16, Autor Christian Zaschke)

Es gab und gibt, zwar nicht zugegebener- inzwischen aber erwiesenermaßen bei den Fussball-Funktionären eine Menge zwielichtige Gestalten, aber nun die Kicker selber - man denke nur an den kreuzbraven Philipp Lahm, den tapferen Bastian Schweinsteiger, den fidelen Thomas Müller - unter diesen Generalverdacht zu stellen, finde ich ein bisschen ungerecht. Tja, was soll man zu diesem verbalen Eigentor sagen, Herr Zaschke? Shit happens, oder?