Täterrätät

| Alice Dehner
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Nun ist es also schon wieder alt, das „Neue Jahr“. Ab dem sechsten Januar gilt es zwar als hinterwäldlerisch, jemandem noch ein fröhliches „e guuts Neues“, wie der Konstanzer sagt, zuzurufen. Ich tue es trotzdem, bin schließlich bekennende Provinzlerin. Nachträglich wünsche ich Ihnen sehr herzlich, einen guten Rutsch gehabt zu haben!

 

Darauf, dass das „Neue“ lediglich eine sehr eng begrenzte Haltbarkeit besitzt und allzubald wieder alt aussieht, sind wir im ersten Satz schon zur Genüge eingegangen. Dazu also kein weiteres Wort. Es muss jedoch noch ein weiterer Aspekt beleuchtet werden: „Es gibt überhaupt nichts Neues unter der Sonne“, wusste man schon zu Methusalems Zeiten und schrieb es nieder. Doch hier irrt die Bibel! Also wie ich zuverlässig weiß, gibt es immer neue Wortschöpfungen. Ich mag vor allem die, die sich so einen quasi authentisch - wissenschaftlichen Anstrich geben. Nehmen Sie zum Beispiel folgendes: In meiner goldenen Jugendzeit konnte jemand authentisch sein, oder auch nicht, ohne an „Authentizität“ zu leiden. Wir noch Halbgebildeten hätten damals einen Knoten in die Zunge gekriegt, beim Versuch, das auszusprechen, ganz davon abgesehen, dass größte Unklarheit darüber geherrscht hätte, wie man das schreibt. Wir haben uns damals allerdings auch keine größeren Gedanken darüber gemacht, ob eine Person „authentisch“ ist oder nicht, sondern uns interessierte eher, ob das, was sie sie behauptet, faktisch richtig ist.

 

Und da sind wir schon beim nächsten neuen Wort - ich hoffe, sie goutieren den eleganten Übergang. „Postfaktisch“ ist ziemlich neu, oder? Dieses Wortgetüm bringt uns unverzüglich und ohne jeden Umweg zu jenem Typ des Politikers, Managers, Redners, Werbefachmanns, Public-Relation-Fuzzis, der im Gegensatz dazu überhaupt nicht neu ist, sondern vermutlich schon in vor-biblischer Zeit in der Grotte Chauvet oder der Höhle von Lascaux seine Zuhörer hinter das funzelige Licht der Fackel zu führen versuchte. Ich denke, Sie kennen die Typen mit der Neigung zum Postfaktischen, an die ich denke.

 

Nun will ich mich auch nicht lumpen lassen, und dem Jahr meinerseits eine Wortschöpfung schenken: Die Blamabilität des Auftritts der oben Genannten geht oftmals auf keine Kuhhaut. Es ist sozusagen zum Fremdschämen. Allerdings ist eine gewisse Blamabilität auch auf der Seite derjenigen zu verzeichnen, die den postfaktischen Schreihälsen auf den Leim gehen. Wer vermag zu ergründen, weshalb das passiert? Bei großen Menschenverführern wird als Geheimnis ihres Erfolges ja gern ins Feld geführt, sie besäßen das sogenannte Charisma. Ach nee, ich weiß nicht…

 

Also erstens ist „Charisma“ in meinen Augen sowieso eine schwer überschätzte Zutat zur menschlichen Persönlichkeit. Ich habe seit langem den Verdacht, dass „Charisma“ absolut hohl ist, wenn man ihm auf den Grund geht. Man denke nur an den Verbrecher Hitler, der seinerzeit, man kann sich das heutigentags kaum noch vorstellen, als charismatische Persönlichkeit galt. Schon allein dieses alberne Bärtchen! Er hat seine „charismatischen“ Auftritte übrigens stundenlang vor dem Spiegel geübt, liest man.

 

Zweitens bedeutet die Strahlkraft einer Person ja noch lange nicht, dass dasjenige, was man, vor lauter Strahlen ganz geblendet, nicht sieht, etwas authentisch Gutes ist. (Elegante Rückführung zum Ausgangspunkt, danke für den Beifall, wäre doch jetzt nicht nötig gewesen… Bescheidenes Kopfsenken des Vortragenden, kommt immer sehr authentisch rüber.) Authentisch im Sinne von „nachprüfbar wahr“ müssen ja nicht die Behauptungen sein, die sie als Fakten auftischt, die charismatische Person, es reicht völlig, wenn sie „Authentizität“ nun ja, ausstrahlt. Das rechtfertigt neuerdings ja sogar jede Rüpelei, jede Pöbelei, jedes sich im Ton vergreifen. Egal, wie daneben du dich benimmst, Hauptsache, du wirkst authentisch! Da kannst du so postfaktisch sein, wie du willst.

 

„Auto enthes“ bedeutete im Griechischen „von eigener Hand“ und bezeichnete übrigens auch den Selbstmord. Wenn eine Gesellschaft die Authentizität einer Person mit ihrer Glaubwürdigkeit verwechselt, scheint mir das selbstmörderisch zu sein.

 

Aber um mal auf was ganz anderes zu kommen: Ich bin echt gespannt, wohin sich Amerika unter Trump entwickelt.

 

PS.

 

Nachdem ich den obigen Text fertiggeschrieben hatte, stieß ich am Samstag, den 14. Januar in der „Süddeutschen Zeitung“ auf Seite 53 unter der Überschrift „Wilder Mann“ auf ein Sprach - Juwel, das ich niemandem vorenthalten will, der bis zum Ende meiner bescheidenen Zeilen gekommen ist. Deshalb der Nachtrag. Der Autor Harald Eggebrecht schrieb an dieser Stelle über die diversen vergangenen Inaugurationsfeiern amerikanischer Präsidenten. Ich zitiere und ich schwöre, es stand so da: „So wurde die Einführung von Barack Obama, des ersten schwarzen Präsidenten, zur Demonstration der Multikulturalität der USA…“ Beim Hinschreiben dieser Monstrosität, ich muss es zugeben, schauderte mich so, dass ich kaum die Tasten treffen tät, wenn ich nicht mit großer Intensität an mich halten tät. Ach Mensch, Herr Eggebrecht - Kulturen-Vielfalt wäre so einfach gewesen! Aber dazu braucht es halt einen gewissen Sinn für Sprach-Stilität, der mag nicht jedem gegeben sein, täterrättätät…