Vertrauen

| Alice Dehner
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Der Eindruck, den ich in etlichen Coachings und Trainings erhalten habe, lässt leider vermuten, dass in vielen Firmen, und da besonders in großen Konzernen, die Mitarbeiter zunehmend die Bindung an ihr Unternehmen verlieren. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren standen die Beschäftigten für gewöhnlich voll und ganz hinter ihrem Arbeitgeber. Der Betrieb wurde nur aus ganz wichtigen Gründen gewechselt. Heute treffe ich vermehrt auf Menschen, die sich mit ihrer Firma überhaupt nicht mehr identifizieren. Das liegt natürlich auch an den Skandalen, über die wir täglich in der Zeitung lesen können.

In meinen Augen gibt es aber noch einen anderen Grund, der auch ganz skandalfreie Firmen betrifft: Noch immer beklagen sich erschreckend viele Menschen darüber, dass sie in ihrem Berufsalltag viel zu wenig Anerkennung für ihre Leistung bekommen. Sie fühlen sich zum Teil von ihren Vorgesetzten überhaupt nicht wirklich gesehen. Und den Vorgesetzten fehlt häufig jedes Gefühl dafür, dass es dieses Problem gibt. Sie sind davon überzeugt, genügend Lob und Anerkennung zu spenden - das sei doch selbstverständlich! Es ist ja ein häufiges psychologisches Phänomen, dass Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung total getrennte Wege gehen. Den Führungskräften kann man in dieser Hinsicht nur raten, ihr Verhalten, was Lob und Anerkennung betrifft, unvoreingenommen zu überprüfen. Denn wie wichtig für alle Beteiligten es ist, dass Mitarbeiter eine gute Arbeitsbeziehung zu ihren Vorgesetzten haben, belegen eindrucksvolle Beispiele immer wieder. Fehlende Anerkennung verhindert nicht nur eine vertrauensvolle Bindung an das Unternehmen, es beeinträchtigt auch das Vertrauen des Mitarbeiters in sich selbst und seine Fähigkeiten. Darunter leidet auch seine Leistungsfähigkeit, was letztendlich ja auch auf den Chef Rückwirkungen hat.

Spürt ein Mitarbeiter hingegen, dass die Führungskraft ihm vertraut, zeitigt das oft ganz unerwartet positive Auswirkungen, nicht nur auf das Betriebsklima, sondern auch auf den allgemeinen Unternehmenserfolg. Ein Beispiel dafür zeigte sich in einer Hotelkette. Ein neueingestellter Personalchef hatte sich ausbedungen, dass er zu Beginn seiner Tätigkeit, bevor er irgendwelche Maßnahmen ergriff, die Gelegenheit erhielt, sechs Monate lang ausführlich mit den Mitarbeitern zu sprechen. Die Ergebnisse dieser Interviews in den verschiedenen Hotels waren markerschütternd. Sie waren so erschreckend, dass der Inhaber der Kette das zunächst gar nicht wahrhaben wollte und eine Mitarbeiterbefragung in Auftrag gab. Die bestätigte die Erkenntnisse des Personalchefs auf eindrucksvolle Weise. Da die Mitarbeiter auf dem Fragebogen auch die Möglichkeit hatten, offene Antworten zu formulieren, konnte man zum Beispiel lesen, dass manche Mitarbeiter ihren Chef für vollkommen unakzeptabel hielten, oder dass sie sich überhaupt nicht gesehen fühlten. Der Notendurchschnitt, den die Führung auf einer Skala von eins bis sechs erhielt, lag insgesamt zwischen vier und fünf. Es wundert nicht, dass in der Hotelkette eine hohe Fluktuation herrschte.

Der Inhaber beschloss, den vernünftigsten Weg zu gehen: Er begann bei sich selbst. Er besuchte Seminare und bildete sich hinsichtlich Führung und Kommunikation fort. Außerdem steckte er sehr viel Geld in die Verbesserung des Betriebsklimas. Es wurden Führungs- und Team-Workshops durchgeführt und alle Ergebnisse dieser Maßnahmen wurden offen gemacht. Nicht alle Manager waren bereit, sich dem auszusetzen, die verließen das Unternehmen. All diese Maßnahmen führten letztlich jedoch dazu, dass das Personal wieder Vertrauen in die Firmenleitung entwickelt hat. Die besten Ergebnisse wurden schließlich erzielt, als man daran ging, die Mitarbeiter in ihrer Persönlichkeit aufzubauen. Dieses Konzept beinhaltete, mit den Mitarbeitern ganz deutlich ihre Stärken herauszuarbeiten, sie entsprechend dieser Stärken einzusetzen und ihnen dafür auch viel Anerkennung zu geben. Das führte nicht nur zu einer Verbesserung des Betriebsklimas und einer Reduzierung der Fluktuation, weil sich die Bindung an das Unternehmen vertieft hatte, sondern zu einem weiteren Effekt, mit dem man gar nicht gerechnet hatte, nämlich zu einem deutlichen Sprung in den Umsätzen. Auch das Image als Arbeitgeber hatte sich für die Hotelkette komplett gewandelt: Wo man früher Mühe hatte, Personal zu finden, stehen heute die Leute quasi Schlange für eine Einstellung.

Vertrauen war der Schlüssel für diese Erfolge. Dafür waren zwar große Anstrengungen erforderlich, denn einmal verloren gegangenes Vertrauen lässt sich nicht per Knopfdruck wieder einschalten - aber das Ergebnis hat die Mühen und Kosten gelohnt.

Um Vertrauen zu fassen oder wiederzugewinnen in eine Firma, müssen die Mitarbeiter die Erfahrung machen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Gleichzeitig ist aber auch wichtig, dass die Mitarbeiter spüren, dass die Führungskräfte ihnen vertrauen. Und als Drittes müssen sie Vertrauen entwickeln in ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten - je besser sie darüber Bescheid wissen, und je mehr sie merken, dass sie sie einbringen können in die Firma, desto mehr Selbstvertrauen entsteht bei ihnen. Die ideale Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist eine von wechselseitigem Vertrauen - das ist gut für die einzelne Person und gut für die Firma.