Vorsicht - Influenza-Saison!

| Alice Dehner
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Das kann doch kein Zufall sein! Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die neuartige Bezeichnung für die Spezies der Meinungsmacher - die sogenannten Influencer - klingt wie ein bösartiger Krankheitserreger? Steckt da was dahinter? Verbreiten die womöglich irgendwelche ansteckenden Viren, vor denen man sich besser hüten sollte? Die Grippewelle geht ja auch gerade um und sorgt für häßliche Begleiterscheinungen, selbst bei eigentlich Unbetroffenen. Wir kriegen zum Beispiel nur noch einmal die Woche Post, weil fast alle Zusteller sich krank gemeldet haben. Eine meiner Freundinnen stand stundenlang auf einem Bahnhof, weil der Anschlusszug mangels Lokführer erst mal nicht fahren konnte, hatten alle die Grippe. Da hatten noch nicht mal die Haupt-Influencer der Bahn irgendeinen Einfluss drauf - allerdings war die einhellige Meinung aller Reisenden, dass das ein Skandal ist. Dafür brauchte man noch nicht einmal einen Meinungsmacher.

Um Irrtümern vorzubeugen: Nicht, dass die alten „Meinungsmacher“ in meinen Augen irgendwie besser gewesen wären als die neumodischen Influencer. Zu versuchen, bei Leuten eine „Meinung“ zu generieren, scheint mir per se schon anrüchig zu sein. Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch eher eine Haltung braucht, auf Meinungen können wir meistens verzichten. Deswegen denke ich, dass sich auch die meisten „Meinungsumfragen“ auf einer Skala von „dumm“ bis „überflüssig“ bewegen. Vor allen Dingen, wenn die gestellten Fragen von so unglaublicher Relevanz sind wie vor der letzten amerikanischen, respektive französischen Präsidentenwahl, „Glauben Sie, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden wird?“ Oder „Glauben Sie, dass Macron die Wahl in Frankreich gewinnt?“

Was schert denn irgendwen, zu wieviel Prozent die eine oder die andere Meinung vorherrscht? Amerika war es jedenfalls herzlich egal, dass die Mehrheit der Deutschen meinten, Trump würde nicht Präsident werden. Mich interessiert, überspitzt gesagt, noch nicht einmal meine eigene Meinung! Meinungen kommen und gehen, dazu sind sie da. Man darf sie auch ändern, ja, man soll sie sogar ändern, wenn man mit neuen Fakten und Erkenntnissen Bekanntschaft macht. Gefährlich sind doch hauptsächlich die Leute, die eine so fest gefügte Meinung haben, dass Fakten überhaupt keine Chance haben, dagegen etwas auszurichten. Die lassen ihre Meinung so lange gegen die Fakten anstinken, bis denen nichts anderes übrig bleibt als leise weinend zu verduften. Und dann fühlen sich die Herrschaften auch noch bestätigt

Aber, wie gesagt, das häßliche alte Wort „Meinungsmacher“ ist eh nicht mehr en vogue, die Leute heißen jetzt Influencer. Und kein Mensch kann mir erzählen, dass es da nicht doch eine innere Verbindung gibt mit jener hochansteckenden Krankheit, bei der man sich absolut scheußlich fühlt und die darüber hinaus für die Betroffenen üble Folgen haben kann. Mit so einer Influenza ist schließlich nicht zu spaßen. Mein Rat: Hüten Sie sich vor beiden! Das eine wirft Sie danieder, das andere lähmt Ihr eigenständiges Denkvermögen. Am besten, Sie bilden sich Ihre eigene, naja okay, Sie wissen schon, worauf ich hinaus will. Aber halt nicht eingeflüstert von irgendwem, der auch noch gut daran verdient, dass er andere Leute ansteckt, sondern eine, die aus eigenen Denkvorgängen hervorgegangen ist - und die man bereit ist, im Bedarfsfall zu revidieren. Revidieren, das heißt, noch mal anschauen. Wenn man etwas noch mal anschaut, dann sieht man manchmal Sachen, die einem beim ersten Mal entgangen sind. Das kann einen gewaltigen Unterschied machen.

Es gibt eine Gruppe Menschen, die sich täglich und nächtlich ziemlich abstrampeln, bedeutende Influencer zu sein - allerdings oft geradezu niederschmetternd vergeblich, wie sie selbst immer wieder bemerken und sich verzweifelt fragen, warum ihre Kinder verdammt noch mal nicht auf sie hören. Dabei fing alles ja eigentlich ganz vielversprechend an. Doch als die Nachkommen dann beim zweiten und gründlicheren Mal hinschauen bemerkten, dass die Erziehungsberechtigten ihnen hoffnungslos ausgeliefert sind, revidierten sie ihre Meinung über Abhängigkeiten und nützten ihre Überlegenheit was Beharrungsvermögen, Stimmgewalt und Willenskraft betrifft, schamlos aus, um ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste, koste es, was es wolle, durchzudrücken.

Dass Kinder, wenn sie sich noch nicht freiwillig unter das Diktat der Höflichkeitslüge beugen, von der ihre Möchtegern-Influencer so viel halten, zu unglaublicher Selbstanalyse fähig sind, zeigt folgende wahre Geschichte: In der Klasse einer mir gut bekannten Achtjährigen befand sich ein schwieriger Mitschüler, der in seiner Peergroup nicht viel Anklang fand, weshalb er eher kein Influencer war. Kürzlich zog er um, und aus diesem Grund regte die Lehrerin an, ihm ein Heft zum Abschied zu schenken, in das jeder etwas hineinschrieb. Eine Mitschülerin verewigte sich mit dem herzbewegenden Satz: „Lieber Tommy, ich war nie nett zu dir, aber ich werde dich trotzdem nie vergessen!“ So viel entwaffnende Ehrlichkeit! Was wäre dem noch hinzuzufügen?