Wer trifft Entscheidungen und trägt die Verantwortung?

Viele Unternehmer und Mitglieder des Managementboards stellen den Anspruch, dass ihre Führungskräfte und teilweise sogar Mitarbeitende selbstständig agieren und Entscheidungen treffen sollen. In der Realität allerdings fehlt es am Mut, Entscheidungen zu treffen und die Selbstständigkeit lässt oft zu wünschen übrig. Ist dies der Fall, sollte man einerseits einen genaueren Blick darauf werfen, warum dies so ist und anderseits die Frage beantworten, ob die Menschen im Unternehmen überhaupt Entscheidungen treffen dürfen. So erging es beispielsweise einem Coachee aus dem mittleren Management. Auch in seinem Unternehmen wurde proklamiert, dass Führungskräfte und Mitarbeitende selbstständiger werden sollen. Wenn es aber ans Entscheiden ging, fehlten plötzlich die Handlungsspielräume. Wie passt das zusammen?
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Es gehört zur essenziellen Aufgabe der Unternehmensführung, Entscheidungen zu treffen. Wie diese getroffen werden, hat maßgeblich Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg, weshalb es für jedes Unternehmen gilt, die für sich passenden Entscheidungsstrukturen zu finden.

Zentrale und dezentrale Entscheidungsstrukturen

Werfen wir zunächst einen Blick auf die gängigen Entscheidungsstrukturen, die nach wie vor in Unternehmen vorherrschen. Das traditionelle Modell beruht auf einer zentralisierten Struktur, bei der eine Person oder ein kleines Managementboard, in der Regel der/die Geschäftsführer oder andere Mitglieder des Führungsteams, alle wichtigen Entscheidungen treffen. Dieses Modell funktioniert primär dann gut, wenn es darum geht, schnell und entschlossen zu handeln, da nur eine Person konsultiert werden muss. Wir kennen diese Struktur auch im militärischen Kontext – droht dort Gefahr, ist es teilweise überlebenswichtig, dass eine Person die Marschrichtung vorgibt. Das zentralisierte Entscheidungskonzept kann gleichzeitig allerdings auch zu Engpässen führen und die Innovation in Unternehmen verlangsamen, da Ideen von nur einer Person oder einer kleinen Gruppe überprüft werden müssen, bevor sie umgesetzt werden können. Befindet man sich jedoch in einem Umfeld, in dem es gilt, Ideen schnell auf den Weg zu bringen, wird diese Art der Struktur zum Auslaufmodell.

Mittlerweile gibt es auch viele Unternehmen, die auf eine dezentrale Entscheidungsfindung setzen. Hier erhalten die Mitarbeitenden auf den unteren Ebenen mehr Einfluss und es wird ihnen ermöglicht, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne dabei die Zustimmung der Führungsebene einzuholen. Die Mitarbeitenden erhalten dadurch mehr Autonomie, was das kreative Denken sowie die Risikobereitschaft fördert, welche wiederum zu innovativeren Lösungen und schnelleren Umsetzungszeiten führen kann. Doch auch dieses Modell hat seine Nachteile. Ohne eine angemessene Aufsicht kann die Dezentralisierung zu Verwirrung und Chaos führen. Haben die verschiedenen Teams keine klare Strategie oder Anweisungen der Führung, geht es schnell in unterschiedliche Richtungen, Ideen werden zerredet und es findet keine wirkliche Umsetzung statt, da unklar ist, wer jetzt eigentlich entscheidet.

Kollaborative Ansätze – die Zukunft bei der Entscheidungsfindung?

Da sowohl die zentrale als auch dezentrale Entscheidungsstruktur Schwächen hat, entwickeln immer mehr Organisationen kollaborative Ansätze, die beides kombinieren. Bei diesem Modell kommen mehrere Interessengruppen zusammen, um ein Problem zu besprechen und gemeinsam Strategien zu entwickeln. Dabei stützen sie sich auf das Fachwissen und die Erfahrung der anderen, bevor sie gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. Dies ermöglicht eine schnellere Problemlösung, da allen Beteiligten ein Mitspracherecht eingeräumt wird. Dadurch wird sichergestellt, dass jeder mit dem Endergebnis einverstanden ist und die Expertise von den verschiedenen Bereichen einfließt. Bei der Umsetzung kollaborativer Strukturen hakt es aber häufig an zwei Faktoren.

1 – Keine klar definierten Entscheidungswege

Die Entscheidungswege und wer konkret welche Spielräume hat, wird oft nicht klar definiert. Auch im Fall des eingangs erwähnten Cochees hat es sich so dargestellt. Zwar wurde immer wieder der Wunsch nach mehr Entscheidungsfreude und Proaktivität seitens der Firmenleitung geäußert, aber nie klar erarbeitet, was das konkret bedeutet. Es blieb unklar, bei welchem Thema bis wohin von wem entschieden werden kann und wer anschließend welche Verantwortung trägt. Aufgrund dessen wurde im Arbeitsalltag immer wieder auf altbewährte Strukturen zurückgegriffen, bei denen Entscheidungen oben getroffen wurden. Es scheint als sei jedes einzelne Projekt doch so wichtig, dass man hier keinen Fehler machen dürfe und sich deswegen lieber rückversichern sollte. Auch führen fehlende oder nicht klar definierte Entscheidungswege dazu, dass Themen innerhalb der Teams fast zu Tode diskutiert werden. Am Ende wird dann keine Entscheidung getroffen oder man hängt sich an den „Rädelsführer“ im Meeting, wodurch allerdings nicht die Expertise von allen berücksichtigt wird. Im Rückschluss heißt dies, dass bei kollaborativen Strukturen immer sehr klare Wege festgelegt werden müssen.

2 – Die Fehlerkultur

Der zweite Knackpunkt ist die Fehlerkultur. Sollen Entscheidungen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen getroffen werden, braucht es eine passende Fehlerkultur. Auch das kannte der Coachee sehr gut. Er hatte einmal den Mut, eine Entscheidung zu treffen, doch diese war nicht ganz im Sinne der Unternehmensleitung. Somit wurde er als Schuldiger ausgemacht und abgestraft. Das hat ihn selbstverständlich nicht dazu ermutigt, zukünftig erneut selbstständig Entscheidungen zu treffen, sondern sich lieber abzusichern. So kam die Unternehmensleitung zu dem Schluss, dass es in der mittleren Managementebene an Mut fehlt, um Verantwortung übernehmen zu wollen.

Entscheidungsstrukturen verändern

Möchte man im Unternehmen die Entscheidungsstrukturen verändern und die Kultur neu prägen, lohnt es sich, die Entscheidungsprozesse genau unter die Lupe zu nehmen. Es sollte genau definiert werden, wer welche Entscheidungen bis zu welchem Grad treffen darf und soll. Ebenso braucht es absolute Rollenklarheit, damit zum Beispiel Teams in Meetings wissen, ob sie gerade Ratgeber für die Person sind, die die Entscheidung trifft, die Entscheidung gemeinsam getroffen wird oder die Entscheidung längst gefallen ist und sie nur darüber informiert werden. Diese Klarheit in den Rollen hilft, zu erkennen, welchen Beitrag man selbst in einem Meeting leisten kann. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich gerade die Unternehmensleitung und das Managementboard mit der Fehlerkultur auseinandersetzen. Wenn Fehler passieren, sollte es eine offene Kommunikation geben, sodass diese nicht unter den Teppich gekehrt, sondern als Lernchance angenommen werden. Hier ist es wichtig, dass sich eine Führungskraft Zeit nimmt, mit Mitarbeitenden Entwicklungsfelder aus Fehlern zu definieren, ohne in Beschuldigungen zu verfallen. Im Anschluss können gemeinsam konkrete Maßnahmen entwickelt werden, um Fehler zu beheben. Ein ebenfalls wichtiger Baustein ist, dass der Erfolg, nachdem ein Fehler ausgemerzt wurde, auch gefeiert wird.

Im Falle des Coachees, der in mittleren Managementebene agierte, war es wichtig, dass er lernte, proaktiver nach Entscheidungskompetenzen zu fragen. Er erkannte, von sich aus diese Themen in Richtung seiner eigenen Führungskraft zu platzieren. Diese wiederum war froh, dass der Coachee diese Gespräche suchte, da es für sie ein deutliches Signal war, dass er wirklich Verantwortung tragen möchte. Die Führungskraft konnte zunehmend leichter Entscheidungskompetenzen abgeben, da sie besser wusste, wie der Coachee agieren würde – ein wunderbarer Weg der gemeinsamen Entwicklung.

Fazit

Es hängt nicht immer an einer Führungskraft Entscheidungskompetenzen zu übergeben, sondern man kann auch als Mitarbeitender oder Führungskraft im mittleren Management gezielt danach fragen und das Gespräch suchen. Für unseren Coachee war das eine großartige Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und seine Abteilung voranzubringen, da er wieder mehr Ideen umsetzen und so zunehmend aktiv gestalten konnte, was enorm zu seiner Zufriedenheit beigetragen hat.

Im Business Podcast von Alice Dehner gibt es weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.