Wollen Sie einen Schuldigen suchen oder eine Lösung finden?

| Alice Dehner
Auch wenn Sie es vielleicht nicht so nennen – Sie kennen es: Das Gerichtssaal-Spiel im Büro. Es ist eines der am häufigsten gespielten Spiele im Büro, kostet Zeit und Nerven und bringt nichts außer Ärger. Eine Teamentwicklung mit Lösungsorientiertem Ansatz nach Steve De Shazer kann dagegen helfen. Um das lästige Psychologische Spiel und wie man damit umgehen kann, und um lieber eine Lösung zu finden, statt eines (vermeintlich) Schuldigen, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll, darum geht es im nachfolgenden Beitrag.
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Das Gerichtssaal-Spiel zählt zu den Psychologischen Spielen, die in der Transaktionsanalyse benannt werden als eine der Kommunikationsformen, die besonders unergiebig sind, weil sie regelmäßig schiefgehen und bei allen Beteiligten nichts als Ärger hinterlassen. Das kann von schlechter Laune, die schnell vergeht, miesen Gefühlen, die sich noch länger fortsetzen, bis hin zu echten Aggressionen, die eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit zumindest erschweren, reichen. Das Gerichtssaal-Spiel wird mit Vorliebe dann gespielt, wenn etwas schiefgegangen ist, und man den „Schwarzen Peter“ jemandem unterschieben möchte, dem unbeliebten Kollegen, den „Idioten“ aus einer anderen Abteilung oder dem inkompetenten neuen Geschäftsführer (das findet allerdings eher hinter vorgehaltener Hand statt).

Das Gerichtssaal-Spiel behindert die Lösungsfindung nicht nur passiv, indem man über das Falsche spricht, sondern auch ganz aktiv, durch die Verhaltensweisen die gezeigt werden. Menschliches Verhalten ist meistens Kontext- abhängig, wenn der Kontext aber „Gerichtssaal“ ist, werden die Betroffenen auch alle Verhaltensweisen zeigen, die man von Gerichtsverhandlungen kennt. Und nirgends wird so viel gelogen, so viel verschwiegen, so wenig das eigentliche Problem gelöst, wie bei Gericht. Und nirgendwo geht es mehr ums „Rechthaben“. Das ist schließlich der entscheidende Punkt, oder etwa nicht?

Da praktisch alle Menschen das Gerichtssaal-Spiel seit ihrer Kindheit kennen, ist es bestens eingeübt. Väter oder Mütter unter den Lesern kennen es sicherlich auch aus ihren heimischen Kinderzimmern: Bei einem Zwist unter Geschwistern kommt man in Teufels Küche, wenn man versucht, hinter die Ursache von Tränen und Geschrei zu kommen. Gerade noch glaubt man, den „Angreifer“ identifiziert zu haben, da wartet der mit einer „Verteidigung“ auf, die das „Opfer“ plötzlich in ganz schlechtem Licht dastehen lässt, woraufhin das „Opfer“ neue „Beweise“ für die „Schuld“ des anderen anführt und immer so weiter, bis Mutter oder Vater der Kragen platzt oder mehr oder weniger willkürlich ein Schuldiger benannt und bestraft wird. Die miesen Gefühle, die das hinterlässt, sind ein guter Nährboden für die nächste Runde des Spiels.

Sehr viel anders ist das im Büro auch nicht. Man will auf keinen Fall „schuld“ gewesen sein, weshalb man sich absichert und womöglich sehr viel Zeit vergeudet mit dem Verfassen von Aktennotizen, Protokollen und Hausmitteilungen, sowie dem Einberufen von Sitzungen, die nur ein Ziel haben, die eigene Unschuld unter Beweis stellen. Produktiv ist das nicht. Denn selbst wenn ein „Schuldiger“ gefunden wird, ist das Problem noch längst nicht gelöst. Und welche bösen Gefühle bei zu Unrecht Beschuldigten hängen bleiben und für Sand im Getriebe sorgen, kann man sich leicht vorstellen.

Wenn das Kind im Brunnen ist, geht es nicht darum, herauszufinden, wer es reingeschubst hat, sondern darum, es herauszuholen. Hinterher kann man sich natürlich überlegen, was zu tun ist, damit so etwas nicht nochmal passiert. Aber zunächst geht es darum, eine Lösung für das Problem zu finden. Und dafür ist es viel wichtiger, ein Ziel zu definieren, wo man hinwill, was man erreichen will, als bis ins haarkleinste zu analysieren, worin das Problem genau besteht und wer was dazu beigetragen hat.

Wenn man als Team das Gerichtssaal-Spiel verlassen will, braucht man nicht den Blick in die Vergangenheit – wer hat was getan und trägt wofür die Schuld? – sondern man braucht den Blick nach vorn. Man braucht ein Ziel, damit man eine Richtung hat, wo man hinwill. In einer Teamentwicklung verhindert lösungsorientiertes Fragen die leidige Suche nach Schuld. Stattdessen fokussiert man zum Beispiel auf die Stärken, die dazu beitragen können, eine schwierige Situation zu bewältigen. Was kann das Team gut? Worin zeichnet es sich aus?

Überhaupt werden sehr viel mehr Fragen gestellt, statt Feedback zu geben. Das sind z. B. Fragen, die sich mit der Zukunft beschäftigen: Wie wollen wir in Zukunft als Team zusammenarbeiten? Wie soll in Zukunft das Zusammenspiel als Team funktionieren? Was müssten wir jetzt ändern, um uns diesem Ziel zu nähern? Wie können wir uns weiterentwickeln, ganz egal, wer schuld ist an der gegenwärtigen Situation? Was wollen oder müssen wir am Umgang miteinander ändern, um aus dieser Lage rauszukommen und als Team gut und konstruktiv zu interagieren? Um zu Lösungen zu kommen hat sich immer auch die folgende Frage gut bewährt: Wann gab es Ausnahmen von diesem Problem? Was haben wir da anders gemacht? Welche Stärken haben wir dabei eingesetzt? Solche Fragen setzen viel mehr Einfallsreichtum in Bezug auf Lösungsfindung frei, als das Analysieren der vergangenen Fehler.

Sich auf das Positive, auf Stärken und Fähigkeiten, zu konzentrieren verhindert, in eine „Problem-Trance“ abzudriften. Die entsteht ziemlich schnell, wenn man den Fokus in die falsche Richtung lenkt. Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade eine sehr schwierige, private Situation hinter sich. Können Sie sich ausmalen, wie es Ihnen geht, wenn ein Freund oder eine Freundin Sie fragen: „Das war ja bestimmt schrecklich! Wie hast du dich denn dabei gefühlt?“ Um diese Frage zu beantworten, tauchen Sie noch einmal tief ein in all den Kummer, den Schmerz, den Ärger oder die Wut, die mit der Situation verbunden war. Nicht gerade aufbauend, oder? Was glauben Sie, wie es sich anfühlt, wenn Sie in derselben Situation gefragt werden: „Wie hast du es geschafft, damit fertig zu werden?“ Sie werden all Ihre inneren Ressourcen schildern, die Sie befähigt haben, wieder klarzukommen.

Das lässt sich durchaus auf Schwierigkeiten im Team oder bei der Arbeit übertragen. Auch da kann man sich in eine Problem-Trance hineinreden. Ist es wirklich immer so wichtig, genau zu wissen, wie das Problem entstand, wie es weiterging und wer alles dafür verantwortlich war? Klar sollte man den Finger auf eine Wunde legen können – aber man sollte nicht endlos darin herumbohren. In technischen Bereichen muss man natürlich Ursachenforschung betreiben, um zu verstehen, wie ein Fehler entstanden ist, aber bei vielen anderen Problemen ist das Forschen nach Ursachen eher kontraproduktiv. Auch das lässt sich an einem Beispiel aus dem persönlichen Leben leicht nachvollziehen. Wenn ich zum Beispiel meine Lebensgewohnheiten verbessern möchte, indem ich mich besser ernähre und mich mehr bewege, bringt es mich überhaupt nicht weiter, darüber nachzugrübeln, weshalb ich das bisher nicht getan habe. Zielführender im wahrsten Sinne des Wortes ist es, sich zu überlegen, was ich in Zukunft tun muss, um meine Vorsätze einzuhalten. Welche Bedingungen muss ich schaffen, um zu erreichen, was ich will?

Fragen nach den Zielen, wohin man will und nach den Stärken des Teams, die es möglich machen, das zu erreichen, bringen eine komplett andere Dynamik in Gang, die mehr zur Lösung beiträgt, als wenn man genau verstanden hat, wer wann was gemacht hat.