Zielvereinbarungen, die die Firma wirklich voranbringen

| Alice Dehner
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Bei den neuen Führungsmodellen, die zur Zeit mehr oder weniger heftig diskutiert werden, sticht eines hervor, das in meinen Augen tatsächlich auf eine Verbesserung hinausläuft. Es ist auch nicht wirklich hundertprozentig neu, sondern die Abwandlung des guten (oder schlechten - wie man es nimmt) alten MBO - Management by Objectives. Die weiterentwickelte Variante nennt sich OKR, was ausgeschrieben Objectives and Key Results lautet.

Um zu erläutern, weshalb das erneuerte Modell eine Verbesserung darstellt, will ich zum Vergleich noch einmal kurz die Kritikpunkte an MBO zusammenfassen:

Auch bei OKR werden Ziele vereinbart - diesmal aber wirklich vereinbart und nicht vorgegeben - jedoch mit dem Unterschied, dass es tatsächlich herausfordernde, um nicht zu sagen fast beängstigende Ziele sein sollen, die jedoch weder von einem Mitarbeiter allein, noch zu 100% erreicht werden müssen. Wenn 60 oder 70 % erreicht werden, ist die Firma begeistert, denn das heißt, dass man echt etwas bewegt, etwas erreicht hat. Dass es sinnvoll ist, sich nicht auf Ziele festzulegen, die locker zu 100 % gepackt werden können, zeigen Untersuchungen, die nachgewiesen haben, dass z.B. bei Verkäufern die Anstrengung, weitere Verkäufe zu tätigen, nachlässt, wenn sie ihre Zahlenvorgaben erfüllt haben. Sie nutzen ihre eigentlich vorhandenen Potenziale nicht aus, das ist schade für sie und schlecht für die Firma. Es gibt ja manchmal Zeiten, da sind die Umstände so günstig, dass locker zweihundert Prozent Zielerreichung drin wären - schade, wenn man das verpasst, weil man sein Ziel ja schon längst erreicht hat.

OKR berücksichtigt solche günstigen Momente und fördert gleichzeitig den Teamgedanken, denn es ist die Gruppe oder die Abteilung, die ein Ziel erreicht und nicht der einzelne Mitarbeiter. Anders als bei der herkömmlichen Zielvereinbarungspraxis schreibt OKR nicht vor, dass ein Ziel auf jeden einzelnen Mitarbeiter herunter gebrochen werden muss - es kann einmal so sein, muss es aber nicht. Das ist in meinen Augen eine Verbesserung, denn häufig ist es für alle Betroffenen sehr viel besser, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Die Gruppendynamik bringt es von allein mit sich, dass darauf geachtet wird, dass jeder Einzelne zielorientiert arbeitet.

In der Praxis sieht das so aus, dass maximal fünf Ziele gewählt werden, die jeweils durch im besten Fall vier „key results“, was man vielleicht mit „Meilensteine“ übersetzen könnte, klar definiert sind. Die Ziele beziehen sich mehr auf die Qualität der Produkte oder auf die Verbesserung von Prozessen, als auf finanzielle Vorstellungen. Dahinter steckt der Gedanke, dass, wenn das Produkt hervorragend ist, der Umsatz von allein kommt. Diese Qualitätsansprüche sind als Ziel entsprechend formuliert, müssen als key result aber auch messbar sein. Das heißt, bei vier key results pro Ziel findet auch viermal eine Überprüfung des Ergebnisses statt, sodass man auf eintretende Veränderungen schnell reagieren kann. Alle drei Monate wird in entsprechenden Sitzungen vereinbart, was als nächstes zu tun ist, wobei nicht mehr diskutiert wird, wohin es geht, sondern nur, wie umgesetzt wird, dass man dort auch ankommt.

Bei Firmen, die mit OKR arbeiten, werden alle Ziele öffentlich gemacht. Manche haben sie zum Beispiel als Chart vor der Kantine hängen, sodass alle Mitarbeiter jederzeit sehen können, welche Abteilung, welcher Bereich mit welchen Zielen beauftragt ist. Den Firmen ist wichtig, dass die Ziele den Mitarbeitern ständig präsent sind. Es wird empfohlen, jeden Arbeitstag damit zu beginnen, sich die key results zu vergegenwärtigen, um besser entscheiden zu können, was jetzt nur dringend, und was wirklich wichtig ist, um dem Ziel näher zu kommen.

Die Rückmeldungen, die ich bisher zu OKR gehört habe, zeigten, dass das Modell nicht nur die Firma weiter bringt, sondern, dass auch die Mitarbeiter mehr Spaß an der Arbeit haben, denn sie fühlen sich viel mehr eingebunden in den Prozess der Zielvereinbarung. Außerdem stehen sie nicht mehr unter dem Zwang der 100 %. Hundert Prozent können gelegentlich einmal gelingen, aber sie müssen nicht. Das führt dazu, dass man sich als Mitarbeiter auch einmal an größere Dinge herantraut, als man das unter anderen Umständen vereinbaren würde.

Was abzuwarten bleibt: Führt dieses System möglicherweise dazu, dass Mitarbeiter sich selbst noch mehr ausbeuten, als das heute ohnehin häufig genug geschieht? Um das zu verhindern, scheint es mir wichtig zu sein, auf eine entsprechende Firmenkultur zu achten. Firmen müssen ihre „Schutzfunktion“ gegenüber ihren Mitarbeitern wahrnehmen und dürfen nicht zulassen, dass deren Leben sich nur noch in den Arbeitsräumen abspielt und sie müssen das Privatleben ihrer Mitarbeiter respektieren. Das ist schließlich auch ganz im Sinne der Firma selbst: Wer sich die Produktivität seiner Mitarbeiter erhalten will, muss um ihre Regeneration besorgt sein, da können die Ziele noch so verlockend sein. Wenn das gewährleistet ist, scheint mir OKR sehr brauchbare Veränderungen gegenüber dem alten MBO zu enthalten. Warten wir die konkreten Erfahrungen ab, wenn mehr Firmen damit arbeiten.