Auf einem Bein steht es sich schlecht

| Ulrich Dehner
Ein guter Coach braucht mehr als nur ein Verfahren, um mit seinen Klienten die besten Lösungsansätze erarbeiten zu können. Die Menschen, die ins Coaching kommen, bringen die unterschiedlichsten Probleme mit – und darauf muss man mit unterschiedlichen Mitteln reagieren können. Deshalb hat der schöne alte Spruch „Wer als einziges Werkzeug einen Hammer hat…“ noch nichts von seiner Gültigkeit verloren. Wer nur hämmern kann, wird manche Probleme einfach nicht zufriedenstellend lösen.
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Auf dieser Erkenntnis muss eine gute Coachingausbildung gegründet sein. Wie ein gewiefter Handwerker sich mit mehr als nur einem Werkzeug ausstattet, mag das eine noch so gut sein, sollten Coachingsausbildungen die zukünftigen Coaches mit mehr als nur einem Coachingtool ausstatten, damit sie sich später in ihrem Job und auf dem Markt behaupten können. Coachingausbildungen, die nur ein einziges Verfahren präferieren, greifen deshalb meiner Ansicht nach zu kurz und bieten den Teilnehmern nicht genügend Instrumente an, um später als Coaches gut gewappnet zu sein für die Anforderungen ihrer Klienten.

Systemische Ansätze zum Beispiel sind sehr gut und wichtig – doch wenn man glaubt, dass Verhalten sich mehr aus dem System, dem sozialen Umfeld heraus, erklärt, und weniger mit den persönlichen Gegebenheiten eines Menschen zu tun hat, auf den Prüfstand der alltäglichen Erfahrung stellt, so muss man erkennen, dass Aspekte, die ebenso wichtig sind wie die systemischen Zusammenhänge, dabei nicht berücksichtigt werden. Ein Mangel, der dazu führen kann, dass die Probleme eines Klienten nicht wirklich erfasst und deshalb auch nicht zufriedenstellend gelöst werden können.

Auch wenn es unerlässlich ist, systemische Zusammenhänge zu berücksichtigen und sie deshalb in jeder Coachingausbildung ihren Platz finden müssen: Wer nur auf das System schaut, vernachlässigt dabei, dass der Mensch mit seiner individuellen Geschichte und den daraus gewonnenen Erfahrungen ja ebenfalls ein „System“ darstellt. Dieses System braucht, damit es wirklich verstanden wird, auch psychologische Kenntnisse. Das „System“ Mensch interagiert mit dem „System“ Umgebung – aber jeder auf seine individuelle Weise, und wie diese Interaktion jeweils ausfällt, lässt sich mit den Instrumenten der systemischen Ansätze nicht fassen.

Führungskräfte und Personaler machen immer wieder die Erfahrung, dass Probleme mit einer Abteilung, mit einem Team sich auf zwei Arten lösen können: Manchmal taucht das gleiche Problem mit einer neuen Führungskraft wieder auf. Dann sind ganz sicher systemische Ursachen der Hintergrund, die es aufzuspüren gilt. Manchmal allerdings ist das Problem dieser Abteilung gelöst, wenn ein neuer Chef kommt. Der vorige Chef jedoch hat bald wieder die gleichen Probleme mit einem neuen Team. Dann sollte man doch genau analysieren können, was die Problematik dieser Einzelperson ist – und die hat natürlich etwas mit ihrem individuellen Verhalten, und möglicherweise mit der Geschichte, wie es zu diesem Verhalten gekommen ist, zu tun.

Dann greift auch die These, die in der Theorie der systemischen Ansätze vertreten wird, dass der Kontext darüber entscheidet, wie jemand sich verhält, eigentlich zu kurz. Es fehlt der Zusatz, dass „Kontext“ nichts allgemein Gültiges ist, sondern von jedem Menschen individuell für sich definiert wird. Ein durchaus freundschaftlich gedachtes Gesprächsangebot zum Beispiel, kann von einem anderen, der schlechte Erfahrungen gemacht hat, in den Kontext „Falle“ gebracht werden, und entsprechend vorsichtig oder misstrauisch wird er sich verhalten – was sicher wieder Rückwirkungen auf den hat, der das ursprüngliche Gesprächsangebot gemacht hat, so dass sich das Ganze letzten Endes doch sehr unschön und feindselig entwickeln kann. Um das zu verstehen, muss man jedoch etwas über die beteiligten Personen, ihre Geschichte, ihre Bezugsrahmen und ihre Kommunikationsmuster wissen. Da bietet sich die Transaktionsanalyse als theoretisches Modell an.

Eine Führungskraft etwa, die mit einem Mitarbeiter einfach nur analysieren will, was mit einem bestimmten Kunden schiefgelaufen ist, um herauszufinden, was man vielleicht verändern sollte, wird nicht weit kommen, wenn der Mitarbeiter aufgrund vorher gemachter Erfahrungen glaubt, nun stehe er vor Gericht und solle für seine „Missetaten“ bei diesem Kunden abgeurteilt werden. Er wird seine Unschuld beteuern, Beweise dafür anschleppen, dass er nichts dafürkann, Wesentliches, was gegen ihn verwendet werden kann, verschweigen und im schlimmsten Fall sogar lügen - was man halt so tut, wenn man vor Gericht steht und Angst vor Strafe hat. Das heißt, die Kontextdefinition, die der Mitarbeiter unbewusst trifft, entscheidet darüber, welche Verhaltensweisen ihm sinnvoll erscheinen und welche nicht.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die „Kontextwahrnehmung“ als „Kontextinterpretation“ immer darüber entscheidet, wie jemand sich verhält – und zu verstehen, wie diese Wahrnehmung ausfällt, dazu braucht man mehr Handwerkszeug als den „systemischen Hammer“. Denn schließlich hätte der Mitarbeiter im obigen Beispiel den Kontext ja auch durchaus anders interpretieren können. Er hätte das Gesprächsangebot des Chefs wahrnehmen können als „Mein Chef möchte mich unterstützen, damit mir das nicht noch einmal passiert“, das hätte natürlich eine Offenheit zur Folge gehabt, die im anderen Fall nicht möglich war.

Welche Kontextwahrnehmung jemand wählt, hängt mit seinen Erfahrungen zusammen: Erfahrungen, die er in dieser Firma gemacht hat, zum Beispiel mit früheren Chefs, hat aber auch viel damit zu tun, welche Erfahrungen er in seiner Lebensgeschichte gemacht hat. Wenn er bereits in einer Familie aufwuchs, in der „Gerichtssaal“ zur Tagesordnung gehörte, wo die Frage danach, wer „schuld ist“ zu den wesentlichen Fragen des Lebens gehörte, neben der, „wer angefangen hat“, der besitzt ein lebenslanges Training darin, vorsichtshalber diesen Kontext zu unterstellen. Das macht es ihm natürlich schwer, einen anderen Kontext wahrzunehmen, wenn es um die Aufarbeitung von Fehlern geht. Insofern ist das Erklärungsmuster aus dem Kontext eben sehr häufig verknüpft mit dem Erklärungsmuster aus der Lebensgeschichte.

Die individuelle lebensgeschichtliche Erfahrung ist jedoch gar nicht notwendig, wenn in einer Firma generell gern das „Gerichtssaalspiel“ gespielt wird, und die Mitarbeiter die Erfahrung gemacht haben, dass es darauf hinausläuft, wenn es darum geht zu untersuchen, warum etwas schieflief. In einer Firma, in der jeder befürchten muss, dass nur ein „Schuldiger“ gesucht wird, der einen Kopf kürzer gemacht wird, wird ein neuer Chef, der dieses Muster durchbrechen will, zunächst einmal große Mühe haben, die Mitarbeitenden von einer anderen Kontextinterpretation zu überzeugen.

Es bleibt also festzuhalten, dass es ganz wesentlich vom Erfahrungshintergrund eines Menschen abhängt, wie er einen Kontext interpretiert. Für eine Coachingausbildung bedeutet das, dass es wichtig ist, dass Coaches lernen, von beiden Seiten auf ein Problem zu schauen: Sich zu fragen, welches die systemischen Gegebenheiten sind und welches die persönlichen Voraussetzungen des Klienten sind.

Beide Erklärungsmuster, systemisch und psychologisch, sind als Modelle weder „richtig“ noch „falsch“, sondern man kann sie betrachten als „Landkarten“. Je nachdem, was ich mir genau anschauen will, ist die eine Landkarte hilfreicher als die andere. Eine Wanderkarte ist die richtige, wenn ich zu Fuß durch den Schwarzwald will, will ich ihn jedoch mit dem Auto durchqueren, hilft sie mir nicht weiter, da brauche ich eine andere. Und je mehr „Landkarten“, sprich Sichtweisen auf ein Problem, jemand zur Verfügung hat, desto eher findet er die Landkarte, die im Moment am hilfreichsten ist. So muss man auch die unterschiedlichen Coachingschulen betrachten. Deshalb halte ich es für sinnvoll, dass in einer Coachingausbildung unterschiedliche Herangehensweisen vermittelt werden – damit am Ende nicht alle Probleme aussehen wie Nägel.