Es geht leichter als Sie denken!

| Ulrich Dehner
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Gründe dafür, sich selbst verändern zu wollen, gibt es reichlich. Sie alle haben damit zu tun, dass man sich das Leben, die Gestaltung seiner Beziehungen oder die Bewältigung bestimmter Situationen leichter machen will. Dafür ist man bereit, an sich selbst zu arbeiten. Aber: „Arbeit an sich selbst“ – das klingt schon nach Anstrengung, nach Mühsal, Blut, Schweiß und Tränen, nach harter Arbeit halt. Es klingt nicht nach Lebensfreude, Leichtigkeit und Aufatmen. Schade eigentlich, denn genau das sollte ja dabei herauskommen.

Zur harten Arbeit wird der Veränderungsversuch dann, wenn man es über den rein „gedanklichen Weg“ probiert. Der Weg, über das Denken die eigenen Gefühle langfristig zu beeinflussen, ist mit vielen Niederlagen gepflastert. Man kommt immer wieder in die gleichen Situationen, man kämpft immer wieder neu gegen die alten Muster – denn die irrationalen Gefühle sind einfach schneller da, als die rationalen Erkenntnisse wirken können. Dieser Ansatz ist echt harte Arbeit.

Es gibt auch viele Menschen, für die ist „Arbeit an sich selbst“ assoziiert mit hochemotionalen Zuständen, die einhergehen mit inneren Schmerzen, jeder Menge Schwierigkeiten, bitteren Erinnerungen, Weinkrämpfen – Drama pur! Darf’s auch für fünfzig Cent weniger sein? Ein gutes Ergebnis ist nämlich auch emotional billiger zu haben. Man muss nicht mit stark emotionalen Verfahren zu Werke gehen, bei denen man alles, was zur jetzigen unbefriedigenden Situation beigetragen hat, noch einmal neu durchleben muss. Das ist ebenfalls harte Arbeit, noch dazu mit fraglichem Erfolg.

In der persönlichen Entwicklung weiterzukommen, ist natürlich mit Gefühlen verbunden, vielleicht auch mit heftigen inneren Reaktionen – aber es braucht dazu kein übertriebenes Drama. Arbeit an sich selbst, das bedeutet, einen Schritt zu größerer, innerer Reife zu gehen. Innere Reife ist das Ergebnis fortschreitender Integration aller vorhandenen Persönlichkeitsanteile. Und „alle“ meint alle, also auch jene, die man selbst nicht mag, nicht wahrhaben will, mehr oder weniger erfolgreich verdrängt.

Um eine solche Integration zu erreichen braucht man sich keinen spektakulären Verfahren zu unterziehen – es genügt, ihnen ganz undramatisch jenen Raum zu gewähren, den sie brauchen, um ihre Brisanz zu verlieren. Die Brisanz haben sie nämlich nur, weil sie verzweifelt schreien: „Nun nimm mich endlich wahr!“ Und solange auf diesen Ruf nicht reagiert wird, solange man die Angst, die Wut, die Traurigkeit, die Bedürftigkeit oder was es auch sei, sofort beiseite schiebt, so lange kehrt sie treu wie Gold wieder.

Wir alle kennen Gefühlszustände, die wir nach Möglichkeit vermeiden, bei dem einen ist es Furcht, beim anderen Neid, beim dritten Eifersucht, suchen Sie sich irgendetwas aus. Und jeder von uns hat im Laufe seines Lebens Strategien entwickelt, wie man diese Vermeidung am besten bewerkstelligt. Der eine lässt sich gar nicht erst auf tiefe Beziehungen ein, weil er so vermeidet, sich abgelehnt zu fühlen, der andere packt keine anspruchsvollen Aufgaben an, obwohl er es könnte, weil er damit vermeidet, eventuell zu scheitern.

All dieses Vermeidungsverhalten ist zwar durchaus nachvollziehbar – keiner macht gern schlechte Erfahrungen. Doch genau dieses Verhalten sorgt auch dafür, dass die dahinterliegenden Persönlichkeitsanteile mit ihren Emotionen nie akzeptiert werden. Man versucht, sie abzuspalten, sie los zu werden, mit dem weiter vorn skizzierten Ergebnis, dass sie sich immer wieder melden.

Gebildet haben sich diese Anteile sehr häufig in der Kindheit, wo sie ebenfalls nicht versorgt wurden – weil kein Erwachsener zur Stelle war, der das hätte tun können und sollen. Und heute, da man selbst jener Erwachsene ist, der das tun kann und soll, lässt man das innere „Kind“ wieder allein. Denn diese Anteile, die sich da immer wieder melden, fühlen sich gar nicht gut an, weshalb man mit ihnen nichts zu tun haben will. Doch dadurch, dass wir fortsetzen, was in der Kindheit passiert ist, nicht für den bedürftigen Teil zu sorgen, zementieren wir seinen Bestand.

Der Weg, das zu ändern, besteht ganz einfach darin, diese unangenehmen Teile zuzulassen. Es mag der Intuition zuwiderlaufen, etwas aufzulösen, indem man es zulässt, doch das ist genau, was passiert. Wobei „zulassen“ nicht „ausagieren“ bedeutet. Zulassen heißt, das Gefühl wahrnehmen, wenn es kommt. Ihm Raum geben heißt, nicht es wegdrücken wollen, sondern es beobachten. Den Schmerz, die Angst, die Wut, die Enttäuschung und was das bei einem selbst alles auslöst, beobachten, ohne sich davon mitreißen zu lassen. Das heißt, den negativen Gefühlen wird nicht die Regie überlassen. Man identifiziert sich nicht mit diesen Gefühlen: Man „ist“ nicht das Gefühl, man „hat“ das Gefühl – es ist etwas, dem man zusehen kann wie einem Gewitter am Himmel. Und dabei wird man die Erfahrung machen, dass das Gefühl ebenso vorüber zieht wie das Gewitter.

Wenn der „erwachsene“, reife Teil in uns in Kontakt ist mit dem ungeliebten, unreifen, so kann dieser Teil „nachholen“, was ihm bisher gefehlt hat: Aufmerksamkeit und die Akzeptanz, dass er da ist. Viel mehr braucht er gar nicht. So wie ein Kind meist auch nicht mehr braucht als einen Erwachsenen, der beruhigend sagt: „Es ist alles in Ordnung! Du bist nicht allein.“

Die Bedingungen für das „Nachreifen“ sind also:

Jeder kann für sich selbst der Erwachsene sein, der ein empfundenes Gefühl ernst nimmt, es zulässt, aber kein Drama daraus macht. Klingt das immer noch nach so schrecklich harter Arbeit?