Darf’s ein bisschen Drama sein?

| Ulrich Dehner
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Bei Psychologischen Spielen gibt es, wie bei Gesellschafts- oder Mannschaftsspielen, ganz bestimmte Regeln, denen sie folgen, weshalb man dabei so leicht denkt: „Oh Gott, nicht das schon wieder! Ich weiß genau, was jetzt kommt!“

Psychologische Spiele sind aber auch dadurch gekennzeichnet, dass die Mitspieler wie in einem Schauspiel ganz bestimmte Rollen einnehmen. Die sie sogar einnehmen , damit überhaupt ein Spiel zustande kommt. Es sind genau drei Rollen, die zu einem psychologischen Spiel gehören und die gemeinsam das sogenannte Drama-Dreieck bilden: Opfer, Retter und Verfolger.

Der Ausdruck „Drama-Dreieck“ könnte gar nicht treffender gewählt sein, denn aus nur drei Rollen „Angreifer“, „Opfer“ und „Retter“ können sich, je nach Eskalationsstufe, Szenen entwickeln, die griechischen Tragödien das Wasser reichen können. Vielleicht haben Sie ja auch schon solche Dramen erlebt, als Mit- Akteur oder als Zuschauer: Türen knallen, Tränen fließen, Haare raufen und Hände wringen sich, es wird gebrüllt und getobt und am Schluss sind nicht alle tot, wie bei der Oper, aber alle fühlen sich halbtot. Kommt bei Ihnen hoffentlich nicht allzu häufig vor, denn es ist ja ganz schön anstrengend. Dramen kleineren Ausmaßes hingegen begegnet man fast täglich.

Der Filialleiter einer großen Steuerberatungsgesellschaft erzählte folgendes: „Fast hätte ich zwei meiner fähigsten Mitarbeiterinnen verloren. Die beiden kamen einfach nicht miteinander klar. Jede der beiden jammerte über das ‚unmögliche Verhalten‘ der anderen, die ihr das Leben zur Hölle mache. Redete ich mit der einen, um ihr den Standpunkt der anderen verständlich zu machen, beschuldigte sie mich, total parteiisch zu sein, redete ich mit der anderen, ging es mir genauso. Schließlich kam es soweit, dass beide kündigen wollten, weil sie sich von mir ‚im Stich gelassen‘ fühlten.“

Jede von beiden war dem Chef gegenüber in die Opferrolle geschlüpft und hatte ihm die Retterrolle angetragen. Und als „guter Chef“, der er sein wollte, nahm er diese Rolle auch jedesmal an, mit dem Ergebnis, dass er beide Mitarbeiterinnen gegen sich aufbrachte. Was danach passierte, gehört ebenfalls zu jedem Spiel. Die beiden Mitarbeiterinnen wechselten die Rolle, nämlich von der „Opfer“- in die „Angreifer“ -Position: „Was, du willst mich nicht retten, du Schweinehund? Kannst du gleich mal sehen, was du davon hast!“.

Den Rollenwechsel können Sie bei jedem Spiel beobachten. Der Rollenwechsel leitet das Ende des Spiels ein und sorgt dafür, dass der „Spielgewinn“ in Form von schlechten Gefühlen ausgezahlt wird. Ein „armer Hilfesuchender“ etwa bittet Sie zum wiederholten Mal: „Könnten Sie mir diesen Ablauf noch mal erklären? Mir ist da eine Sache noch nicht ganz klar.“ Antworten Sie etwas entnervt: „Aber ich habe mir doch gestern extra eine halbe Stunde Zeit genommen, um das mit Ihnen durchzusprechen!“ – folgt blitzschnell der Wechsel in die Angreiferrolle: „Wenn Sie es mir gestern verständlich und logisch nachvollziehbar erklärt hätten, bräuchte ich heute nicht noch mal zu fragen!“ Zack, das sitzt! Jetzt ist der schwarze Peter bei Ihnen – Sie wollen nicht retten? Also wird schnell Ihre Kompetenz angezweifelt. Das ist schließlich fast immer ein guter Köder, um jemanden doch noch in ein Spiel zu ziehen. Aber selbst wenn sich kein weiteres Wortgerangel daraus entwickelt, bleibt bei Ihnen beiden ein ungutes Gefühl zurück. Bei Ihnen, weil Ihre Kompetenz in Frage gestellt wurde, beim Kollegen, weil er nicht bekam, was er wollte.

Dieses ungute Gefühl ist aber doch auch zu etwas nütze, es ist nämlich für Sie ein gutes Warnsignal. Immer wenn Gespräche mit Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kollegen, Kunden oder anderen Gesprächspartnern ein unangenehmes Gefühl bei Ihnen verursachen, fragen Sie sich:

Wenn Sie diese angebotene Rolle nicht akzeptieren, kann kein psychologisches Spiel zustande kommen, denn spielen können Sie nur in einer der drei Rollen.

Um aber nicht unversehens doch in ein Spiel hinein zu rutschen, ist es wichtig, dass Sie die Rolle ablehnen. Denn wenn Sie unfreundlich, gereizt oder sauer reagieren, geschieht das aus der Angreiferrolle heraus und Sie landen doch wieder in einem Spiel.

Das ist natürlich manchmal leichter gesagt als getan. Das Angebot, in eine bestimmte Rolle zu schlüpfen, wird Ihnen sehr verlockend präsentiert und oft genug so subtil, dass Sie erst merken, was mit Ihnen gemacht wird, wenn Sie die Rolle schon übernommen haben. Und selbst wenn Sie zunächst standhaft bleiben, kann es passieren, dass Ihr Gesprächspartner in seiner Rolle so weit eskaliert, dass Sie bald gar nicht mehr wissen, wie Sie die angebotene Rolle noch angemessen zurückweisen können. Es erfordert Aufmerksamkeit und etwas Übung, aber wenn Sie den Mechanismus einmal durchschaut haben, wird es Ihnen immer besser gelingen.

Die Opferrolle ist dadurch gekennzeichnet, dass das Opfer im psychologischen Spiel Deshalb darf man ein „Opfer“ im psychologischen Spiel auch nicht verwechseln mit dem Opfer eines Unfalls, einer Katastrophe oder eines Verbrechens. Die sind tatsächlich durch die momentane Situation auf die Hilfe von außen angewiesen. Ein Opfer im Spiel jedoch macht sich selbst kleiner und unfähiger, als es in Wahrheit ist. Der Zweckdieses Verhaltens ist, als Köder zu dienen, damit der Retter im anderen an- und einspringt.

Auch der „Retter“ in einem psychologischen Spiel ist nicht einfach nur jemand, der gern hilfsbereit ist. Ein Retter ist jemand, weil er selbst durch tatsächliche oder vermeintliche Hilflosigkeit beim anderen in eine innere Zwangslage gerät. Die Retterrolle zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass der Retter auf jedes Anzeichen von Hilflosigkeit sofort reagiert. Andererseits aber auch dadurch, dass er in der Regel die Sichtweise des Opfers, nämlich klein, unfähig und hilflos zu sein, übernimmt. Er bestätigt damit dem Opfer die meist vorhandene Selbsteinschätzung. Das ist sozusagen der Pferdefuß des Retters: Er trägt aktiv mit dazu bei, das Opfer klein zu machen oder zumindest klein zu lassen.

Dass Retter nicht nur willkommene Unterstützung anbieten, sondern ganz schön unangenehm sein können, haben Sie vielleicht selbst schon erlebt. Zum Beispiel, wenn jemand Ihnen mit aller Gewalt eine Hilfe aufgedrängt hat, die Sie weder wollten noch brauchten. Sie fühlten sich dadurch vielleicht sogar abgewertet oder klein gemacht, jedenfalls nicht dankbar.

ist meist auch das Ziel des „Angreifers“ – nur dass er es nicht auf pseudo-liebevolle Art und Weise versucht, sondern mit Aggression. Der Angreifer setzt sich mit Vorwürfen, Unterstellungen, Schuldzuweisungen, mit Lautstärke, Sarkasmus und dominantem Auftreten in Szene. Angreifer versuchen, ihre Opfer zu erschrecken und an die Wand zu drücken. Auch beim Angreifer gilt es genau hinzuschauen. Nicht jeder, der gerade seinem Ärger Luft macht, ist ein Angreifer, auch nicht jeder, der einen anderen kritisiert.

Einen Angreifer erkennt man ganz gut daran, dass er zum Beispiel nicht das Verhalten eines anderen ganz konkret kritisiert, sondern die ganze Person in Bausch und Bogen aburteilt. Auch die Wortwahl liefert einen Hinweis. Angreifer übertreiben gern und bedienen sich der sogenannten Absolutbegriffe: Immer, nie, andauernd, nur, ausschließlich, total. Dabei sind Angreifer manchmal der sprichwörtliche „Papiertiger“. Sie haben irgendwann im Laufe ihres Lebens gelernt, dass sie nur massiv genug auftreten müssen, um zu kriegen, was sie wollen. Wenn man sich davon nicht ins Bockshorn jagen lässt, können sie ganz lieb sein. Und manchmal sind sie „Angstbeißer“, die unversehens in die Opferrolle wechseln, wenn sie einem anderen Angreifer begegnen.

Wenn Sie mehr über Psychologische Spiele wissen wollen: Sie finden alles in „Schluss mit diesen Spielchen“ von Renate und Ulrich Dehner - auch, wie Sie es schaffen, immer seltener in Spiele hineingezogen zu werden.