Talente fördern – aber wie? Bei der Problemanalyse schon mal „marsisch“ gefragt?

| Ulrich Dehner
Es gibt immer noch zu viele Unternehmen, die führen, als gäbe es gute Mitarbeiter zuhauf an jeder Straßenecke. „Im Prinzip“ ist allen klar, dass gute Mitarbeiter ein rares Gut sind, in der Realität verlassen immer noch viel gute Leute ihre Firmen, weil sie von Führungskräften enttäuscht sind. Zwar haben die meisten großen Unternehmen inzwischen erkannt, dass sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser fördern müssen, aber sowohl bei den Großen als auch beim Mittelstand hat sich die „Führungskraft als Coach“ nach unseren Erfahrungen noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Ein wichtiges Tool dabei ist die Problemanalyse auf die wollen wir im Beitrag eingehen.
KW5_Problemanalyse.jpg

Die Anforderungen an Führungskräfte haben sich in den letzten Jahren stetig verändert – und erweitert. Es genügt nicht mehr, gut im eigenen Fachgebiet zu sein. Wer andere führen will, muss viel von Kommunikation verstehen, muss Empathie an den Tag legen können und muss wissen, wie er effizient jemanden unterstützen kann, bei dem es gerade in irgendeiner Weise „klemmt“. Kurz, eine Führungskraft muss über Coaching-Qualitäten verfügen. Das ist nicht jedem von Haus aus gegeben, aber man kann lernen, wie man Mitarbeiter so fördert, dass sie dem Unternehmen weiterhin als die wichtigen Talente, die sie sind, zur Verfügung stehen. In schwierigen Zeiten wie den jetzigen ist es von großem Vorteil, wenn Führungskräfte zum Beispiel etwas von Problemanalyse verstehen – dann werden nicht ergebnislos Mittel und Zeit verschwendet mit Maßnahmen, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein unverstandener Mitarbeiter sein Glück bei einer anderen Firma versucht.

Die Problemanalyse

Ein Problem kann man nur lösen, wenn man es verstanden hat. Viele Führungskräfte stehen jedoch so unter Zeitdruck oder setzen sich selbst unter so hohen Erfolgsdruck, dass sie „Lösungsorientierung“ dahingehend missverstehen, eine Lösung anzubieten oder zu verordnen, noch bevor sie sich die Zeit genommen haben, das Problem genau verstanden zu haben.

Wenn Sie Ihre Mitarbeiter mit Lösungsvorschlägen unterstützen wollen, sollten Sie sich auf jeden Fall die Zeit nehmen, das Problem, um das es geht, gründlich zu erfragen. Das ist letzten Endes gewinnbringender, als wenn Ressourcen, Arbeitszeit und Nerven mit „Lösungen“ strapaziert werden, die nicht zielführend sind. Fragen sind das A und O, vergessen Sie das niemals!

Die Fragetechnik

Um an den Kern eines Problems zu kommen, spielt die richtige Fragetechnik eine große Rolle. Die Begriffe „offene“ und „geschlossene“ Fragen sind Ihnen sicher nicht fremd. Wie die meisten Führungskräfte werden Sie gewiss irgendwann gehört haben, dass es die „offenen“ Fragen sind, die Ihnen die meisten Informationen vermitteln und nicht die „geschlossenen“. Noch einmal zur Erinnerung: „Geschlossene“ Fragen sind solche, die man mit einem knappen „Ja“ oder „Nein“ beantworten kann, als „offene“ werden solche Fragen bezeichnet, die zu ihrer Beantwortung ganze Sätze erfordern.

Auch Multiple-Choice-Fragen, bei denen dem anderen gleich ein Reigen von Alternativen angeboten wird, bringen nicht die Informationen, die Sie brauchen. Wenn Sie wirklich eine Antwort wollen, müssen Sie mit offenen Fragen arbeiten.

Eine Problemanalyse kann man mit einer Suche in einem dunklen Raum vergleichen. Wenn Sie in einem dunklen Raum etwas suchen, werden Sie das nicht mit einer Taschenlampe oder gar einem Laserpointer probieren, wenn Sie die Möglichkeit haben, ein breit streuendes Licht anzumachen. Geschlossene Fragen sind der Laserpointer, offene Fragen hingegen erhellen den Raum, auch für die inneren Suchprozesse des Mitarbeiters, der vielleicht zunächst ein bisschen Zeit braucht, bevor er auf eine offene Frage Antwort geben kann. Lassen Sie ihm auf jeden Fall diese Zeit! Werden Sie nicht ungeduldig und bieten ihm vorschnell eine eigene Alternative an. Je nachdem, wie angepasst Ihr Gesprächspartner ist, wird er womöglich vorschnell nach diesem „Strohhalm“ greifen – und Sie sind letzten Endes keinen Schritt weiter.

Marsische Fragen

Auch wenn Sie überzeugt davon sind, zu wissen, worum es geht: Stellen Sie sich auf jeden Fall so, als wüssten Sie gar nichts. Denn das trifft den Kern der Sache: Sie wissen zunächst nichts. Sie haben vielleicht Hypothesen – aber wenn Sie diese zu Beginn gleich äußern, schränken Sie sich unnötig ein. Denn es besteht die Gefahr, dass Sie mit diesen Hypothesen auch Ihren Mitarbeiter festlegen und er sich gedanklich gar nicht mehr auf die Suche nach der richtigen Antwort macht.

Lassen Sie sich alle Antwortmöglichkeiten offen, mit offenen Fragen, die Sie so stellen, als kämen Sie geradewegs vom Mars. Es geht nämlich überhaupt nicht um irgendwelche ausgefeilten Fragetechniken, sondern es geht darum, dass man am meisten erfährt, wenn man überhaupt nichts voraussetzt. Denn viel zu häufig glaubt man, bereits etwas zu wissen, statt einfach nachzufragen. Sehr schnell spielt einem da die eigene Erfahrung einen Streich.

Ganz besonders schnell ist man mit falschen Lösungen bei der Hand, wenn der Mitarbeiter selbst eine griffige Erklärung seines Problems anbietet: „Ich bin nun einmal kein Team-Player“, „Ich habe ein Zeitmanagement-Problem“, „Telefon-Akquise liegt mir nicht, das kann ich einfach nicht“. Das sind alles sehr gängige Überschriften und damit kann man ja auch sofort etwas anfangen. Oder nicht? Mancher Chef weiß jedenfalls sofort was gemeint ist und ist mit einem entsprechenden Lösungsvorschlag bei der Hand. Dumm, wenn das Problem anschließend immer noch da ist. Besser wäre es gewesen, die Überschriften mit ein bisschen Text anzureichern, indem man „marsische Fragen“ stellt:

  • Was meinen Sie genau damit?
  • Woran zeigt sich denn, dass Sie ein (z.B. Zeitmanagement)-Problem haben?
  • Was macht Ihnen am meisten Schwierigkeiten?
  • Was macht weniger Schwierigkeiten?

Wenn Sie dem Mitarbeiter solche Fragen stellen, lösen Sie bei ihm intensive innere Suchprozesse aus. Um diese Fragen beantworten zu können, muss er sein Verhalten einer genauen Überprüfung unterziehen. Und das ist der Zweck der Übung, denn nur auf der Verhaltensebene werden Sie konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Problemlösung finden.

Die Problem-Definition

Es hat sich oben schon angedeutet: Lassen Sie sich durch Problem-Definitionen, die Ihnen vorgefertigt angeboten werden, nicht zu schnell abspeisen. Denn oftmals ist es die Problem-Definition, die einer Lösung im Weg steht. Weil sie den Blickwinkel so einengt, dass selbst naheliegende Lösungen nicht mehr gesehen werden. Man kann sich das an folgendem Beispiel veranschaulichen:

Stellen Sie sich vor, hundert Tennis-Spieler spielen im K.O.-System gegeneinander. Wer einmal verloren hat, ist nicht mehr im Spiel. Wie viele Spiele müssen gespielt werden, bis der Sieger feststeht?

Bevor Sie sich jetzt in komplizierte Rechenmanöver stürzen, wollen wir Ihnen die Sache einfacher machen und das Problem neu definieren: Wie viele Verlierer muss man produzieren, damit ein Gewinner übrig bleibt?

Genauso ist das manchmal auch mit den Problem-Definitionen im Berufsleben. Sie sind deswegen nicht hilfreich, weil sie bereits den Lösungsversuch strukturieren, dadurch können sich die Gedanken nicht mehr frei in alle Richtungen bewegen. Für Sie bedeutet das, dass Sie möglichst genau nachfragen und zwar in alle Richtungen.

Eine gute Problemanalyse durchführen zu können ist nur ein kleiner Schritt, aber ein wichtiger, um auch als Führungskraft mehr Coaching-Kompetenz an den Tag zu legen.

ACT - Coachingtools für Führungskräfte