Warum die Frage nach dem „Warum“ nicht immer die wesentliche ist

| Ulrich Dehner
Es gibt im Führungsalltag viele Situationen, in denen es zielführender ist, weniger am „Warum“ eines Verhaltens oder an den Absichten dahinter interessiert zu sein als vielmehr an den Auswirkungen. Die Absichten können sehr gut sein, aber die Auswirkungen des eigenen Verhaltens sind ganz andere als man wollte. Deshalb lohnt es sich, sich immer wieder zu fragen, welche Auswirkungen das eigene Verhalten haben könnte, oder mit Mitarbeitern darüber zu sprechen, welche Auswirkungen ihr Verhalten gezeitigt hat, beziehungsweise zeitigen wird. Denn die besten Absichten können negative Folgen nach sich ziehen, wenn übersehen wurde, welche Störungen im Muster eines Systems, wie es ein Team oder eine Firma ist, sich ereignen, wenn man dieses oder jenes anders macht als bisher.
KW26_Systemisch.jpg

In der Mustererkennung geht es darum, zwischen Problemmuster und Lösungsmuster zu unterscheiden. Wie bei einem Gewebe sind Verhalten, Emotionen, Denken und Schlussfolgerungen zu einem Muster miteinander verwebt oder vernetzt. Ändert man an nur einer Stelle etwas, ist das ganze Muster sofort auch ein anderes. So könnte ein Muster zwischen Führungskraft und Mitarbeiterin folgendermaßen aussehen: Die Führungskraft nimmt immer wieder Fehler der Mitarbeiterin wahr. Sie reagiert darauf mit Ärger, da ihre Schlussfolgerung ist: „Die will mich wohl ärgern.“ Daraufhin macht sie der Mitarbeiterin Druck. Die Mitarbeiterin reagiert innerlich mit Angst, weil sie aus dem Verhalten der Führungskraft schlussfolgert, dass ihr Arbeitsplatz langsam in Gefahr ist. Dies würde für sie eine existentielle Bedrohung bedeuten. Aus der Angst heraus blockiert sie immer mehr ihr Denken und die nächsten Fehler sind vorprogrammiert. Dieses Verhaltensmuster ist gut zwischen Chef und Mitarbeiter eingespielt.

Würde nun zum Beispiel die Mitarbeiterin ihre Schlussfolgerung ändern und sich sagen: „Meine Chefin ist offensichtlich sehr wohlmeinend, denn trotz vieler Fehler meinerseits gibt sie mir immer noch Feedback zu den Fehlern und keine Abmahnung“, bräuchte sie nicht mit Angst zu reagieren, würde ihr Denken vermutlich nicht so blockieren und daraufhin weniger Fehler produzieren. Das gesamte Muster änderte sich. Genauso würde es geschehen, wenn die Chefin ihre Schlussfolgerung ändern würde und sich sagte: „Die Mitarbeiterin hat einfach Angst Fehler zu machen. Durch mehr Druck wird es nur schlimmer.“ Auch dann könnte sich das Muster ändern. Es hätte aber auch ähnliche Auswirkungen, wenn eine von beiden emotional anders reagieren würde. Das heißt, eine kleine Änderung auf einer Ebene kann sehr leicht große Auswirkungen auf das Kommunikationsmuster haben.

Sich zu fragen: „Was löst es für Reaktionen aus, wenn ich diese Verhaltensweisen zeige?“ bewirkt, sich einmal mit seinem Verhalten aus der Sicht der anderen auseinanderzusetzen und dieser Wechsel der Blickrichtung führt oft zu ganz neuen Einsichten. Wenn es ein Problem im Team gibt, lässt sich eine solche Fragerunde auch auf Teamebene durchführen. Dadurch, dass die Abhängigkeiten der Verhaltensweisen der einzelnen klar werden, werden dabei oft zum ersten Mal die Wechselwirkungen der verschiedenen Verhaltensweisen verstanden. Dies kann schon zu Veränderungen in den Verhaltensweisen führen. Denn ein Teil des Problemgewebes ist für gewöhnlich, dass das Verhalten unbewusst abläuft. Das Gleiche jetzt mit vollem Bewusstsein zu tun, mit Kenntnis der Auswirkungen auf die anderen, verändert unter Umständen schon das ganze Muster drastisch.

Bei Schwierigkeiten im Team kann auch eine andere Art der Fragen helfen. Das ist die Frage nach Unterschieden, z.B. „Wer leidet am meisten unter der Situation, wer am wenigsten? Wer würde als erster reagieren, wenn Sie .... machen würden? Wann tritt das Problem im Team am häufigsten auf? Tritt das Problem manchmal gar nicht auf?“ Diese Art der Fragen helfen vor allem weiter, wenn Probleme sehr pauschal geschildert oder auch so erlebt werden. „Bei uns ist eigentlich immer schlechte Stimmung.“ Fragen wie: „Wann ist mal etwas besser? Hat es Ausnahmen gegeben?“ usw. sind da hilfreich, um auch für die Teammitglieder ein differenzierteres Bild entstehen zu lassen.

Bei einer solchen Herangehensweise an Probleme ist es nicht so wichtig, nach den Ursachen eines Verhaltens zu fragen, sondern danach, wie dieses Verhalten in den zugehörigen Kontext eingebettet ist und welche Auswirkungen es im Kontext hat. Man kann in diesem Zusammenhang davon ausgehen, dass Verhalten nicht ausschließlich aus der Geschichte des Einzelnen zu verstehen ist, sondern viel mehr aus dem jeweiligen Kontext. Man kann also fragen: „Wie trägt unser Team-Kontext/Firmenkontext dazu bei, dieses Problem aufrecht zu erhalten?“ Das löst zwar nicht in jedem Fall die Probleme – häufig genug kann sich der Kontext erst verändern, wenn die psychologischen Anteile eines problematischen Verhaltens aufgelöst wurden, doch dieser Ansatz bietet auf jeden Fall immer wieder auch gute Lösungsideen.

Bei einem lösungsorientierten Ansatz, mit Schwierigkeiten umzugehen stellen sich gern auch Fragen nach möglichen Ressourcen, um das Problem zu lösen. Typisch dafür sind die Fragen nach Zielvorstellungen.  „Woran werden Sie merken, dass Sie das Problem gelöst haben? Was genau wird anders sein? Welche Auswirkungen werden die Veränderungen haben? Was wird sein, wenn Sie nichts verändern?“ Auch solche Fragen können Führungskräfte nutzen, um gemeinsam mit einem Mitarbeiter oder im Team zu Lösungen zu kommen. So hat sich die Frage, „Warum“ es denn zu diesem Problem gekommen ist, in manchen Fällen vielleicht gänzlich erübrigt, weil man weiß, wie man es besser machen kann.