Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen?

| Ulrich Dehner
Wer so etwas sagt, sollte an seiner Ignoranz arbeiten!
In einem Baustein der Coaching-Ausbildung, die kürzlich in Berlin stattfand, war ich etwas überrascht davon, wie groß das Interesse am Thema „Visionen“ war. Für einige schien es tatsächlich ein Augenöffner dafür zu sein, was sie dringend in Angriff nehmen wollen. Deshalb habe ich mich entschlossen, hier noch einmal explizit auf die eigenen Visionen einzugehen und zu erläutern, wie man am besten vorgeht, um zu einer Vision zu kommen, die keine Träumerei bleibt, sondern dazu befähigt, konkrete Pläne zu machen, die ans Ziel führen. Ich gebe auch Hinweise auf Hilfsmittel wie Kanban-Technik oder welche Apps unterstützend sind.
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Wenn es um die Gestaltung ihres Lebens geht, verhalten sich viele Menschen eher re-aktiv als aktiv. Im Coaching hat sich immer wieder gezeigt, dass etliche Menschen zwar meist ziemlich genau wissen, was sie nicht wollen, jedoch nur eine vage Idee oder Vorstellung davon haben, was sie wollen, aber mehr auch nicht. Was bedeutet das? Man schaut sich eben um, was an äußeren Angeboten vorhanden ist und welche davon so in etwa in die Nähe der eigenen Wünsche kommen. Damit reagiert man jedoch stets nur auf das zufällig Daherkommende, ohne einen eigenen Impuls in den Prozess einzubringen. Das ist on the long run gesehen unbefriedigend, außerdem beraubt man sich damit auch einer wertvollen Möglichkeit der Weiterentwicklung.

Fünf Jahre – lang genug, aber trotzdem schnell vorbei

Wenn man nicht zu den Menschen zählt, die aufgrund ihres Talents oder besonderer Vorlieben haargenau wissen, was ihren Lebensmotor antreibt, muss man, um diesen Eigen-Impuls zu entwickeln, allerdings ein bisschen Arbeit in eine geeignete Technik investieren. Eine solche geeignete Technik ist zum Beispiel, sich zu fragen, wie man sich das eigene Leben in etwa fünf Jahren vorstellt – und zwar das gesamte Leben, nicht nur den beruflichen Teil. Oft ist es jedoch gar nicht so einfach, sich diese Frage zu beantworten, denn die meisten Menschen mögen eben nicht nur eine Sache oder Tätigkeit gern, es gibt also mehrere Möglichkeiten, die reizvoll sind.  Außerdem sind da immer noch die Erwartungen und Ansprüche, die andere an einen haben, die man vielleicht, ohne es so recht zu merken, übernommen hat und für eigene Wünsche hält. Oder man ist so daran gewöhnt, in schon gespurten Bahnen zu laufen, dass man verlernt hat, eigene Wünsche zur Kenntnis zu nehmen.

Deshalb hat es sich als nützlich erwiesen, Szenarien zu entwickeln, die man schriftlich festhält. Wir schreiben hier bewusst „Szenarien“ im Plural. Denn häufig ist es so, dass man eine gewisse Grundidee hat, wo man hinmöchte, aber noch nie wirklich überprüft hat, ob das Verlangen, da hinzugelangen, tatsächlich ausreichend Energie erzeugt, sodass man die nötigen Mühen dafür auf sich nimmt. Erst wenn man verschiedene Visionen davon, wie das eigene Leben in fünf Jahren aussehen soll, schriftlich festhält, kann man feststellen, welche Version einen tatsächlich begeistert.

Wenn Sie Ihre Visionen schriftlich in ganzen Sätzen festhalten, werden Sie sehr schnell spüren, welche tatsächlich lebendig und mit Kraft geschildert werden und welche eher trocken und dürftig zu Papier gebracht werden. Gehen Sie dabei unbedingt ins Detail! Schildern Sie alle Ihre Lebensumstände, lassen Sie keinen Bereich aus, Privatleben, Berufsleben, Wohnen, Freizeitgestaltung, finanzielle Verhältnisse, Reisen, Fortbildung, beschreiben Sie all das so, als ob es bereits eingetreten wäre.

Verschiedene Szenarien zu entwickeln kostet zwar etwas Zeit, aber Sie werden merken, dass es sich lohnt, wenn klar wird, dass einiges von dem, was Sie für wünschens- und erstrebenswert hielten, im Grunde genommen gar nicht Ihren eigentlichen Bedürfnissen und Wünschen an Ihr Leben entspricht. Die Super-Karriere brächte womöglich Ihr Familienleben in Gefahr, oder eine Familie zu gründen ist eigentlich der Wunsch Ihrer Mutter und nicht Ihrer. Sich darüber klarwerden, was man wirklich will, könnte Konflikte auslösen. Lassen Sie sich durch solche möglichen Konflikte nicht abschrecken. Es ist Ihr Leben. Nur das, was Ihnen wirklich wichtig ist, macht Sie zufrieden! Und nur Visionen, die Sie im wahrsten Sinne des Wortes begeistern, setzen genügend innere Energien frei, um das Ziel auch zu erreichen. Nur das, was Sie wirklich begeistert, entwickelt den Sog, der Sie auch über Hürden bringt.

Während Sie Ihren Idealzustand suchen und auch wenn Sie ihn gefunden haben, lassen Sie sich nicht durch Ihre „Vernunft“ ausbremsen! Die ist nämlich schnell bei der Hand mit den vermeintlich vernünftigen Bedenken: „Wie soll denn das gehen? Das ist doch völlig unrealistisch!“ Aber solche Gedanken bewirken lediglich, dass man sich selbst entmutigt. Das können Sie nicht brauchen! Genauso wenig wie die Bedenkenträger in Familie und Freundeskreis – weshalb Sie sehr genau überlegen sollten, mit welchen Menschen Sie über Ihre Pläne sprechen wollen und mit welchen besser nicht. Die können Sie hinterher, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, immer noch überraschen. Aber mit Menschen zu sprechen, die an Sie glauben, die offen sind, die Sie ermutigen, das kann sehr unterstützend sein.

Fangen Sie nicht mit den Details an!

Wenn Sie sich zwei oder drei Szenarien ausgemalt haben, sollten Sie sie ein wenig ruhen lassen, dann einen zweiten Blick darauf werfen, vielleicht noch etwas ergänzen oder ändern, bis Sie sich schließlich für die entscheiden bei der Sie spüren, dass sie wirklich Energie besitzt. Jetzt ist es Zeit, sich an den zweiten Schritt machen, der darin besteht, Wege zu finden, wie Sie Ihr Ziel erreichen können. Dass Sie am Anfang der Arbeit noch nicht wussten, welches der richtige Weg zur Zielerreichung sein würde, bedeutet nicht, dass es keinen gäbe! Es heißt einfach nur, dass Sie ihn suchen müssen. Gehen Sie bei Ihrer Suche methodisch vor. Das bedeutet, gehen Sie vom Großen zum Kleinen. Wenn Sie von Berlin aus zur dehner academy nach Konstanz wollen, fangen Sie schließlich auch nicht mit dem Konstanzer Stadtplan an. Sie suchen zunächst die Autobahnen, dann die Ausfahrt, dann die Bundesstraße, dann erst die Theodor-Heußstraße und letzten Endes den Parkplatz.

Legen Sie also die großen Schritte fest und brechen Sie diese nach und nach herunter in immer kleinere Schritte, bis Sie sie in so handlichen Stücken haben, dass Sie ganz konkrete Aufgaben daraus machen können, bei denen Sie nur noch überlegen müssen „Wann mache ich das?“ und nicht „Wie mache ich das?“. Überprüfen Sie sich dabei immer wieder selbst: „Wenn ich diese Schritte gegangen bin, komme ich dann meinem Ziel näher (beziehungsweise habe ich es erreicht) oder fehlt noch etwas?“

Elektronische Hilfsmittel

Die oben genannte Planung lässt sich auf dem Papier machen, einfacher ist es jedoch mit elektronischer Hilfe. Es gibt eine Menge Apps, die sich sehr gut als Planungsinstrumente eignen, und wenn man gar keine Lust auf Apps hat, taugt auch der Gliedermodus bei Word, den man beim Punkt „Ansicht“ findet, um eine Planung aufzustellen.

Wer sich einer App bedienen möchte, könnte zum Beispiel „Todoist“ wählen, die auf allen Plattformen läuft, sehr einfach zu bedienen ist und einen guten Überblick bietet, welche Aufgaben man wann erledigen will.

Für ein Vision Board eignet sich free form sehr gut, bei dem ich allerdings nicht weiß, ob es auch auf anderen als Apple Geräten läuft.

Auch eine Kanban-Methode empfiehlt sich als Planungsinstrument. Ein klassisches Instrument dafür ist „Trello“, das auf allen Plattformen läuft. Es hat aus meiner Sicht jedoch den Nachteil, dass man immer jedes einzelne Projekt durchgehen muss und keinen „Heute“- Überblick bekommt. Ich finde „TickTick“ besser zum Arbeiten, es bietet bessere Möglichkeiten, man kann, wenn man das möchte, auch andere Menschen in die Planungen mit einbeziehen, man kann Aufgaben kommentieren, Dateien mit aufnehmen und bietet auf der Startseite die Möglichkeit zu sehen, wer welche Aufgabe heute erledigen will.

Die Kanban-Technik zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass man mehr visuell arbeiten kann, man hat etwa verschiedene Spalten wie z.B. Back-Log, in dem alles verzeichnet ist, was überhaupt zu tun ist, die nächste Spalte könnte „To Do“ sein, die alles auflistet, was man in nächster Zeit anpacken will, und die immer erst dann wieder aufgefüllt wird, wenn sie weniger als etwa sechs Items umfasst, dann die Spalte „In Arbeit“, die zeigt, was aktuell dran ist, man kann auch eine Spalte machen „Warten auf“ für alles, was man von außen braucht, bevor man selbst weitermachen kann, z.B. Genehmigungen oder Rückmeldungen von anderen etc. Die Aufgaben in diesen Spalten wandern von links nach rechts, bis sie zum Schluss in der Spalte „Erledigt“ landen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß und viel Erfolg beim Gestalten Ihrer Zukunft!